# taz.de -- Geigerin Vilde Frang über ihre Motivation: „Eine innere Notwendi… | |
> Geigerin Vilde Frang, norwegische Residenzkünstlerin der Festspiele | |
> Mecklenburg-Vorpommern, hat es trotz des Gruppenzwangs ihrer Heimat zum | |
> Star gebracht. | |
Bild: Musizieren ist so selbstverständlich wie Zähneputzen: Vilde Frang in Me… | |
taz: Frau Frang, Sie haben mal gesagt: Ich musiziere nicht zum Spaß. | |
Warum nicht? | |
Vilde Frang: Beim Musizieren geht es nicht nur darum, dass ich es gern | |
möchte. Es geht um etwas Größeres. Gleichzeitig ist es für mich ein | |
Grundbedürfnis geworden. Wenn ich einige Tage keinen Kontakt zu meinem | |
Instrument habe, fühle ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Als ob man | |
ein bisschen krank ist. Da bekommt man ja auch schlechte Laune. | |
Musizieren ist lebenswichtig für mich. Eine innere Notwendigkeit. | |
Woher kommt sie? | |
Schwer zu sagen. Mit vier Jahren habe ich angefangen, seither war die Musik | |
immer da. Manchmal fragen mich Leute: Wann hast du entschieden, | |
Geigerin zu werden? Aber ich habe nicht entschieden. Dass Musizieren ein | |
natürlicher Bestandteil meines Lebens ist, war immer klar. | |
Aber dass Sie Geigerin werden, hat Ihr Vater entschieden. | |
Ja, er hatte Einfluss darauf, welches Instrument ich wählte. Denn er und | |
meine Schwester spielten Kontrabass, und ich dachte immer, dass ich | |
dasselbe machen würde. Aber mein Vater fand, zwei Celli in der Familie | |
seien genug. Deshalb bastelte er mir eine winzige Geige. Ich spielte ein | |
halbes Jahr, sie klang schlimm, und ich habe es gehasst. Trotzdem habe ich | |
in dieser Zeit Grundtechniken gelernt. Nach einem halben Jahr bekam ich | |
eine gut klingende Geige. Da war ich total glücklich. | |
Erinnern Sie sich an den ersten Moment mit der echten Geige? | |
Ja, das war Weihnachten. Ich war vier oder fünf Jahre alt und muss am | |
Heiligabend zwei Stunden gespielt haben. Es kann nicht sehr schön | |
geklungen haben. Das war das einzige Mal, dass mich meine Eltern nicht | |
zum Üben auffordern mussten. Denn obwohl ich das Geigen liebe: Zum Üben | |
hatte ich keine Lust. Meine Eltern mussten mich immer auffordern, und | |
heute bin ich dankbar dafür. Für Eltern ist es eine sehr feine Linie | |
zwischen Druck und Ermutigung. Das haben sie hinbekommen: Sie ließen | |
mich nicht zu leicht aufgeben, und das war gut für mich, denn sonst wäre | |
ich zu faul gewesen. | |
Wie verträgt sich das mit der unausgesprochenen skandinavischen | |
„Janteloven“-Übereinkunft? Sie besagt, dass man die Gruppe nicht | |
überflügeln und Kinder nicht unter Druck setzen soll? | |
Tatsächlich ist das „Janteloven“ in Norwegen sehr stark, quasi | |
eingepflanzt. Und als Kind wurde ich oft gefragt: „Hast du Spaß, ist es | |
kein Druck?“ oder „Zwingen sie dich, zu Hause zu üben?“ | |
Wer fragte das? | |
Das konnte jeder sein: Konzertbesucher, meine Lehrer in der Schule. Ich | |
habe das immer gehasst und fand, dass sie nichts verstanden. Denn ich | |
wusste, dass ich geschoben werden musste, um zu üben. Es war, als | |
hätten sie mich gefragt: „Musst du wirklich täglich die Zähne putzen? | |
Deine Hausaufgaben machen?“ Das ist ein echtes Problem im | |
skandinavischen Erziehungssystem: dass man dazu neigt, zu | |
vorsichtig zu sein und Kinder zu unterfordern. | |
Und heute? Haben sich Ihre Landsleute mit Ihrer Karriere abgefunden? | |
Ja, inzwischen fragen heben sie nicht mehr die Augenbrauen und fragen | |
nicht mehr. Anscheinend haben sie verstanden, dass ich herumreise und | |
dass das mein Beruf ist. Die Anerkennung ist gekommen. | |
