# taz.de -- Sozialarbeiter über miese Unterkünfte: „Diese Kinder sind nicht… | |
> Viele Jugendliche kennen in Hamburg nur das Leben in isolierten | |
> Unterkünften für Geflüchtete. Sozialarbeiter Yama Waziri fordert | |
> Wohnungen für Familien. | |
Bild: Mangelware Wohnraum: Viele Kinder und Jugendliche kennen nichts anderes a… | |
taz: Herr Waziri, wie geht es den Kindern und Jugendlichen in Hamburgs | |
Unterkünften? | |
Yama Waziri: Die Lage ist schlimm, denn die Familien finden keine | |
Wohnungen. Ich arbeite seit 2015 in diesem Bereich und betreue Jugendliche, | |
die ich kenne, seit sie klein sind. Die [1][verbringen ihr ganzes Leben in | |
der Unterkunft] und kennen gar nichts anderes. | |
taz: Wie viele sind das etwa? | |
Waziri: In den Unterkünften, die ich betreue, stellen Kinder zwei Drittel | |
der Bewohner. | |
taz: Warum kriegen die Familien keine Wohnung? | |
Waziri: Es gibt keine. Wenn man vier, fünf Kinder hat, ist das schwierig. | |
Die Sozialbehörde geht davon aus, dass ein Mensch nur sieben Quadratmeter | |
braucht. Bei den jungen Erwachsenen ist das noch extremer, die haben teils | |
nur eine Plane, die sie von den anderen im Zimmer trennt. Das sind junge | |
Menschen, die so 18 oder 19 sind. | |
taz: Was ist Ihre Funktion? | |
Waziri: Ich leite First Contact, eine Migranten-Selbstorganisation, die | |
nach längerem Kampf als Träger anerkannt ist. Wir versuchen Familien, | |
Kinder, alleinstehende Jugendliche im Sozialraum zu integrieren. | |
taz: Wie machen Sie das? | |
Waziri: Wir holen die Kinder ab und versorgen sie mit Projekten. Also sei | |
es zum Skaten, zum Fußball, zum Tanzen. Wir kochen, wir malen, wir basteln | |
mit ihnen. Das alles halt. Wir bieten den Kindern auch Sportkleidung und | |
Schuhe an, über Spenden. | |
taz: Wie viele Leute sind Sie? | |
Waziri: Nicht viele. Wir haben eine Erzieher- und eine | |
Sozialpädagogen-Stelle und vier Minijobber. Die übrigen sind Ehrenamtliche | |
und Honorarkräfte. | |
taz: Wo machen Sie das? | |
Waziri: Wir haben über die Jahre eine Infrastruktur aufgebaut und unsere | |
Hallen und Kooperationspartner dafür, im Bezirk Mitte und in Eimsbüttel, in | |
Bergedorf und Altona. | |
taz: Sie haben jüngst beim [2][Hamburger Kinder- und Jugendhilfegipfel] | |
davor gewarnt, dass diese Kinder isoliert sind, weil die Unterkünfte | |
isoliert sind. | |
Waziri: Das ist belegt. Sehr viele dieser [3][Unterkünfte liegen in | |
Gewerbegebieten]. Da gibt es weder einen Sportplatz noch eine Kulturstätte | |
oder Kita. Die Kinder müssen weit laufen, um Freizeitaktivitäten | |
wahrzunehmen. Wir begleiten zum Beispiel Unterkünfte an der Spaldingstraße | |
und der Nordkanalstraße. Da existiert gar keine soziale Infrastruktur. | |
taz: Was soll die Stadt tun? | |
Waziri: Diese Familien brauchen Wohnungen. Die Kinder sind nicht behütet, | |
solange sie keine Wohnung haben, in der sie mit ihrer Familie leben können. | |
Das ist wichtig, weil das Leben in den Unterkünften die Menschen krank | |
macht. Wir können mit den Kindern ein paar schöne Stunden verbringen. Auch | |
die Schule ist vielleicht ein guter Ort. Aber sobald sie wieder zu Hause | |
sind, sind sie in diesem beengten Raum, wo du als Kind keine Privatsphäre | |
hast. Man stelle sich vor: Du lebst von 2015 bis 2025 in einer Unterkunft, | |
teilst dir das Zimmer mit Geschwistern und kommst in die Pubertät. Du hast | |
[4][keine Privatsphäre] und eine ganz andere Tagesstruktur als normale | |
Bürger. Es leben dort fast zehn Prozent der Bevölkerung, die die | |
Stadtplanung nicht beachtet, weil die Unterkünfte nur eine Interimslösung | |
sind, die Jahr für Jahr verlängert wird. | |
taz: Wie kann die offene Kinder- und Jugendarbeit helfen? | |
Waziri: Die muss ohnehin gucken, ob ihre Angebote zeitgemäß sind. Aber | |
diese Kinder brauchen Angebote, um eine Flucht aus der Unterkunft zu | |
ermöglichen. Da muss eine Abholung stattfinden. | |
taz: Man kann das nicht in der Unterkunft machen? | |
