| # taz.de -- Flüchtlingsrat fehlt Finanzierung: „Die Stimmung in Sachsen setz… | |
| > Hannah Franke und Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat über | |
| > Geldnot und die gescheiterte Spendenkampagne. Muss der Verein sich nun | |
| > auflösen? | |
| Bild: Hannah Franke (I.) und Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat an… | |
| taz: Frau Franke, die Zahl der Asylanträge ist auch in Sachsen gesunken. | |
| Bedeutet das weniger Arbeit für Sie beim Flüchtlingsrat? | |
| Hannah Franke: Nein. Die Arbeitsbelastung ist eher höher denn je. Wir | |
| unterstützen ja nicht nur Menschen in Asylverfahren, sondern viele, die | |
| seit Jahren in Deutschland leben oder hier geboren wurden. Auch die | |
| brauchen Unterstützung, bei sozialrechtlichen Fragen, Arbeit oder um ihren | |
| Aufenthalt zu sichern – besonders, wenn sie von Abschiebungen bedroht sind. | |
| taz: Herr Schmidtke, aktuell kommen [1][doch faktisch weniger Geflüchtete] | |
| nach Sachsen. Vergangenes Jahr wurden über 11.000 Asylanträge in Sachsen | |
| gestellt. Dieses Jahr waren es bis Ende September 4.800 Erstanträge. | |
| Dave Schmidtke: Aber zeitgleich steigt die Ablehnungsquote bei | |
| Asylverfahren extrem. Aktuell liegt sie bei 75 Prozent. Das hatten wir in | |
| den letzten zehn Jahren noch nie. Entsprechend verunsichert sind | |
| Geflüchtete und suchen häufiger Beratung. Wenn ich in unserem Dresdner Büro | |
| aus dem Fenster schaue, dann stehen die Leute da Schlange vor dem Haus. | |
| taz: Wir sitzen gerade neben dem Fußballfeld beim Heimspiel des | |
| antifaschistischen Vereins [2][Roter Stern Leipzig]. Es steht 1:1. Gegen | |
| Spenden für den Flüchtlingsrat geben Sie hier T-Shirts an die Fans raus. | |
| Ist das ein Zeichen, dass die finanzielle Situation des Flüchtlingsrats | |
| angespannt ist? | |
| Franke: Na ja, das heute hier ist was Schönes. Die Menschen sagen uns: „Ey, | |
| tolle Arbeit, nicht aufgeben!“ Diese Wertschätzung tut echt gut, gerade | |
| wenn der Druck ansonsten steigt. | |
| taz: Der Freistaat Sachsen hat Geldprobleme und die Landesregierung spart. | |
| Wie trifft das den Flüchtlingsrat? | |
| Franke: Unsere Situation war schon vorher prekär, wir konnten unsere Arbeit | |
| nie ausreichend finanzieren. Jetzt müssen wir immer kreativer werden, was | |
| die Geldorganisation angeht. Für 2026 fehlt bei einem unserer Projekte die | |
| Finanzierung. Wir hatten in den letzten Jahren mobile Beratung und | |
| Workshopangebote in den Landkreisen, was nun nicht weiter gefördert wird. | |
| taz: Das heißt, abseits von Leipzig, Dresden oder Chemnitz können Sie nicht | |
| mehr beraten? | |
| Franke: Genau, und Sachsen ist ein Flächenland. Die Kosten für Bus- und | |
| Bahntickets sind massiv, wenn man sich anguckt, wie wenig Menschen nach | |
| Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. In Erstaufnahmeeinrichtungen sind das | |
| circa 200 Euro. Davon Rechtsanwält*innen und ÖPNV-Tickets zu bezahlen, | |
| ist quasi unmöglich. Manchen Menschen ist es außerdem nicht erlaubt, ihren | |
| Landkreis zu verlassen, um in unsere Büros zu kommen. Uns war es immer | |
| wichtig, nicht nur in den Metropolen präsent zu sein. | |
| Schmidtke: Zwei Ehrenamtliche und ich sind zum Beispiel vor drei Wochen | |
| nach Schneeberg gefahren (Stadt im Erzgebirge mit etwa 14.000 | |
| Einwohner*innen; Anmerkung der Redaktion). Innerhalb von Minuten war eine | |
| Traube von fünfzig Menschen um uns, weil wir die ersten Ansprechpersonen | |
| seit Monaten waren in Sachen unabhängiger menschenrechtsorientierter | |
| Beratung. Brechen wir weg, gibt’s keine andere Option für die Leute. | |
| taz: Worum geht es denn bei solchen Beratungen? | |
| Franke: Wir erklären den Menschen regelmäßig, wie ein Verwaltungsverfahren | |
