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# taz.de -- Über den Frühling in Hamburg: Wenn einen was wirklich glücklich …
> Es sind die kleinen Dinge, die im Alltag für Freude sorgen. Unserer
> Kolumnistin reicht ein schönes Erlebnis pro Tag. Doch das Leben bietet
> mehr.
Bild: Könnte so ein Glücksmoment sein, hier an der Außenalster in Hamburg, w…
Frühling. Sonne. Im [1][Wohlers Park] steht ein Mädchen auf dem neuen Gras,
das Mädchen ist drei Jahre alt oder vier, und ich denke, das ist das
Schönste, was du heute siehst. Und ich denke gleich hinterher, wie kannst
du das wissen? Ich will kurz das Mädchen beschreiben: Sie ist also sehr
klein, ihr Haar ist kurzrasiert, bis auf ein geflochtenes Zöpfchen, das wie
eine kleine Antenne auf ihrem Kopf steht, sie trägt eine kleine, rote
Brille und ein rosa Tüllkleid.
Ich denke also, das ist das Schönste, was du heute siehst, und dann denke
ich, wer kann das wissen, der Tag ist ja noch nicht um. Aber im Grunde ist
es ja so, wenn man etwas geschenkt bekommt, das einen wirklich glücklich
macht, dann will man nicht, dass dieses Schöne, Glücklichmachende, durch
ein anderes Schönes, Glücklichmachendes noch übertrumpft wird und das
Erste, das man schon liebgewonnen, quasi auslöscht.
Ich weiß nicht, ob das allen Menschen so geht, aber ich bin so, ich möchte
nur eine schönste Sache des Tages haben und dann ist gut.
Natürlich gibt es dann doch noch etwas anderes, sehr Schönes an diesem Tag,
und es lässt sich gar nicht vergleichen, es ist alles immer für sich schön,
man kann es nicht nebeneinanderlegen und sagen, okay, das hier ist schöner
als das andere, sortiere das mal dahinter ein. Manchmal geht das
vielleicht, aber sehr selten, fast schon nie.
## Sie fasst sich ein Herz
Ich fahre mit der S-Bahn, da setzt sich eine ältere Frau mir gegenüber und
lächelt mich an. Weil ich gerade in einem Zustand bin, der mich selbst sehr
viel lächeln lässt, gar nicht aufhören kann ich damit, als existierten
nicht Krieg, Klimakrise, Wohnungsnot und tödlicher Straßenverkehr, lächele
ich entschlossen zurück. Unsere Lächeln treffen sich, sie fasst sich ein
Herz und hält mir ein Bild vors Gesicht, eines von dreien, die sie so lose
in der linken Hand mit sich führt. „Wie finden Sie das?“
Eine Malerei auf einem Blatt Papier in DIN A4. Ich fühle, es ist wichtig,
dass ich ehrlich bin. Deshalb sage ich nicht, wie toll oder etwas
Ähnliches, ich sage, „da fehlt eine Hand? Ist das ein Rücken?“
Sie sagt, „Das erkennt man, nicht wahr?“ Ich nicke. Sie sagt, „Ich male
jetzt.“ „Aha.“ Sie sagt, „Ich habe kein Talent“, und freut sich dabei…
„Das macht ja nichts“, sage ich.
In vielen Zusammenhängen, in meinen eigenen, schiene mir das eine
Katastrophe zu sein, aber ist es das?
## Was kann da noch kommen?
„So schlecht sieht es gar nicht aus“, sage ich. Es ist durchaus
Schlechteres denkbar. „Wir sind zu dritt“, sagt die Frau. Sie sagt, „die
anderen beiden sind wirklich gut, ich nicht.“ Selten sah ich einen Menschen
so glücklich über die eigene Unfähigkeit. Es war keine Koketterie dabei,
oder doch? Sie sagt, „Sie könnten ihre Bilder verkaufen, wenn sie wollten,
aber sie wollen nicht. Wir machen das nur für uns.“ „Richtig so!“, sage …
und steige aus.
Was kann noch kommen, denke ich, jetzt ist doch wirklich sehr viel Schönes
passiert. Und ich denke, ich beneide diese Frau, ich würde auch gerne sagen
können, ich habe kein Talent und die anderen sind besser. Ich könnte es
vielleicht sagen, aber ich würde es nicht glauben. Und darauf kommt es nun
mal an.
Wenn ich es glauben könnte, dann wäre ich frei. Ein Bild malen und es
fremden Leuten in der S-Bahn zeigen. Drei Jahre alt sein und im rosa
Tüllkleid im Park spielen. Ich kann mit dem Lächeln einfach nicht aufhören.
Auf der Edmund-Siemers-Allee fahren die Autos in den blauen Abend hinein.
Frühling in Hamburg.
8 Apr 2025
## LINKS
[1] https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/bukea/themen/hambur…
## AUTOREN
Katrin Seddig
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