| # taz.de -- Spielfilm „Der Wald in mir“: Tief, wild, grenzenlos | |
| > Sebastian Fritzsch erzählt aus der Perspektive des psychisch kranken Jan, | |
| > wie es ist, sich zunehmend für ein Tier zu halten – mit dem Wald als | |
| > Heimat. | |
| Bild: Allmähliche Verwandlung: Der an einer Psychose leidende Jan erlebt sich … | |
| Den Titel muss man wörtlich nehmen! Tatsächlich versucht der Filmemacher | |
| Sebastian Fritzsch in seinem Spielfilm „Der Wald in mir“ vom Wald aus dem | |
| Inneren seines Protagonisten heraus zu erzählen. Und der Wald (gedreht | |
| wurde in Niedersachsen, unter anderem bei Emmerthal und Holzminden) ist | |
| dabei [1][die große Metapher] für das Tiefe, Wilde, Grenzenlose und | |
| Unerklärliche in uns: Der Wald als Seelenlandschaft. | |
| Damit ist dieser Film tief [2][in der deutschen Romantik verwurzelt] – und | |
| auf deren pathetische und leider meist völlig humorlose Empfindsamkeit muss | |
| man sich einlassen. Sonst ist man schnell genervt davon, dass hier 91 | |
| Minuten lang die Welt aus der Sicht eines jungen Mannes gezeigt wird, an | |
| dem das einzig Interessante seine Krankheit ist. | |
| Denn dieser Jan durchleidet eine Psychose. Von der ersten Einstellung des | |
| Films an konzentriert sich Sebastian Fritzsch darauf zu zeigen, wie | |
| verzerrt die Wahrnehmung seines Filmhelden ist. Jan studiert Biologie, doch | |
| wenn er eine Maus sezieren soll, identifiziert er sich so intensiv mit der | |
| Kreatur, dass er eine ihrer Leidensgenossinnen aus dem Labor schmuggelt und | |
| auf dem Rasen vor der Uni freilässt. Seine dunkel verhangene Wohnung ist | |
| voller Tiere in Terrarien, Aquarien und Käfigen. | |
| Eigentlich wäre es sinnvoller gewesen, wenn Jan die Maus als Mahlzeit für | |
| eine von seinen Schlangen mit nach Hause gebracht hätte. Aber Sebastian | |
| Fritzsch zeigt uns die Realität aus der extrem subjektiven Perspektive von | |
| Jan, und in der spielen solche praktischen Erwägungen wie die Fütterung in | |
| seinem Einzimmerzoo keine Rolle. | |
| Jan verliebt sich in die Umweltaktivistin Alice, und diese Liebesgeschichte | |
| liefert den dramaturgischen Bogen der Geschichte. Und bald quäkt und zischt | |
| auch Alice wie ein Tier. Aber inzwischen sind wir schon daran gewöhnt, dass | |
| Fritzsch alle Register des Illusionskinos wie Lichtsetzung, | |
| Farbdramaturgie, ungewohnte Kamerapositionen und ein Sounddesign mit | |
| bedrohlich klingenden Natur- und Tiergeräuschen nutzt, um zu zeigen, dass | |
| Jan in einer ganz eigenen, von seinen Ängsten und Visionen beherrschten | |
| Welt lebt. | |
| Denn, das ist folgerichtig, nur im Wald fühlt er sich heimisch. Dort ist | |
| eine Holzhütte sein Refugium, und dort wird er in seiner eigenen | |
| Wahrnehmung immer weniger Mensch und immer mehr zum Tier. Als er eine Nacht | |
| lang auf einem Baum sitzt und dort so krächzt, sowie mit dem Kopf zuckt wie | |
| eine Eule, zieht Alice die Notbremse und lässt ihn einweisen. Hier ist | |
| Fritzsch dann doch sehr realistisch, wenn er zeigt, wie der Patient | |
| [3][fixiert und ruhig gespritzt wird]. Und auch der folgende Absturz von | |
| Jan, der seine Wohnung verliert und an der Uni von den Prüfungen | |
| ausgeschlossen wird, zeigt der Film in naturalistischen Bildern. | |
| Doch in den letzten Einstellungen scheint Jan dann tatsächlich zu einem | |
| Tier im Wald zu werden. Da trägt er eine Zahnprothese, die wie ein Requisit | |
| aus einem Werwolf-Film wirkt, und wenn Alice ihn schließlich im Wald sucht, | |
| trifft sie auf einen Fuchs, in dem sie Jan zu erkennen glaubt. | |
| Über Sebastian Fritzsch steht im Pressematerial, er habe selbst | |
| „[4][Erfahrungen mit Psychosen]“ gemacht, und man spürt im Film, wie | |
| wichtig es ihm ist, dem Publikum zu verdeutlichen, wie tiefgreifend und | |
| zerstörerisch diese Krankheit sein kann. Und mit Leonard Scheicher in der | |
| Rolle des Jan hat er einen Darsteller gefunden, der sich sehr intensiv und | |
| glaubwürdig in die verschiedenen Stadien einer psychotischen Episode | |
| hineinversetzen kann. | |
| Doch weil sich Fritzsch so stark auf die Krankheitsgeschichte konzentriert, | |
| gibt er der Figur nicht den Raum und die Zeit, um in den ersten Minuten | |
| des Films erst einmal das Interesse und die Sympathie des Publikums zu | |
| wecken. So erleben wir Jan nur als einen Kranken, dem eine komplexe | |
| Persönlichkeit fehlt, die es viel leichter machen würde, sich in ihn | |
| einzufühlen. | |
| Und leider vertraut Sebastian Fritzsch seinen eigenen stilistischen Mitteln | |
| nicht so recht, denn nur so lässt sich erklären, dass er die konsequente | |
| subjektive Perspektive des Films mit einer wehmütig sentimentalen Filmmusik | |
| durchbricht. Oder hört Jan, während er wie ein gejagtes Tier durch den Wald | |
| läuft, wirklich in seinem inneren Ohr eine schnulzige Popballade mit einem | |
| englischen Songtext? | |
| 8 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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