| funktioniert, welche Rechte und Pflichten sie haben. Aber dabei begegnen | |
| wir den Menschen nicht rein technisch. Das ist bei uns anders als in den | |
| Behörden. Wir hören zu und signalisieren: Wir freuen uns, dass du hier | |
| bist. | |
| taz: Also „hier“ in Deutschland oder Sachsen? | |
| Schmidtke: Ja, oder in Schneeberg oder in Gröditz bei Riesa. Da wurde zum | |
| Beispiel [3][Ende Oktober die kurdisch-jesidische Familie Haji | |
| abgeschoben.] Der Vater hat hier über Jahre als Friseur gearbeitet und | |
| sonntags ehrenamtlich älteren Herren die Haare geschnitten. Die Mutter hat | |
| ältere Frauen in der Nachbarschaft unterstützt, die ihren Alltag nicht mehr | |
| allein gestalten können. Es ist brutal, dass sie abgeschoben wurden. Würde | |
| es uns als Verein nicht mehr geben, würde die Öffentlichkeit von solchen | |
| Fällen gar nicht erfahren, das gehört auch zu unseren Aufgaben. | |
| taz: Aber der Flüchtlingsrat sollte bei so was doch politisch neutral sein? | |
| Franke: Nein. Wir sind eine Menschenrechtsorganisation und wir arbeiten mit | |
| einer menschenrechtsorientierten Haltung. Natürlich kann ich da sagen: „Ich | |
| freue mich, dass du hier bist.“ Wenn ich mit geflüchteten Menschen | |
| zusammenarbeite, die von Abschiebung bedroht sind, dann sage ich: Ich | |
| möchte nicht, dass sie abgeschoben werden. Unser Auftrag lautet, den | |
| Menschen zur Seite zu stehen, gucken, was rechtlich möglich ist und | |
| gemeinsam mit ihnen durch schwere Zeiten zu gehen. | |
| Schmidtke: Deshalb setzt uns die politische Stimmung in Sachsen gerade | |
| zunehmend unter Druck, auch von konservativer Seite. In Leipzig möchte die | |
| CDU uns beispielsweise Gelder entziehen, da wir angeblich gegen die | |
| Bundesregierung agieren. Aber natürlich arbeiten wir nur auf demokratischer | |
| Rechtsgrundlage, sonst könnten wir im Aufenthaltsrecht nichts erreichen. | |
| Franke: Wir dürfen uns nicht selbst kriminalisieren. Es ist in Ordnung, | |
| dass wir nicht damit einverstanden sind, wie geflüchtete Menschen in | |
| Sachsen behandelt werden und wenn ihre Menschenrechte verletzt werden. | |
| taz: Im Oktober hatte Ihre Spendenkampagne unter dem Motto „Still Loving | |
| Bleiberecht“ keinen Erfolg. Ursprünglich wollten Sie bis zum Monatsende | |
| 50.000 Euro sammeln. Es kamen ungefähr 20.000 Euro zusammen. [4][Sie haben | |
| die Kampagne verlängert], aber es ist immer noch nicht alles da. Muss sich | |
| der Verein denn jetzt aus finanziellen Gründen auflösen? | |
| Franke: Nein, wir lösen uns nicht auf. Den Sächsischen Flüchtlingsrat gibt | |
| es seit 1991, es gab immer wieder Existenzkämpfe. Solange geflüchtete | |
| Menschen kämpfen, machen wir das auch. Die Spenden sind wichtig für | |
| bestimmte Bereiche unserer Arbeit und wir wollen auch abseits von | |
| staatlicher Finanzierung nie komplett ohne Geld dastehen. Am Ende sichert | |
| uns die aber die Arbeit. Ohne staatliche Finanzierung sind unsere | |
| Beratungen in dem Umfang nicht möglich. | |
| taz: Hier hat der Rote Stern gerade das 2:1 geschossen, das Spiel ist | |
| gleich vorbei, darum zur letzten Frage. Angenommen, wir wären in einer | |
| idealen Welt und Sie könnten sich eine Summe wünschen: Wie viel Geld | |
| bräuchte der Flüchtlingsrat in Sachsen, um alle Anfragen zu bearbeiten? | |
| Franke: In einer idealen Welt bräuchte es uns nicht. | |
| 5 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Weniger-Gefluechtete-in-Deutschland/!6106068 | |
| [2] https://rotersternleipzig.de/ | |
| [3] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/dresden/meissen/abschiebung-familie-… | |
| [4] https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/still-loving-bleibrecht/ | |
| ## AUTOREN | |
| David Muschenich | |
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