# taz.de -- NorwegerInnen in der Elphilharmonie: Das Teufelsinstrument und die … | |
> NorwegerInnen und solche, die es sein wollen: Ein Konzert auf der | |
> traditionellen Hardangerfiedel in der Elphilharmonie. | |
Bild: Das Teufelsinstrument, aus der Nähe betrachtet | |
Und dann sitzt man vorm Kleinen Saal der [1][Hamburger Elbphilharmonie] und | |
wartet auf die NorwegerInnen. Darauf, dass sie in Massen erscheinen zum | |
Konzert der Geigerin [2][Ragnhild Hemsing], die Traditionelles auf der | |
Hardangerfiedel spielen wird. Das ist ein ganz besonderes, archaisches | |
Instrument, das mit seinen neun Saiten eine solche Resonanz erzeugt, als | |
rufe man auf der Hochebene – etwa der [3][Hardangervidda] – Götter und | |
Geister herbei. | |
Mit Norwegen und dem Norwegischen vertraut, hatte man sich ehrlich darauf | |
gefreut, die Diaspora hier zum Konzert versammelt zu finden. Man war | |
sicher, dass viele, wenn nicht alle der – laut Statistik – 750 in Hamburg | |
lebenden NorwegerInnen erscheinen würden. Man war sicher, dass man sie an | |
Sprache, Gebaren und Kleidung erkennen würde. | |
Und tatsächlich: Alsbald erscheinen an diesem Elbphilharmonie-Abend die | |
ersten in Winterstiefeln, robusten Mützen und Norwegerpullovern, als kämen | |
sie grad vom Schneeschippen rein. Andere – die Gediegeneren – tragen | |
skandinavisch-schlichte, edle Schals und Kleider mit dezent verfeinerten | |
Folkloremustern. | |
Sehr schön, denkt man, Erwartung erfüllt. Und dann das: Kein einziges | |
norwegisches Wort ist zu hören, ganz im Gegenteil. Alle plaudern lebhaft | |
auf Deutsch übers Skifahren, über Hütten, Nordkap-Kreuzfahrten, | |
Hurtigrouten und ähnlich Touristisches. Am lautesten jene mit den | |
labbrigsten Skischals und den „echtesten“ Norwegerpullovern. | |
Kann das wirklich möglich sein? Dass sich diese Leute für den Anlass | |
allesamt perfekt als NorwegerInnen verkleidet haben? Aber fürs französische | |
Konzert setzt man doch auch kein Franzosenkäppi auf, das wäre ja kulturelle | |
Aneignung, oder? | |
## Virtuos und berührend | |
Und auch wenn man, karnevalistisch veranlagt, aus Köln stammt und für | |
derlei Mimikry durchaus Verständnis hat, ist man doch arg enttäuscht, kann | |
nicht glauben, dass nur Fake-NorwegerInnen gekommen sind, um die | |
[4][Hardangerfiedel] zu hören. Denn die Weisen aus dem südnorwegischen | |
Valdres, die das Trio um Ragnhild Hemsing spielt, sind wirklich virtuos und | |
berührend – mal melancholisch, mal wild tänzerisch. Das führte im 19. | |
Jahrhundert, zu Zeiten der norwegischen Erweckungsbewegung, sogar dazu, | |
dass die Hardangerfiedel als „Teufelsinstrument“ nicht in Kirchen gespielt | |
werden durfte. Vorbehalte gibt es teils bis heute. | |
Auch das Elbphilharmonie-Publikum bleibt an diesem Abend züchtig und | |
stampft – trotz Aufforderung – zum Tanzlied nicht à la Norvégienne mit den | |
Füßen, sondern tobt nur mal kurz nach dem Maultrommel-Solo des | |
Percussionisten. Auch das Schmunzeln der Leute, als die Geigerin sagt, es | |
sei so „hyggelig“ hier, verrät nichts über etwa anwesendes Norwegertum. | |
Und dann, man hat die Hoffnung schon aufgegeben, spricht das Paar nebenan | |
ganz kurz – zwischen akzentfreiem Deutsch – zwei Sätze in akzentfreiem | |
Norwegisch. Ein winziger Hauch nur, dann ist es vorbei. War da was, oder | |
hat man sich verhört? Auch beim Verlassen des Saals hernach: kein | |
Norwegisch, nichts. | |
## Unerkannte Norweger | |
Lange sinnt man noch über diese Merkwürdigkeit, bis man begreift: Da waren | |
sehr wohl Norweger im Publikum, womöglich sogar viele. Aber man hat in all | |
seiner vermeintlichen Landeskenntnis etwas Wesentliches vergessen: das | |
Janteloven. | |
Das ist ein in den 1930er-Jahren entstandener, Skandinavien-übergreifender | |
Verhaltenskodex, der jedes Heraustreten, jede Abweichung von der Gruppe | |
sanktioniert. Das behindert zwar einerseits die individuelle Entfaltung, | |
aber für den Zusammenhalt der Gemeinschaft ist es durchaus sinnvoll, sich | |
als Einzelner zurückzunehmen. Und weil das tief verinnerlicht ist, fällt | |
man eben auch in der Elbphilharmonie nicht auf. Ein in einer Zeit | |
universellen Gesehenwerdenwollens sehr sympathischer Zug. | |
25 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.elbphilharmonie.de/de/ | |
[2] https://www.ragnhildhemsing.com/ | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Hardangervidda | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Hardangerfiedel | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stadtland | |
wochentaz | |
Norwegen | |
Elbphilharmonie | |
Konzert | |
Kolumne Großraumdisco | |
Schwerpunkt Stadtland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fangesänge im Museum: Fußballhymnen mit dem Drang zur Kunst | |
Legendär ist der Büchsenwurf, der fest zum Mythos vom Bökelberg zählt. Nun | |
hat Borussia Mönchengladbach auch die erste atonale Fußballhymne der Welt. | |
Geigerin Vilde Frang über ihre Motivation: „Eine innere Notwendigkeit“ | |
Geigerin Vilde Frang, norwegische Residenzkünstlerin der Festspiele | |
Mecklenburg-Vorpommern, hat es trotz des Gruppenzwangs ihrer Heimat zum | |
Star gebracht. |