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# taz.de -- Carla Kaspari: „Missstände anzuprangern, finde ich langweilig“
> Carla Kaspari erschafft in ihrem Roman ein Europa der Zukunft. Warum es
> dort nicht nur dystopisch einhergeht und was Aktivismus von Hoffnung
> unterscheidet.
Bild: Carla Kaspari entwickelt in ihrem Buch eine kleine Utopie, statt sich Hor…
taz: Frau Kaspari, Sie haben ein Buch geschrieben, das im Jahr 2130 in
Europa spielt. Beschreiben Sie mal in wenigen Worten die Lebensumstände,
die dann herrschen.
Carla Kaspari: In meinem Roman ist es für die meisten Menschen sehr
schwierig geworden, ein gutes Leben zu führen. Wegen gefährlicher
UV-Strahlung, Starkregen, Dürre und hoher Staubbelastung der Luft wird die
Bevölkerung dazu angehalten, das Haus nur während bestimmter Monate, den
„Outdoor-Saisons“, zu verlassen. Im Sommer ist das gar nicht mehr möglich.
taz: Eine Dystopie.
Kaspari: Eigentlich habe ich die Prognosen, die man sich heute anschauen
kann, nur auf die Spitze getrieben – und natürlich an manchen Stellen ein
bisschen fantasiert in einem Rahmen, der möglich ist. Im Nachhinein haben
das viele Leute als eine Dystopie dargestellt, und das ist vielleicht auch
so, formal gesehen. Aber für mich hat sich das beim Schreiben gar nicht
dystopisch angefühlt, sondern fast realistisch.
taz: Ist es leichter, eine Dystopie zu erschaffen als [1][eine Utopie]?
Kaspari: Schwarzmalerei ist auf jeden Fall sehr, sehr einfach. Ich spiele
damit, thematisiere in dem Buch eine fatalistische Grundhaltung, die ich
aktuell beobachte. Ich wollte einen Sweetspot finden zwischen dem, was
wirklich passieren könnte, und dem, was Schwarzmalerei ist. Aber es war
nicht meine Intention, zu sagen: Ich entwerfe eine krasse Dystopie, in der
alles schlecht ist, weil das schließlich das ist, was uns in hundert Jahren
erwartet. Mit dieser düsteren Außenwelt wollte ich eher eine Folie
schaffen, um über Verhaltensweisen zu schreiben, die wir uns im Umgang mit
Krisen angeeignet haben. In meinem Buch gibt es Kreativen-Dörfer …
taz: … in denen oberflächlich betrachtet ein gutes Leben unter einer
belüfteten Kuppel möglich ist.
Kaspari: Ja. Die Dörfer sind klimatisiert, die Luftqualität wird
kontrolliert, es existieren sogar noch Jahreszeiten wie wir sie heute
kennen. Spes I, so heißt das Dorf, in dem große Teile des Romans spielen,
ist zumindest auf den ersten Blick eine Utopie in der [2][Dystopie].
taz: Sie entwerfen [3][ein Horrorszenario], die realen Klimaprognosen für
das Ende des Jahrhunderts sind schon apokalyptisch genug. Wieso gehen Sie
darüber hinaus?
Kaspari: Ich wollte [4][kein klassisches Climate-Fiction-Buch] schreiben,
das sich ganz eng an eine physikalische Realität hält. Missstände
anzuprangern, finde ich langweilig. Als ich das Buch geschrieben habe,
hatte ich außerdem das Gefühl, dass sich alles, was heute passiert, morgen
ändern kann. Deswegen ist vieles mit Absicht überhöht, es gibt fantastische
Momente. Ich glaube nicht, dass es irgendwann Staub regnen wird. Ich denke
auch, dass es für klassische Apokalypsen viel zu spät ist. Apokalypse ist
ein schleichender Prozess, der – pessimistisch gesprochen – vielleicht
längst passiert.
taz: Hoffnung spielt in Ihrem Buch eine zentrale Rolle. Sie haben mal
gesagt, Hoffnung wäre das Gegenteil von Aktivismus. Wie ist das gemeint?