Waziri: Nein. Dort, wo es Container sind, ist es zu hellhörig und im Sommer | |
die Hitze unerträglich. Sehr gut machen es Falkenflitzer und der | |
Spiel-Tiger. Die fahren da rein mit ihrem Spielmobil und schauen, was die | |
Kinder brauchen. Aber nur ein- oder zweimal in der Woche. Gerade bei | |
schlechtem Wetter haben die Kinder es schwer, ihren Bedürfnissen | |
nachzugehen. Man hat keine Skateboards oder Schlittschuhe, keinen Ball oder | |
keinen Platz, wo man kicken kann, nur Asphalt oder Steinboden. | |
taz: Bräuchte man für jede Unterkunft ein Abhol-Angebot? | |
Waziri: Das ist eine Traumvorstellung. Wir von First Contact machen das ja | |
so: Wir besprechen mit der Unterkunftsleitung, wie wir die Kinder abholen | |
können, wie viele es sind und was sie brauchen. Die Kinder können natürlich | |
Wünsche äußern, die sind aber oft schwer zu realisieren. Sei es, dass sie | |
in einen Indoor-Spielplatz wollen, wo sie klettern können, oder ins | |
Freizeitbad zum Schwimmen wollen. Das ist vom Budget, das die Stadt uns | |
gibt, nicht bezahlbar. | |
taz: Ein Indoor-Spielplatz wäre zeitgemäß? | |
Waziri: Ja, Kinder von vier Jahren bis 13 oder 14 fühlen sich dort wohl. | |
Aber die Älteren in der Pubertät brauchen anderes. Für die sind Influencer | |
ganz wichtig. Die Kinder laufen meistens nur mit ihren Handys rum. Die | |
Familien geben sie ihnen zur Beruhigung in den beengten Räumen, damit sie | |
irgendwas spielen können. Wir müssten mit den Kindern besprechen, was für | |
sie eigentlich toll ist. Deren Bedürfnisse sind komplett anderer Natur als | |
das, was wir Pädagogen wichtig finden. | |
taz: Was fordern Sie von der neuen Koalition in Hamburg? | |
Waziri: Wir bräuchten einen Stützpunkt für Kinder und Jugendliche und junge | |
Erwachsene, wo ihnen Bewegung und Kultur angeboten wird und wir ihre | |
Bedürfnisse bedienen können. Wir brauchen ein großes Jugendzentrum mit 15 | |
oder 16 Fachkräften, wo wir unterschiedliche Problematiken besprechen und | |
Lösungsstrategien erarbeiten können. Die Jugendlichen brauchen einen Ort. | |
taz: Wo wäre der Ort dafür? | |
Waziri: Es gibt die Idee, in der Hafencity einen Stützpunkt für moderne | |
Jugendarbeit zu bauen. So ein Zentrum mit Indoor- und Outdoor-Sportanlage, | |
mit Beach-Club, Beach-Fußball und Kultur und Musik. Eben für Kinder und | |
Jugendliche, die sonst keine Chance haben, sich mit anderen Kulturen | |
auszutauschen. Es sind Jugendkids, Straßenkinder, die ein ganz eigenes | |
Kulturverständnis haben. Menschen gehen zur Oper, die Kinder gehen halt | |
cornern, sitzen an der Ecke und hören Musik. | |
taz: Sie wären mit einem Zentrum zufrieden? Bräuchte man nicht drei oder | |
vier? | |
Waziri: Klar, aber wir haben ja nicht mal einen Stützpunkt. Dabei ist der | |
Bedarf enorm. Wir wissen, es gibt die Jugendlichen. Aber wir befassen uns | |
nur mit ihnen, wenn es Probleme gibt. | |
taz: Haben Sie diese Forderung schon an die Verantwortlichen in der Politik | |
gerichtet? | |
Waziri: An die Politik richten wir bisher nur den Wunsch nach Wohnungen. | |
Zumal die Unterkünfte für den Staat auch teurer sind als Wohnungen. Und wir | |
wissen, dass es Probleme gibt, wenn wir zu hohe Forderungen stellen. | |
taz: Eine Neid-Debatte? | |
Waziri: Genau. Egal was passiert, der Sündenbock ist der Geflüchtete. Sie | |
haben keine Lobby. | |
taz: Aber die geflüchteten Kinder haben ihr eigenes Jugendparlament, wie | |
man hört? | |
Waziri: Ja. Da sich die Stimmung seit 2015 so geändert hat, haben wir von | |
First Contact vor zwei Jahren gesagt, die Kinder und Jugendlichen müssen | |
selber über ihre Lebenssituation berichten und haben ein Jugendparlament | |
vorgeschlagen. Die Jugendlichen fanden das eine tolle Idee. Seitdem trifft | |
es sich mindestens einmal im Monat, zu Gast bei der Elternschule | |
Mümmelmannsberg. | |
19 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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