| # taz.de -- Flüchtlingsrat über Bezahlkarte: „Ein weiterer Schritt zur Entr… | |
| > Etliche Bundesländer haben die Bezahlkarte für Geflüchtete eingeführt. | |
| > Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen über eine fatale | |
| > Asylpolitik. | |
| Bild: Eine Variante von vielen: Bezahlkarte für Geflüchtete in Brandenburg | |
| taz: Sigmar Walbrecht, angesichts der aktuellen politischen Diskussionen | |
| über geschlossene Grenzen: Lohnt es sich überhaupt noch, über die | |
| Bezahlkarte zu sprechen? | |
| Sigmar Walbrecht: Es scheint eine Marginalie zu sein – ist es aber nicht. | |
| Die [1][Bezahlkarte] ist ein Baustein im ganzen Sortiment von | |
| Entrechtungen, die Geflüchtete erfahren. Sie ist unter anderem eingeführt | |
| worden, weil nach schrecklichen Anschlägen in Deutschland mehr Härte gegen | |
| Geflüchtete gefordert wurde. Da wurden dann kurzerhand alle Geflüchteten in | |
| einen Topf geworfen und dafür verantwortlich gemacht. Und dann werden | |
| Maßnahmen durchgeführt, die vermeintlich Menschen davon abhalten sollen, in | |
| Deutschland und Europa Schutz zu suchen. Die Bezahlkarte ist eine | |
| symbolpolitische Maßnahme, hat aber faktisch für die Geflüchteten im Alltag | |
| eine einschränkende, drangsalierende Wirkung. | |
| taz: Wie sehen Sie die Verschärfungen in der Migrations- und Asylpolitik? | |
| Walbrecht: Die sind ganz fatal. Die Migrationspolitik ist das Feld, über | |
| das der ganze gesellschaftliche Konsens immer weiter [2][nach rechts | |
| verschoben] wird. Migration, insbesondere Fluchtmigration, wird | |
| dargestellt, wie [3][Seehofer einst sagte], als: „die Mutter aller | |
| Probleme“ – das ist natürlich Blödsinn. Migration ist einfach ein Faktum. | |
| Für viele ist sie eine vernünftige Strategie, ihre Lebenssituation zu | |
| verbessern. Für Menschen, die vor Krisen und Kriegen fliehen müssen, gibt | |
| es keine andere Option. Und es ist eine unverantwortliche Erzählung, diese | |
| Menschen zu kriminalisieren und verantwortlich zu machen für diverse | |
| Missstände, für die die Parteien offensichtlich keine einfachen Lösungen | |
| finden. | |
| taz: Trotz allem – wie gewinnt man die Gesellschaft für solidarisches | |
| Handeln? | |
| Walbrecht: Ich glaube, dass diese Erzählung von Migration als Bedrohung | |
| längst nicht bei allen Menschen verfängt. Viele erkennen, dass es eben | |
| Populismus ist. Die vielen [4][Proteste von Hunderttausenden in den | |
| vergangenen Tagen] in Deutschland haben gezeigt, dass es doch etliche | |
| Menschen gibt, die in dieser ganzen Rhetorik eine Gefahr für die | |
| Gesellschaft sehen. Deswegen bin ich auch nicht erstaunt, dass es einen | |
| ziemlich guten Zulauf gibt, um an Umtauschaktionen rund um die Bezahlkarte | |
| teilzunehmen. Das ist eine Möglichkeit, sich ganz konkret solidarisch zu | |
| zeigen. Für diejenigen, die noch gar nicht organisiert sind, ist das jetzt | |
| die Möglichkeit, sich in irgendeiner Form zu organisieren. | |
| taz: Welche langfristigen Auswirkungen hat diese populistische | |
| Migrationsrhetorik auf die Integration von Geflüchteten und | |
| Migrant:innen in die Gesellschaft? | |
| Walbrecht: Faktisch ist es ein weiterer Schritt, die Menschen auszugrenzen, | |
| indem sie weniger am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Es ist ein | |
| Angriff auf das grundrechtlich garantierte Existenzminimum. Das ist ein | |
| ziemlich offensichtlicher unmittelbarer Effekt. Das Problem ist, dass es | |
| ein Schritt von vielen ist, der zur weiteren Entrechtung von Geflüchteten | |
| führt. Diese Entrechtung macht nicht bei Geflüchteten halt. Wir haben jetzt | |
| schon seit einiger Zeit die Diskussion um Bürgergeld und Sanktionen wie | |
| Arbeitszwang. Also Maßnahmen, die sich gegen geflüchtete Menschen richten, | |
| richten sich unter Umständen auch gegen andere Menschen, die Leistungen | |
| empfangen. | |
| taz: Wie kann man dem entgegentreten? | |
| Walbrecht: Man muss als Erstes diesen Mythos von Migration als Mutter aller | |
| Probleme entlarven. Dann müsste man grundsätzlich deutlich machen, dass wir | |
| eigentlich genug Wohlstand produzieren und bei gerechter Verteilung allen | |
| ein gutes Leben ermöglichen können. Es muss deutlich gemacht werden, welche | |
| Gefahr es gibt, wenn Grundgesetz und Völkerrecht ignoriert und sogar | |
| [5][angegriffen werden]. Das ist letztlich für die ganze Gesellschaft eine | |
| Gefahr. Das Fundament unseres Zusammenlebens wird damit in Frage gestellt. | |
| 12 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabrina Bhatti | |
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