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# taz.de -- Ansteckende Resignation: Der Dystopie trotzen
> Erzählungen vom Untergang der Welt ziehen runter. Was hilft dagegen?
> Unter anderem, keine Hiobsbotschaften über die sozialen Netzwerke zu
> verbreiten.
Bild: Auch wenn die Welt in einer nebligen Dystopie versinkt, lohnt es, dagegen…
Ohne Zweifel: Die aktuelle Weltlage ist erdrückend. In Anbetracht von
Klimakatastrophen, Kriegen, Hungersnöten, Diskriminierung und Angriffen auf
die Demokratie ist eine gewisse Verzweiflung nachvollziehbar. Wir rotieren
in einem Zustand der Dauerüberforderung. Allen bedrohlichen Entwicklungen
zum Trotz hoffnungsvoll zu bleiben, erscheint als Herkulesaufgabe.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich in den sozialen Medien
zunehmend Resignation breit macht. Seit einiger Zeit sind die Timelines
nicht mehr nur voller Hiobsbotschaften, sondern füllen sich stärker mit
Kommentaren, deren Tenor etwa so zusammengefasst werden kann: Alles ist
unausweichlich furchtbar, es wird schlimmer und schlimmer, und das ist
durch nichts mehr aufzuhalten. Kurz: Der Untergang hat längst begonnen.
Die Sogwirkung dieser Kommentare in den Abgrund der Verzweiflung ist
mindestens so gigantisch wie die der schlechten Nachrichten, die sie
veranlasst haben. Wer noch Hoffnung hat, sich an sämtliche verfügbaren
Strohhalme klammert, wer Zeit, Kraft und Mut aufbringt, um an einer
Verbesserung der Verhältnisse zu arbeiten, mag zunehmend den Eindruck
gewinnen: Das bringt doch alles nichts, die Menschheit ist verloren.
Genau da liegt das Problem: [1][Resignation ist ansteckend.] Sie breitet
sich aus wie ein Virus. Vor allem, wenn wir ihr allerorten ausgesetzt sind,
ob wir das wollen oder nicht. Es ist nachvollziehbar, aufgeben zu wollen.
Auch der Impuls, das mitzuteilen, den eigenen Frust rauszuschreien, ist
naheliegend. Wo ginge das besser als in den sozialen Netzwerken? Die ihnen
innewohnende Aufmerksamkeitsökonomie belohnt frustrierte Posts: je
zugespitzter, desto besser.
Genau deshalb sollten wir fragen, welche Effekte es hat, der Welt
ungefiltert unsere Mutlosigkeit entgegenzuschleudern. Denn die Prognose,
dass alles unaufhaltsam auf eine Katastrophe zusteuere, birgt wenig
Potenzial, ihr eigenes Eintreffen am Ende abzuwenden. Davon auszugehen,
dass es unter Garantie schlimm komme, trägt im Gegenteil dazu bei, dass
genau das immer wahrscheinlicher wird. Fatalismus wird hier rasch zur
selbsterfüllenden Prophezeiung.
Das gilt einmal mehr, wenn sich das Resignationsvirus durch die öffentlich
kundgetane Hoffnungslosigkeit wie ein Lauffeuer verbreitet. Wer glaubt, es
sei nichts mehr zu retten, wird sich nicht mehr um Rettung bemühen. Je mehr
Menschen resignationsbedingt ihre Anstrengungen einstellen, die Welt besser
zu machen, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass der viel
beschworene Untergang tatsächlich eintritt.
Gegen all das gibt es ein Gegenmittel, sogar mit zwei Komponenten:
[2][strategische Zuversicht] und digitale Impulskontrolle. Strategische
Zuversicht rettet uns über die Phasen hinweg, in denen die echte Hoffnung
auf der Strecke bleibt. Den Gedanken zuzulassen, dass es doch noch gut
ausgehen könnte, kann eine Option eröffnen, es gemeinsam besser zu machen –
entgegen aller Skepsis.
Denn kaum jemand dürfte zum Handeln motiviert werden, wenn andere dauernd
sagen: „Lass mal, das bringt doch eh nichts!“ Andere mitreißen können wir
hingegen damit, uns die Vision einer besseren Welt wieder zuzutrauen und
das auch offen auszusprechen. So lässt sich der Zerstörungskraft
öffentlicher Resignation eine konstruktive Haltung entgegensetzen – ein
Gegengewicht zum Abwärtstrend gesellschaftlicher Debatten und eine große
Chance, diesen Trend endlich wieder zu drehen.
Es geht hier wohlgemerkt nicht darum, Furchtbares krampfhaft in ein
positives Licht zu rücken und der Zukunft fortan nur noch mit rosaroter
Brille auf der Nase entgegenzusehen. Die Lage ist ernst. Das wegzuwischen
ist nicht die Lösung. Zumal auch Sorglosigkeit kein Antrieb dafür ist,
aktiv an der Verbesserung der Situation mitzuwirken. Ja, wir sollten auf
das Schlimmste vorbereitet sein, aber in dem Sinne, dass wir wissen, was zu
tun ist, um uns mit aller Kraft dagegenzustemmen. Was dabei hilft:
Zusammenhalt und Solidarität, online wie offline.
## Gegen Vereinzelung und Ohnmachtsgefühle
Es ist wertvoll, uns gegenseitig zu vergewissern, dass wir diese Welt noch
nicht verloren geben. Andere an unserer Seite zu wissen, hilft gegen
Vereinzelung und lähmende Ohnmachtsgefühle. Wer gemeinsam für ein Anliegen
kämpft, muss sich nicht individuell exponieren, macht sich nicht als
Einzelperson angreifbar. Viele Stimmen ergeben einen lauten Chor, der lässt
sich sehr viel weniger überhören als die Worte, die wir als Einzelne
ergreifen.
Wir sollten uns zukünftig besser zweimal überlegen, ob wir zur öffentlichen
Resignation beitragen wollen, oder uns stattdessen in Zurückhaltung üben.
Wenn wir wieder einmal kurz davor sind, unseren Frust ins Internet zu
schreiben, könnten wir uns vielleicht fragen, wem das eigentlich nützt. Uns
selbst? Den anderen? Klar, was in den sozialen Medien passiert, entscheiden
in weiten Teilen die Plattformbetreiber und deren Algorithmen. Aber:
[3][Wir Nutzer_innen haben durchaus Gestaltungsspielräume.] Durch die
Auswahl der Plattformen, auf denen wir unterwegs sind sowie durch unsere
Nutzung. Doomscrolling, das endlose Scannen negativer Nachrichten, zieht
runter.
Unsere eigenen Inhalte und die, die wir verbreiten, können das befeuern –
und darauf haben wir durchaus einen Einfluss. Natürlich ist strategische
Zuversicht keine Garantie dafür, dass es am Ende nicht doch so schlimm
kommt, wie viele befürchten. Besser werden kann es jedoch nur, wenn wir
endlich damit aufhören, öffentlichkeitswirksam aufzugeben.
7 May 2025
## LINKS
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[3] /Klimaschutz-und-Demokratie/!vn6078407
## AUTOREN
Amrei Bahr
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