# taz.de -- Studentensprecherin über Koalitionspläne: „Studierende gehen in… | |
> Union und SPD wollen das Bafög bis 2028 auf Grundsicherungsniveau heben. | |
> Zu spät, findet Emmi Kraft vom Studierendenverband fzs. | |
Bild: Was viele junge Leute umtreibt: bezahlbares Wohnen | |
taz: Frau Kraft, Sie haben den Koalitionsvertrag von Union und SPD aus | |
Sicht der Studierenden durchforstet. Wie sehr geht die neue Bundesregierung | |
auf Ihre Lebensrealität ein? | |
Emmi Kraft: Wir Studierende sind ja in der Regel junge Menschen. Und da hat | |
der Koalitionsvertrag ehrlich gesagt ziemlich wenig zu bieten. Mein | |
Eindruck ist, dass junge Menschen für Union und SPD zweitrangig sind. Das | |
halte ich für ein großes Problem. Junge Menschen sind schließlich die | |
Zukunft des Landes. | |
taz: In einem [1][aktuellen Positionspapier] haben Sie sich neben | |
Hochschulthemen auch kritisch zu Wohn-, Verkehrs- oder Steuerpolitik von | |
CDU, CSU und SPD geäußert. Haben Sie auch Vorhaben entdeckt, die Sie als | |
progressiv bezeichnen würden? | |
Kraft: Progressiv vielleicht nicht unbedingt, es gibt aber ein paar | |
begrüßenswerte Punkte. Gut finden wir zum Beispiel, dass das Programm | |
„Junges Wohnen“ verlängert und die Mittel verdoppelt werden sollen. Die | |
Bedingungen an Studierendenwohnheimen sind teils menschenunwürdig. Wir | |
wissen von Rattenplagen, Schimmel, undichten Fenstern. Es ist wichtig, dass | |
hier investiert wird. Und wir brauchen viel mehr Wohnraum für Studierende. | |
taz: Bis es so weit ist, versprechen Union und SPD eine „WG-Garantie“ für | |
Auszubildende und Studierende. Dafür will der Staat künftig privaten | |
Wohnraum für diese Gruppen freihalten und bezahlen. Sie halten das für das | |
falsche Rezept. Wieso? | |
Kraft: Zu diesem Punkt erreichen uns gerade viele Fragen von Studierenden. | |
Es ist tatsächlich nicht ersichtlich, was das Ganze soll. Die Idee klingt | |
ja ganz süß, aber langfristig bringt das gar nichts. Problematisch finde | |
ich vor allem, dass das Geld direkt an die Vermieter:innen gehen soll, | |
die das Geld – mal pauschal gesprochen – nicht so dringend nötig haben. Wir | |
befürchten hier eine Umverteilung von unten nach oben. Dazu kommt: Wenn | |
jetzt auch noch der Staat für überteuerte Mieten aufkommt, müssen die | |
Eigentümer:innen ja nicht mal mehr moralische Bedenken haben, dass sie | |
den armen Studierenden das Geld aus der Tasche ziehen. | |
taz: Beim Bafög winkt dafür deutlich mehr Geld. Union und SPD versprechen | |
eine Erhöhung der Bedarfssätze auf Grundsicherungsniveau, inklusive höherer | |
Wohnpauschale. Damit würde der Höchstsatz von aktuell 992 Euro auf | |
voraussichtlich über 1.100 Euro steigen und künftig regelmäßig angepasst | |
werden. Ist das nicht ein Erfolg? | |
Kraft: Auf jeden Fall. Mit der Erhöhung auf Grundsicherungsniveau erreicht | |
das Bafög erstmals das Existenzminimum. Das ist überfällig, vorher hat die | |
Politik Studierenden ja kein menschenwürdiges Existenzminimum zugestanden. | |
Selbst das [2][Bundesverfassungsgericht hat das in seinem Urteil kürzlich | |
leider nicht beanstandet]. Insofern sind wir über diese Erhöhung glücklich. | |
Kritisch sehen wir aber, dass dies erst zum Wintersemester 2028/29 kommen | |
soll. Die Leute, die heute studieren, werden in großer Zahl leer ausgehen. | |
Das zeigt, an welcher Stelle auf der Prioritätenliste Studierende stehen. | |
taz: Bis 2028 dürfte auch die geplante Mietkostenpauschale von 440 Euro | |
knapp werden. Laut der [3][regelmäßigen Erhebung des Moses Mendelssohn | |
Instituts] werden schon in diesem Sommersemester im Schnitt 493 Euro für | |
ein WG-Zimmer fällig – in Berlin, Köln oder Hamburg sind es bereits mehr | |
als 600 Euro. | |
Kraft: Und in München 800 Euro. Fast doppelt so viel, wie Union und SPD | |
bereitstellen wollen. Das zeigt, dass die Wohnkostenpauschale an die | |
örtlichen Mietpreise angepasst werden muss. Das haben wir schon länger | |
gefordert. Eigentlich gab es vor der Bundestagswahl auch Stimmen in Union | |
und SPD, die diese Idee unterstützt haben. Es macht ja wenig Sinn, für | |
Studierende in Greifswald und München den gleichen Wohnzuschuss zu zahlen. | |
Wir hätten es auch sehr begrüßt, wenn die Wohnkostenpauschale automatisch | |
an steigende Mieten angepasst würde – im Koalitionsvertrag ist aber nur von | |
einer regelmäßigen Überprüfung die Rede. Die letzten Jahre zeigen, dass das | |
leider nicht so gut geklappt hat. | |
taz: Nicht so gut geklappt ist auch ein gutes Stichwort für bessere | |