Kaspari: Der Begriff Hoffnung ist mir in den letzten Jahren
überproportional oft begegnet. Deswegen habe ich überlegt, was das
eigentlich genau bedeutet. Ich weiß es bis heute nicht so richtig, ist es
etwas Religiöses, vielleicht eine Form des Optimismus? Auf jeden Fall ist
Hoffnung passiv.
taz: Inwiefern?
Kaspari: Es ist nichts, für das man etwas tun muss. Es bedeutet, dass man
etwas auf sich zukommen lässt, wenn alles andere schon vergebens versucht
wurde. Der Aktivismus steht dazu absolut in Opposition.
taz: Das heißt, Aktivismus braucht keine Hoffnung?
Kaspari: Natürlich braucht Aktivismus Hoffnung. Aber Hoffnung braucht
keinen Aktivismus. [5][Hoffnung] ist immer eine Projektion und entsteht oft
aus Machtlosigkeit. Sie kommt oder kommt nicht, sie stirbt zuletzt, sie ist
gewissermaßen ein Selbstläufer. Sich nicht auf die Hoffnung zu verlassen,
sondern etwas zu tun, das ist viel anstrengender.
taz: In Ihrem Buch wird Hoffnung synthetisch hergestellt und als Droge per
Vape konsumiert. Wird Hoffnung in der Gegenwart überthematisiert?
Kaspari: Aktuell begegnet einem Hoffnung überall, in Medien, Kunst, Kultur,
auch in der Politik. Der Spiegel hat [6][in einer Titelgeschichte hundert
Hoffnungsträger:innen ausgerufen], die Linke hat [7][eine Erklärung
veröffentlicht], in der gefordert wird, die Hoffnung zu organisieren. Und
das sind nur zwei Beispiele, die mir spontan einfallen. Ich glaube, wenn so
viel nach Hoffnung gesucht wird, dann spricht das dafür, dass es ziemlich
düstere Zeiten sind. Im Jahr 2130 in meinem Roman ist Hoffnung sogar so rar
geworden, dass sie synthetisiert wird.
taz: Einige Climate-Fiction-Autor*innen sagen von sich, sie möchten mit den
Romanen etwas bewirken. Passt ein [8][moralischer Anspruch] in die
Literatur?
Kaspari: Das kommt auf den Text an. Man kann Geschichten mit Moral nicht
pauschal ihre Daseinsberechtigung absprechen. Ob Literatur interessanter
wird, wenn sie eine konkrete politische Agenda hat oder ob ein Roman die
Klimakatastrophe aufhalten kann, das sind andere Fragen. Klimathemen haben
es ja schon abseits von Kunst und Literatur sehr schwer.
taz: Was kann ein Roman über die Klimakatastrophe erreichen, was eine
wissenschaftliche Studie nicht kann?
Kaspari: Ein Roman kann verschiedene Positionen abbilden, überspitzen,
untertreiben oder lustig sein und dadurch einen interessanteren,
subtileren, leichteren Zugang schaffen. Die Klimakrise findet medial viel
zu wenig statt, weil sie in der Aufmerksamkeitsökonomie keine Chance hat –
und das trotz zunehmender Bedrohung und konkreten Auswirkungen für die
Menschheit. Manchmal habe ich den Eindruck, viele haben sich längst damit
abgefunden.
taz: Es geht um die Lebensgrundlagen der Menschheit und das Publikum ist
gelangweilt. Was nun?
Kaspari: Meiner Meinung nach hilft nur eine drastischere Klimapolitik. Und
für die Einzelne: ins Handeln kommen, statt nur zu hoffen, dass es besser
wird.
8 Jun 2025
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[3] /Endzeitszenarien-in-Klimastudien/!5867790
[4] /Klimawandel-in-der-Literatur/!5932983
[5] /Hoffnung-und-Klimakrise/!6056281
[6] https://www.spiegel.de/panorama/hoffnungstraeger-100-geschichten-von-mensch…
[7] https://www.die-linke.de/start/presse/detail/die-hoffnung-organisieren/
[8] /Philosoph-ueber-Moral-in-der-Klimakrise/!5946170
## AUTOREN
Marcus Wolf
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