# taz.de -- Altersbeschränkung für Social Media: „Nicht warten, bis der Sta… | |
> Danny Schmidt gibt Workshops für Medienkompetenz an Schulen. Im Interview | |
> erklärt er, warum er Social Media erst ab 16 Jahren erlauben würde. | |
Bild: Im Bann des Algorithmus | |
taz: Herr Schmidt, rund 97 Prozent der 12- bis 19-Jährigen nutzen Social | |
Media 2024 mindestens einmal am Tag. Wird Medienkompetenz immer wichtiger? | |
Danny Schmidt: Ja. Insbesondere bei der Bundestagswahl 2025 wurde deutlich, | |
wie stark besonders die politischen Ränder von den sozialen Medien | |
profitieren konnten. Medienkompetenz ist Demokratiekompetenz. Damit unsere | |
Gesellschaft demokratisch bleiben kann, brauchen wir Menschen, die medial | |
vermittelte Informationen einordnen und kritisch reflektieren können. Es | |
braucht einen verantwortungsvollen Umgang mit Medien. Medienbildung schafft | |
Angebote, die zeigen, wie man Medien hinterfragt, sinnvoll nutzt oder | |
selbst gestaltet. So kann eine aufgeklärte Öffentlichkeit entstehen. | |
taz: Die jüngeren Generationen werden oft als „Digital Natives“ bezeichnet, | |
weil sie mit Medien aufwachsen. Verfügen sie dadurch über eine [1][gute | |
Medienkompetenz]? | |
Schmidt: Man muss hier zwischen Nutzungskompetenz und tatsächlicher | |
Medienkompetenz unterscheiden. Je mehr man Medien nutzt, desto sicherer | |
wird man in der bloßen Bedienung. Diese ist bereits relativ intuitiv, und | |
schon Kleinkinder finden sich schnell zurecht. Um Medienkompetenz | |
entwickeln zu können, muss man verstehen, wie Medien wirken und welche | |
Gestaltungsmöglichkeiten es gibt. Grundsätzlich geht es darum, Medien | |
kritisch zu hinterfragen – welches Weltbild wird transportiert? Welche Form | |
von Realität wird bestätigt? Was passiert auf meinem Bildschirm und wie | |
wirken diese Inhalte auf mich? Ich habe viele der sogenannten Digital | |
Natives in meinen Workshops kennengelernt, die sich diese Fragen bereits | |
stellen. Das macht Freude. | |
taz: Was braucht es, damit in Zukunft mehr Jugendliche kompetent mit Medien | |
umgehen können? | |
Schmidt: Ganz einfach: Bildung, gute Bildung. Die Digital Natives wachsen | |
mit einer Art Selbstverständlichkeit auf, digitale Medien zu nutzen. | |
Mediennutzung ist jedoch kein Naturphänomen, sondern eine menschliche | |
Konstruktion, eine Kulturtechnik. Es gilt jetzt, die Konstruktionsmuster | |
sichtbar zu machen. Die Jugendlichen müssen verstehen, wie die Muster | |
funktionieren. Dieses Sichtbarmachen funktioniert sehr stark über | |
Reflexion: Welche Emotionen werden durch Medieninhalte ausgelöst? Welche | |
Ängste, Freuden oder Hoffnungen? Wer oder was aktiviert diese Reaktion? | |
taz: Welche Rolle spielen Eltern dabei? | |
Schmidt: Eltern haben besonders die Verantwortung für den Medienkonsum | |
ihrer Kinder. Wann kommt das erste Smartphone? Wie geht man mit Social | |
Media um? Sie müssen klare Grenzen setzen – das fängt bei der | |
Bildschirmzeit an und geht bis zum gemeinsamen Besprechen und Einordnen von | |
genutzten Medieninhalten. Wir merken an dieser Stelle, dass auch Eltern | |
Kompetenzen im Umgang mit Medien haben sollten. Fehlende Medienkompetenz | |
ist eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft. Medienbildung sollte | |
deshalb von Personen oder Institutionen mit Fachexpertise, wie Hochschulen | |
oder Bildungsträgern, vermittelt werden. Eltern können nach Möglichkeit | |
ergänzen. | |