Arbeitsbedingungen an Hochschulen. Die [4][Ampel ist mit ihrer Reform | |
kläglich gescheitert]. Nun versprechen CDU, CSU und SPD vage, die Situation | |
für Forschende, Lehrende und Studierende „nachhaltig“ verbessern zu wollen. | |
Was ist nötig, damit es dieses Mal klappt? | |
Kraft: Zentral ist sicher eine Reform des | |
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Was die Regierung hier plant, ist aber, | |
wie Sie gesagt haben, ziemlich unkonkret. Fest steht eigentlich nur, dass | |
Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion eingeführt werden | |
sollen. Das kann aber auch alles heißen. Wir haben deshalb die Sorge, dass | |
es wieder so laufen wird wie unter der Ampel. Die Koalitionäre zimmern | |
schnell etwas zusammen, wollen noch mal nachbessern und können sich aber | |
dann nicht mehr einigen. Wichtig wäre aus unserer Sicht auch, dass mehr | |
unbefristete Stellen geschaffen werden. | |
taz: Auch hier halten sich Union und SPD bedeckt. Laut Koalitionsvertrag | |
wollen sie eine „Mittelbau-Strategie“ auflegen und Anreize für | |
Departmentstrukturen schaffen, also mehr Karrierewege neben der Professur | |
ermöglichen. | |
Kraft: Prinzipiell halte ich Anreize für einen guten Weg. Die Autonomie der | |
Hochschulen ist schließlich ein wichtiges Gut und sollte nicht zu stark | |
begrenzt werden. Gleichzeitig sollten die Anreize für Departmentstrukturen | |
dazu führen, dass Professor:innen nicht mehr so viel Macht über „ihre“ | |
Lehrstühle haben wie aktuell, was oft ja auch zu Machtmissbrauch führt. Uns | |
wäre wichtig, dass die Koalition hier genau draufschaut und mithilft, die | |
krasse Machthierarchie an Hochschulen abzubauen. | |
taz: Für viele kommt es wegen der prekären Arbeitsbedingungen nicht mehr in | |
Frage, an der Uni zu bleiben. Wie attraktiv sind Unis heute als | |
Arbeitgeberinnen? | |
Kraft: Ich glaube nicht, dass wir irgendwann keine | |
Wissenschaftler:innen mehr haben werden. Es ist ja trotz allem ein | |
spannender Beruf und eine coole Tätigkeit. Es ist eher so, dass man sich | |
den Beruf leisten können muss. Also dass vielleicht zur Not die Familie | |
einspringen kann, wenn ein befristeter Vertrag ausläuft und ich nicht | |
sofort einen neuen bekomme. Und das bedeutet auch klar eine soziale Auslese | |
und damit weniger Diversität in der Forschung. Ich glaube, dass sich das | |
auch sehr darauf auswirkt, zu welchen Themen geforscht wird. Das finde ich | |
höchstproblematisch. | |
taz: Das Bildungs- und Forschungsministerium erhält die Union. Die | |
[5][letzte CDU-Bildungsministerin Anja Karliczek] hat sich nicht wirklich | |
für Studierende eingesetzt. Glauben Sie, dass es dieses Mal besser wird? | |
Kraft: Super optimistisch sind wir natürlich nicht. Wie gesagt, meine | |
Generation findet im Koalitionsvertrag nicht sonderlich viel Beachtung. Wer | |
auch immer das Ministerium übernimmt: Wir sind hier und werden sie oder ihn | |
daran erinnern, dass Studieren ein Recht ist. Und dass man in Zeiten, in | |
denen die AfD und andere rechte Organisationen immer mehr Zulauf gewinnen, | |
die sozialen Probleme von jungen Menschen nicht vernachlässigen darf. | |
22 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.fzs.de/2025/04/17/positionspapier-zum-koalitionsvertrag-zwische… | |
[2] /Verfassungsgericht-entscheidet/!6046178 | |
[3] https://moses-mendelssohn-institut.de/aktuelles/SoSe2025/ | |
[4] /Bildungsversprechen-nach-Ampel-Aus/!6055809 | |
[5] /Nothilfen-fuer-Studierende-wegen-Corona/!5730197 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
## TAGS | |
Schwarz-rote Koalition | |
Bafög | |
Hochschule | |
Soziale Gerechtigkeit | |
Social-Auswahl | |
Jugendliche | |
Bundesregierung | |
Schuldenbremse | |
Bafög | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jugend in Deutschland 2025: Warum seid ihr so optimistisch? | |
Junge Menschen blicken erstaunlich positiv in die Zukunft – und das, obwohl | |
die Politik sich kaum um ihre Anliegen schert. | |
Der Koalitionsvertrag ist fertig: Muss halt | |
Die neue große Koalition ist eine reine Pflichtkoalition. Vieles, was SPD | |
und Union nun ankündigen, liest sich halbgar und vage. | |
Schiene, Straße, Schule: Wohin geht das ganze Geld? | |
Der Bundestag hat das Grundgesetz geändert, damit der Staat höhere Ausgaben | |
finanzieren kann. Und das in bislang ungekanntem Ausmaß. | |
Verfassungsgericht entscheidet: Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög | |
Klagen zwecklos: Das Bundesverfassungsgericht überlässt dem Gesetzgeber die | |
Festsetzung der Bafög-Höhe. Ein individueller Anspruch bestehe nicht. |