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# taz.de -- Mongolische Selbstvergewisserung: Die alte Klage der Pferdekopfgeige
> In der Mongolei sieht man die Zeit als Kriegsmacht als vorbei an und
> setzt nun auf Soft Power. In Berlin durfte man dabei von erfundener
> Tradition hören.
Bild: In der Mongolei, wie hier bei einem Fest in Ulan Bator, keine Besonderhei…
Eigentlich lohnt es sich in Berlin meist kaum, groß auf die Kleidung zu
achten, in der die Menschen auf ein Konzert kommen. Weil man in der Stadt
eher keine großen Unterschiede macht, ob es nun in ein Metal-Konzert geht
oder doch in die Philharmonie. Casual wear. Geht immer.
Insofern war das Konzert letzthin im Auditorium der James-Símon-Galerie auf
der Museumsinsel schon deswegen ein besonderes Ereignis, weil es bereits
beim Publikum was zu gucken gab. Schicke Kleider, farbenfroh und trotzdem
dezent, raffiniert im Schnitt.
Die Leute hatten sich also in Schale geschmissen, weil es ja was Besonderes
zu hören gab an dem Abend mit der mongolischen Musik. Eine schöne
Gelegenheit für die Community, mal die schicken mongolischen Kleider
auszuführen. Und auch für andere, die so ein Teil vielleicht mal auf einer
Urlaubsreise erstanden haben in dieses ferne Land, von dem man
möglicherweise weiß, dass es die Heimat der Pferdekopfgeige ist. Sie ist
das wichtigste Musikinstrument der Mongolen, gilt als ein nationales
Symbol, deren Musik in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes
aufgenommen ist. Und möglicherweise ist dieses Instrument mit dem
charakteristischen hölzernen Pferdekopf, [1][wie auf Wikipedia zu lesen
ist], gar nicht so ewig alt, sondern eine „erfundene Tradition“.
Bevor die Pferdekopfgeige aber ihr Lied singen durfte, musste erst noch der
mongolische Botschafter auf die [2][Strategische Partnerschaft zwischen
Deutschland und der Mongolei], die vor einem Jahr der Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier in Ulan Bator besiegelt hat, verweisen. Und dass
man in der Mongolei nun, da die Zeit als kriegerische Macht doch vorbei
sei, mehr auf „Soft Power“ setze.
Die Kultur soll es also richten. Und weil Kultur ja was mit Reflexion zu
schaffen hat, kann man doch bitte mal kurz überlegen, wen und was man da
auf die Bühne bitten würde bei der Aufgabe, in einem eineinhalbstündigen
Musikprogramm mit Tracht und Tanz Deutschland zu repräsentieren? Da könnte
zum Beispiel der Bogen geschlagen werden von Beethoven über die bayerische
Lederhose zum Berliner Gangster-Rap.
Das Problem der Mongolei: Es gibt dort halt keinen Beethoven, auf dessen
Aufschriebe man in dem Land einfach so zurückgreifen könnte. Es fehlt bei
der Musik an belastbaren Dokumenten. Die Überlieferungen sind vage.
Aber irgendwas geht ja immer, und so hat man beim Ensemble Khaan Nairal
(„Königliches Ensemble“) vom auch noch recht jungen Chinggis Khaan National
Museum in Ulan Bator auf dem Weg dieser kulturellen Vergewisserung neben
der doch als gesetzt geltenden Pferdekopfgeige schon mal etliche
traditionelle Instrumente rekonstruiert, Tröten, Zithern und
Lauteninstrumente, die auf der Bühne von den MusikerInnen in ihren
prachtvollen Kostümen demonstrativ auch wirklich wie eine Erscheinung
vorgezeigt wurden, und gespielt wurde darauf eine neuerfundene „alte“
mongolische Hofmusik, die man sich als eine Mischung aus hiesigem
Mittelalter und Peking-Oper in einer [3][Rondo-Veneziano-Stimmung]
vorstellen darf. Es war eine gefällig lächelnde und schon arg gephotoshopt
wirkende Musik.
Meine Sitznachbarin meinte jedenfalls, dass sie als Mongolin nicht viel
Mongolisches dabei gehört habe.
Aber neben diesem Stochern in erfundener Vergangenheit gab es ja noch im
zweiten Teil des Konzerts [4][die Gegenwart der mongolischen Musik] mit den
sehnsüchtigen Melodien und dem wiegenden Rhythmus, in den sich der Trab der
Pferde eingeschrieben hat. Prima Country & Eastern. Die weite Landschaft
der Mongolei mit den hohen Himmeln war darin zu spüren, vom Trab konnte das
auch in den Galopp gehen, hin zu einer Art funkenschlagendem Jazzrock. Und
wenn dann noch der Kehlkopfgesang dazu kam, dieses besondere Geheimnis der
mongolischen Musik, bei dem aus einem Mund zwei Töne gleichzeitig zu hören
sind, hatte diese Musik einen unglaublichen psychedelischen Kick.
Dafür gab es dann rundherum jubelnde Begeisterung und Standing Ovations.
Wenn man so will: Traditionen verpflichten.
13 Mar 2025
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Mongolische_Pferdekopfgeige
[2] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/2643074-2643074
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Rond%C3%B2_Veneziano
[4] /Mongolischer-Metal-erobert-die-Welt/!5653722
## AUTOREN
Thomas Mauch
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
Mongolei
Identität
Tradition
Kulturpolitik
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