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# taz.de -- Fangesänge im Museum: Fußballhymnen mit dem Drang zur Kunst
> Legendär ist der Büchsenwurf, der fest zum Mythos vom Bökelberg zählt.
> Nun hat Borussia Mönchengladbach auch die erste atonale Fußballhymne der
> Welt.
Bild: Singen für das Hymnus-Projekt in Mönchengladbach
Im Vereinsmuseum von Borussia Mönchengladbach gibt es eine Vitrine, in der
eine Cola-Büchse wie freischwebend in der Luft liegt. Die Büchse ist eine
Reliquie für alle, die den Fußballverein anbeten.
1971 hatte sie ein unbekannter Mensch im Bökelbergstadion in der 28. Minute
des Europacup-Spiels von Borussia gegen Inter Mailand aufs Feld geworfen,
sie landete auf dem Kopf des Inter-Spielers Roberto Boninsegna. Der ließ
sich in einem Akt grandioser Schauspielkunst auf einer Bahre vom Platz
tragen und ebnete damit den Weg [1][zur Annullierung des Spiels], das nach
dem Büchsenwurf mit 7:1 ausgegangen war. Nicht nur wegen des Ergebnisses,
sondern des berauschenden Fußballs der sogenannten Fohlen-Elf als das beste
Borussia-Spiel ever. Eines, das am Ende aus der sportlichen Statistik fiel
und nur noch als großer Mythos zählt.
Das Stadion der Borussia ist 2006 vom Bökelberg mitten in der Stadt in ein
Gebiet am Stadtrand umgezogen. In der Senke des ehemaligen Stadions, der
„Kull“, stehen heute Wohnhäuser, die in ihrer genormten Klotzhaftigkeit wie
eine architektonische Attacke gegen den Mythos Bökelberg wirken. Auf der
angrenzenden Wiese ist irgendwo die Stelle, auf der einst die Büchse
landete. Das ikonische Fleckchen aber ist durch kein Irgendwas kenntlich
gemacht worden. Unbegreiflich, wo doch auch etliche Borussiafans in den
Häusern daneben wohnen sollen.
## Hymnen an identitätsstiftenden Orten
Vom historischen Bökelbergstadion sind noch ein paar Traversen übrig. Auf
denen sangen vor einiger Zeit ein paar Borussiafans die alte Fanhymne
[2][„Die Elf vom Niederrhein“]. Das gehörte zu einem Kunstprojekt des
Klang- und Performance-Künstlers [3][Ari Benjamin Meyers]. In seinen
Projekten erforscht er Strukturen und Prozesse, die das performative,
soziale und ephemere Wesen von Musik neu definieren. So steht es in der
Presseinfo zu seinem Projekt „Hymnus (Fankurve)“, das aus sieben Hymnen
besteht, die er an identitätsstiftenden Orten der Stadt gemeinsam mit
Borussiafans aufgenommen hat.
Mit Fußball hatte Meyers, der aus New York stammt, aber schon lange in
Berlin lebt, bisher wenig am Hut. Aber er ist ein Fan kollektiven
Musizierens (er selbst hat auch mal bei den Einstürzenden Neubauten
mitgespielt). Meyers glaubt an die Kraft des Gemeinsamen.
Da ist er natürlich beim Fußball genau richtig. In den Fankurven gibt es ja
genug von der sowie von den „Dominanzgefügen, Hierarchien und sozialen
Ungleichheiten“, die er mit seinem mehrteiligen Projekt „Kunsthalle for
Music“ aufzeigen will. „Hymnus (Fankurve)“, das auch als
Multimediainstallation im Museum Abteiberg zu begutachten ist, bildet den
Abschluss seiner Trilogie. Anders als die Installation im Museum bleiben
die über die ganze Stadt verteilten Stationen – wie die
Kaiser-Friedrich-Halle oder das alte Polizeipräsidium – noch eine ganze
Weile darüber hinaus zugänglich. Dort sind die traditionellen Fangesänge
wie „Das Borussenlied“ und „Die Seele brennt“ auf Plakaten über QR-Cod…
abrufbar.
Und nicht nur die. Ari Benjamin Meyers hat auch eine neue Hymne komponiert:
„Die MG Elf“. Es handelt sich um eine Elfton-Hymne. „Es ist die erste
atonale Fußballhymne der Welt, aber auch bisschen catchy“, sagt er. „Es ist
eine Folge von elf Tönen für die Zahl der Fußball-Elf, ein Ton weniger als
bei Arnold Schönebergs Zwölftonmusik.“ Sozusagen eine Referenz an ein Stück
Musikvergangenheit.
Die Frage ist natürlich, braucht es in der Kurve Fußballkunstmusik? Manch
Gladbacher Ultra war wohl tatsächlich skeptisch, aber etliche Fans haben
das Lied im Stadion auch mitgesungen, als es der Stadionsprecher vor
einigen Spieltagen anstimmen ließ. Und Ari Benjamin Meyers blickt nun mit
ganz anderen Augen auf die Hardcorefußballfans. „Ihr Gesang, die
Reihenfolge der Lieder, die Vorsänger, ihre Choreos, das ist wie eine große
Theatershow, ein echtes Kunstwerk. Ich wollte nicht nur ein Fremder sein,
der darauf schaut, sondern selbst etwas anbieten.“
Mal schauen und hören, ob „Die MG Elf“ irgendwann ins Kurvenrepertoire
eingeht oder eine musikalische Anekdote in der Borussia-Geschichte bleibt.
10 Feb 2025
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCchsenwurfspiel
[2] https://reportage.wdr.de/kurvenklange-monchengladbach#13068
[3] /Ausstellung-von-Ari-Benjamin-Meyers/!6024466
## AUTOREN
Gunnar Leue
## TAGS
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