Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Messe für Ostprodukte: Der Geschmack des Ostens
> Bei der Ostpro findet sich, was es früher in der DDR im Konsum zu kaufen
> gab. Manche nehmen dafür sehr weite Wege hin zu der Messe in Berlin auf
> sich.
Bild: Zielpunkt Vergangenheit: hier mal eine Ostpro-Perspektive bei einer Messe…
Die Warteschlange am Eingang ist gigantisch, weit über
Berghain-Dimensionen, eigentlich dem Goldstandard in dieser Kategorie in
Berlin. Alle wollen Einlass auf das Gelände der Trabrennbahn Karlshorst, wo
in einem Außen- und einem Innenbereich die Messe Ostpro stattfindet, deren
Markenkern das Anbieten von Produkten aus dem Osten der Republik ist.
Berichtet man anderen Wessis aus dem eigenen Bekanntenkreis von dieser
Veranstaltung, hat keiner je etwas von dieser gehört. Aber von denen kennt
ja auch niemand die „Schlagersüßtafel“ getaufte Schokolade von Zetti oder
die Schokocreme „Nudossi“. Für Ossis aber, jedenfalls für diejenigen, die
noch einen Teil ihres Lebens als Bürger oder Bürgerinnen der DDR verbracht
haben, sind das Kultprodukte. Und um diese erstehen zu können wie einst in
den Konsum-Märkten, stürmen die Leute diese Messe. Und nicht nur die Alten,
ganze Familien sind da. Wobei die beiden Töchter einer angesprochen Mutter
schnell klarmachen, dass sie vor allem dieser zuliebe hier seien.
Man selbst ist am letzten Nachmittag des dreitägigen Events gekommen, das
es übrigens zwei Mal im Jahr in Berlin gibt. Ein Mitarbeiter des
Veranstalters sagt am Kassenhäuschen, der Andrang sei permanent so gewaltig
gewesen. Ein Imbiss, der seine original Ost-Ketwurst anbietet, macht gerade
schon den Laden dicht – alles ausverkauft.
Die Ostpro gibt es bereits seit 1991. Nach Mauerfall und Wiedervereinigung
verschwanden bekannte DDR-Marken ganz oder mussten um ihr Überleben
kämpfen. Die Supermarktketten aus dem Westen übernahmen die neuen
Bundesländer und die Kunden und Kundinnen wollten auch erst einmal lieber
Westprodukte.
Ein paar Ostalgie-Wellen später erinnern sich nun aber viele Ossis wieder
an ihre schöne Zeit mit dem Badeschaum von Badusan oder dem Waffelbrot
Filinchen. Auf dass sich ähnlich wie beim Proust- oder Madeleine-Effekt mit
den durch Geschmack oder Geruch ausgelösten Erinnerungen an die Kindheit
beim Planschen in der Badewanne und beim Biss ins Gebäck das Gefühl
einstellen oder verstärken möge, dass ja wirklich nicht alles schlecht war
in der DDR.
## Softeis wie früher
Dementsprechend werden auch die Angebote beworben und präsentiert. Die
Berliner Firma Eiskombinat ist vor Ort und preist ihr „Softeis wie früher“
an. Der Eintritt zur Messe: zwei Euro. Auffallend viele Produkte: ein Euro.
Billig, so wie einst. Ein anderer Stand, der nur gebrauchte Waren anbietet,
nennt sich gar „Der Vorwende Laden“. Würde den ganzen Krimskrams, der hier
aufgetischt wird, all die alten Kochbücher, das olle Geschirr und die
FDJ-Mitgliedsabzeichen, in die Hände eines Wessis fallen, würde der
wahrscheinlich das ganze Zeug komplett in den Müll befördern. So aber und
in diesem Rahmen hat man es mit echtem DDR-Vintage zu tun.
Man fühlt sich ein wenig an den Film [1][„Good Bye, Lenin“] erinnert, wo
die sterbenskranke Mutter in der DDR nicht mitkriegen soll, dass eben die
Mauer gefallen ist, um so vom Schock des Neuen verschont zu bleiben. Die
Liebestöter, die ein Unterwäschehersteller aus Chemnitz feilbietet, wirken
ähnlich gestrig wie so manche der angebotenen Strickwaren aus Apolda, die
vielleicht zu den Zeiten von Margot Honecker mal modisch waren.
Aber wahrscheinlich ist das alles eine Frage der Perspektive. Eine Frau
wühlt sich gerade durch Packungen mit Pudding- und Dessertpulver der
Ostmarke Komet. „Eis & Creme-Dessert Stracciatella“ steht auf diesen oder
„Blaue Grütze“. Wird so etwas überhaupt noch gegessen? Die Frau aber grei…
begeistert zur Sorte „Fruchtcocktail Himbeere“. Sie sei extra aus Hannover
zur Messe angereist, sagt sie, und natürlich komme sie ursprünglich aus dem
Osten. Und sie brauche hin und wieder eben dieses spezielle Dessertpulver.
Die Ossis ticken einfach anders als die Wessis und werden das auch
weiterhin tun, [2][glaubt der Soziologe Steffen Mau]. Auf der Ostpro zeigt
sich, wie recht er damit hat. Demnächst soll die Messe, die auch schon in
Erfurt und Dresden stattgefunden hat, nach Jena und Chemnitz expandieren.
4 Apr 2025
## LINKS
[1] /!816055/
[2] /taz-Talk-mit-Soziologe-Steffen-Mau/!6022132
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
DDR
Konsum
Kindheit
Messe
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
DDR
Kolumne Zu verschenken
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Paper Positions im Flughafen Tempelhof: Die Kunst kommt auch vom Kaufenkönnen
Erstmals gastierte die Kunstmesse Paper Positions in der Haupthalle des
Flughafens Tempelhof. Hier ließ sich etwas Ruhe im Großstadttrubel finden.
Ostern im Religionsvergleich: Das besondere Licht
Christlicher Kerzenzauber und Butterlampen: eine Osternacht im Freiburger
Münster mit wackeligem Chor und buddhistischer Expertise.
Geburtstagsgeschenk der kreativen Art: Wie das Blümchenmuster auf den Teller k…
Einen Nachmittag zusammen mit anderen Keramik anmalen, so etwas lässt sich
buchen. Die Produktion einer eigenen Service-Serie gelingt so eher nicht.
Depot des DDR-Museums: Ein ungewöhnliches Sammelsurium
360.000 Alltagsgegenstände hat das DDR-Museum gesammelt. Die vollständige
Sammlung wird nun erstmals in einem öffentlichen Depot gezeigt.
Über den Frühling in Hamburg: Wenn einen was wirklich glücklich macht
Es sind die kleinen Dinge, die im Alltag für Freude sorgen. Unserer
Kolumnistin reicht ein schönes Erlebnis pro Tag. Doch das Leben bietet
mehr.
Auf der Wandsbeker Polizeiwache: Mit Sicherheit warten
Wenn das Portemonnaie plötzlich weg ist, sollte die Polizei doch die
nächste Adresse sein. Dort aber braucht man Geduld und muss auch warten
können.
Mongolische Selbstvergewisserung: Die alte Klage der Pferdekopfgeige
In der Mongolei sieht man die Zeit als Kriegsmacht als vorbei an und setzt
nun auf Soft Power. In Berlin durfte man dabei von erfundener Tradition
hören.
Fangesänge im Museum: Fußballhymnen mit dem Drang zur Kunst
Legendär ist der Büchsenwurf, der fest zum Mythos vom Bökelberg zählt. Nun
hat Borussia Mönchengladbach auch die erste atonale Fußballhymne der Welt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.