Wenn die Musik so sehr Teil von Ihnen ist: Wahren Sie da noch die nötige | |
Distanz? | |
Für mich ist es nötig zu fühlen, denn Musik ist etwas, für das ich | |
brennen muss. Wenn ein Stück nichts in dir weckt, bekommt es kein Leben, | |
weil du dich nicht damit identifizierst. Musik ist etwas | |
Kommunizierendes. Und wenn ich nicht mit der Musik kommunizieren | |
kann und einen bloß philosophischen, kalten Standpunkt habe: Dann | |
kann auch das Publikum nichts fühlen, weil ich nichts zu teilen habe. | |
Aber behindert diese starke Identifikation nicht die Analyse eines Stücks? | |
Die Gefahr beim Interpretieren ist: Wenn du eine Blume analysierst | |
und wirklich wissen willst, was hinter dieser Schönheit steckt, | |
pflückst du alle Blätter und suchst. Am Ende ist die Blume zerstört – und | |
ihre Schönheit auch. Du weißt dann, wie sie funktioniert, aber die | |
natürliche Schönheit ist weg. Das gilt auch für ein Musikstück. Du musst | |
ihm Raum lassen. | |
Inwiefern? | |
Es ist schwer zu beschreiben. Wenn ich ein Stück spiele, will ich mit | |
den Wurzeln dieser Musik verbunden sein. Ich studiere die Partitur sehr | |
genau, muss alles über den Hintergrund wissen: Wie ist das Werk | |
entstanden, was durchlitt der Komponist, was wollte er erreichen? Ich lese | |
alle Fakten. Denn wenn du die Wurzeln kennst, verleiht dir das mehr | |
Freiheit. | |
Genügt das? | |
Nicht zwangsläufig. Du kannst alle Fakten kennen und immer noch kalt | |
bleiben. Dann kannst du nichts geben und hast nichts auf der Bühne zu | |
suchen. Bei Beethoven etwa weiß ich immer noch nicht, ob er über mich lacht | |
oder mit mir. Es gibt einfach Stücke, für die die Zeit noch nicht reif | |
ist. Da brauche ich ein paar mehr graue Haare, mehr Wissen, und Weisheit. | |
Es gibt Werke, die ich sehr liebe, von denen ich aber lieber die Finger | |
lasse, um sie nicht zu zerstören. | |
Welche? | |
Zum Beispiel Beethovens Violinkonzert. Er war so versöhnt, als er es | |
schrieb, und ich bin eher eine kämpferische Persönlichkeit. Ich bin | |
noch nicht fähig zu sagen: Ich vergebe alles. Beethoven ist eine echte | |
Herausforderung. Ich werde damit noch warten. | |
Und wie steht es mit norwegischen Komponisten? | |
Ich habe mich nie so sehr als norwegische Botschafterin verstanden. | |
Ich bin sehr froh, dass Edvard Grieg kein Violinkonzert schrieb, denn | |
dann würde man es ständig von mir erwarten. Ich will aber alles spielen und | |
fühle mich in allen Schattierungen von Musik zuhause. | |
Norwegens Folklore kennt sehr starke, teils atonale Streicherparts. Spielen | |
Sie das auch? | |
In der Tat ist eins unserer interessantesten Folklore-Instrumente die | |
Hardangerfiedel mit bis zu zehn Saiten. Ich wünsche mir sehr, sie spielen | |
zu können. Aber sie funktioniert ganz anders als die klassische Geige und | |
ist für mich wie ein fremdes Tier. | |
31 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Musikfestival | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
NorwegerInnen in der Elphilharmonie: Das Teufelsinstrument und die große Verkl… | |
NorwegerInnen und solche, die es sein wollen: Ein Konzert auf der | |
traditionellen Hardangerfiedel in der Elphilharmonie. | |
Haydn-Reset in Schleswig-Holstein: Schlauer Provokateur | |
Mit seinem Haydn-Schwerpunkt tut das Schleswig-Holstein Musik Festival | |
einen guten Griff. Es gibt diesem so intellektuellen wie humorvollen | |
Komponisten seine Würde zurück | |
Russischer Kosmopolit: Nationalkomponist aus Versehen | |
Das Schleswig-Holstein Musikfestival hat sich Pjotr Iljitsch Tschaikowsky | |
verschrieben. Die aufregenden Werke präsentiert es aber nicht. |