taz: Also dann lieber Medienkompetenz-Workshops? | |
Schmidt: Ja, aber als Teil eines umfassenden Bildungsangebotes. Ich | |
erreiche mit meinen Workshops an Schulen oder bei Gewerkschaften Menschen | |
zwischen 12 und 92 Jahren. Wir arbeiten viel interaktiv, um strukturelle | |
Prozesse in den Medien durch das direkte Erleben leicht verständlich zu | |
machen. | |
taz: Welche Themen sind dabei wichtig? | |
Schmidt: Zum einen die Mediennutzung: Was ist der Unterschied zwischen | |
Social Media und klassischen Medien? Was sind Massenmedien? Wie kann ich | |
die Glaubwürdigkeit von Medien prüfen? Welche strukturellen | |
Produktionsprozesse gibt es und welche Dysfunktionalitäten können damit | |
einhergehen? Wie entstehen Vorurteile und Stereotype und wie können sich | |
diese zu Feindbildern weiterentwickeln? Auch der Aspekt der Wirkung von | |
Medien auf die menschliche Psyche spielt eine zentrale Rolle – etwa der | |
Confirmation Bias, der Bestätigungsfehler, der besagt, dass wir Menschen | |
vermehrt nach Medieninhalten suchen, die unsere eigene Meinung | |
unterstützen, und dazu neigen, andere Meinungen auszublenden. Die | |
Algorithmen verstärken diesen Effekt noch. In den sozialen Medien landen | |
wir dadurch immer mehr in einer Filterblase. So bekommen Social-Media-User | |
nur sehr gefiltert Zugang zu Informationen und anderen Perspektiven. Es ist | |
wichtig, ein grundlegendes Verständnis für die medialen | |
Kommunikationsprozesse zu entwickeln. | |
taz: Wie reagieren die Teilnehmer:innen darauf, sich mit ihrer eigenen | |
Medienkompetenz zu beschäftigen? | |
Schmidt: Manche haben bereits eine ausgeprägte Reflexionstiefe und handeln | |
danach. Vielen macht es großen Spaß, hinter die medialen Produktionsmuster | |
zu blicken, weil sie oft auch die eigenen Denkmuster erkennen – gerade wenn | |
es um Vorurteile geht. Es macht große Freude, diese Aha-Momente zu | |
beobachten. | |
taz: Aber nicht alle? | |
Schmidt: Es ist immer schwer zu generalisieren. Es variiert zum Beispiel | |
sehr nach Schulform– also ob Gymnasium, Berufsschule oder Realschule –, wie | |
die Schüler:innen die Informationen verarbeiten können. Dementsprechend | |
passen wir in unseren Workshops auch die Methoden und Inputs an die | |
jeweiligen Zielgruppen an. | |
taz: Mit euren Workshops könnt ihr lange nicht alle Jugendlichen erreichen. | |
Was braucht es, um mehr Bildungsgerechtigkeit für die Medienbildung zu | |
schaffen? | |
Schmidt: Bildungsgerechtigkeit ist eine große Herausforderung. | |
Schüler:innen sollten unabhängig von persönlicher Motivation oder | |
limitierter Kapazitäten der Lehrenden dieselben Bildungsangebote bekommen. | |
Medienkompetenz und Medienbildung stehen zwar bei vielen im Lehrplan, wie | |
intensiv sie behandelt werden, variiert jedoch stark. Medienbildung als | |
eigenständiges Schulfach –gleichberechtigt neben den klassischen Fächern | |
wie Deutsch und Mathematik – wäre der nächste Schritt. Medienbildung wie | |
bisher als Querschnittsfach ist ein Auslaufmodell. Die ICILS-Studie aus dem | |
Jahr 2023 bestätigt unter anderem einen „besorgniserregenden“ Rückgang der | |
Fähigkeiten von Schüler:innen im kompetenten und reflektierten Umgang | |
mit digitalen Medien und Informationen. Nur mit einem fest verankerten und | |
eigenständigen Schulfach Medienbildung müssen auch entsprechend | |
ausgebildete Lehrkräfte, Kapazitäten, Raum und Technik bereitgestellt | |
werden – hieran mangelt es bisher. | |
taz: In Thüringen gibt es seit Herbst 2024 das Fach Medienbildung und | |
Informatik. Könnte das ein Anfang sein? | |
Schmidt: Der Anfang dazu wurde in Thüringen bereits 2002/2003 gemacht. Das | |
Fach Medienkunde als integrativer Kurs wurde eingeführt und ab dem Jahr | |
2009/2010 verbindlich unterrichtet – als Querschnittsthema. Im Herbst 2024 | |
kam dann das eigenständige Fach Medienbildung und Informatik dazu. | |
Grundsätzlich sind das gute Nachrichten für die Medienkompetenzbildung und | |
eine starke demokratische Zivilgesellschaft. Was es jetzt aber dringend | |
braucht, ist eine Institutionalisierung der Ausbildung der Lehrkräfte für | |
dieses Fach. Für den Bereich Informatik ist dies schon seit mehr als 30 | |
Jahren der Fall, für den Bereich Medienbildung steckt die Organisation der | |
Ausbildung aber nach mehr als 20 Jahren Projekterfahrung noch in den | |
Kinderschuhen. | |
taz: Also braucht es bundesweite Medienbildung mit besserer Ausbildung | |
davor? | |
Schmidt: Das wäre wohl der naheliegende Weg. | |
taz: Viele Schulen sind von der Social-Media-Nutzung im Schulalltag | |
überfordert und reagieren mit einem Handyverbot. Ist das eine Lösung? | |
Schmidt: Die Australier machen es gerade eindrucksvoll vor – | |
Social-Media-Verbot für Jugendliche unter 16. Es ist wissenschaftlich | |
belegt, unter anderem durch die aktuelle Studie der DAK aus dem Jahr 2025, | |
dass der Konsum von Social Media für Jugendliche schädlich sein kann. Im | |
Grunde haben wir es hier fast mit einem Fall für den Jugendschutz zu tun. | |
Um einen Vergleich zu bemühen: Bei Alkohol wissen wir als Gesellschaft, | |
dass der Konsum besonders bei Jugendlichen Schäden verursachen kann. Die | |
Folge: Wir verbieten den Konsum von Alkohol für Jugendliche unter 16 | |
Jahren. Wir fangen nicht stattdessen an, an den Schulen Kompetenzworkshops | |
über den verantwortungsvollen Konsum von Alkohol anzubieten. | |
taz: Ein generelles Social-Media-Verbot bis zum 16. Lebensjahr ist also die | |
Lösung? | |
Schmidt: Das wäre meine Empfehlung – und auch die vieler Kolleg:innen. | |
Medienkompetenz kann sich dann Schritt für Schritt durch ein festes | |
Schulfach und mit kompetenter Expertise von Lehrer:innen entwickeln. | |
Durch schulische Medienbildung lernen die Schüler:innen nicht nur | |
Medienkompetenz, sondern auch Lebenskompetenzen. Und das passt wunderbar | |
zur Schule – einem Ort, der Menschen mit Lebenskompetenzen versorgen | |
sollte. | |
taz: Die Jugendlichen sind jetzt schon ständig von Social Media umgeben. | |
Wie soll die Umsetzung funktionieren? | |
Schmidt: Es ist jetzt eine zivilgesellschaftliche Aktivierung gefragt. Also | |
nicht zu sagen, man wartet jetzt, [2][bis der Staat etwas tut], sondern | |
selbstverantwortlich handeln. Man kann sich mit anderen Eltern | |
zusammensetzen und als Gruppe das Problem lösen. Das Phänomen Social Media | |
ist etwas mehr als 15 Jahre alt – beziehungsweise jung. Wir sind sozusagen | |
teilnehmende Beobachter:innen eines laufenden „technologischen | |
Experiments“ und kommen jetzt immer mehr zu dem Ergebnis, dass die Art, wie | |
wir mit Social Media umgehen, schädlich ist – für die Individuen selbst und | |
für die Gesellschaft als Ganzes. Vielleicht ist es an der Zeit zu sagen, | |
dass wir aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Pause machen | |
sollten. | |
29 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Paula Schurbohm | |
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