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# taz.de -- Entwicklungspolitik und Kolonialismus: „Das Problem liegt eigentl…
> Entwicklungspolitik steht unter Druck – doch sie im Kapitalismus
> abzuschaffen, entfernt nur das Trostpflaster, sagt Entwicklungsforscher
> Aram Ziai.
Bild: Ein Arzt in Nigeria impft ein Baby gegen Malaria. Der Impfstoff ist von d…
taz: Herr Ziai, AfD und FDP fordern, die Entwicklungspolitik abzuschaffen.
[1][US-Präsident Donald Trump wickelt sie gerade in den USA ab]. Ist das
eine progressive Forderung, die die Rechten gekapert haben?
Aram Ziai: Nein. Die Forderung, Entwicklungspolitik abzuschaffen, [2][gibt
es von neoliberaler Seite] schon seit den 50er Jahren. Die Abschaffung der
Entwicklungspolitik ist nur dann progressiv, wenn sie nicht von einem
weltwirtschaftlichen Kontext losgelöst ist. Wenn man Entwicklungspolitik
abschafft, während der globale Kapitalismus bleibt, wie er ist, dann wäre
nur das Trostpflaster weg, aber die anderen Ungleichheiten blieben
bestehen. [3][Jedes Jahr fließen 1.500 Milliarden US-Dollar von den armen
in die reichen Länder]. Wenn man dann das Politikfeld abschafft, wo
zumindest in Teilen auch Geld sinnvoll im Globalen Süden eingesetzt wird,
dann ist das nicht progressiv.
taz: Es gibt aber auch [4][eher linke Denker*innen im Globalen Süden],
die sagen, dass die Entwicklungspolitik gerade den globalen Kapitalismus
zementiert und Ungleichheiten fortschreibt.
Ziai: Es gibt gute Gründe, dieses Politikfeld problematisch zu finden, auch
jenseits außenwirtschaftlich orientierter Projekte. Denn die
Entwicklungspolitik tut so, als ob sich die Länder des Globalen Südens
ändern müssten. Wenn wir auf die Weltwirtschaft gucken, müssen wir aber zum
Schluss kommen, das Problem liegt eigentlich im Norden.
taz: Warum?
Ziai: Da werden die Welthandelsregeln, das Schuldenregime so gezimmert,
dass es zu einer Vertiefung dieser globalen Ungleichheit kommt.
Gleichzeitig wird ein Gesellschaftsmodell als entwickelt vorgestellt, das
den Planeten in den ökologischen Kollaps treibt und nur so erfolgreich
Reichtum produzieren konnte, weil es auf über fünf Jahrhunderten Ausbeutung
anderer Weltregionen beruht. Klar, die eine oder andere ehemalige Kolonie
ist später wirtschaftsstark wie Südkorea geworden. Aber die Vorstellung,
dass das für alle klappen könnte, wenn sie nur hart genug an sich arbeiten,
ist Ideologie. Sie wurde den unabhängig werdenden Ländern am Ende des
Kolonialismus nur versprochen, um sie davon abzuhalten, ins kommunistische
Lager überzulaufen. Dieses Versprechen wird quasi alle paar Jahre erneuert:
von den Millennium-Entwicklungszielen bis zu den nachhaltigen
Entwicklungszielen, den SDGs.
taz: Bei den [5][SDGs, den insgesammt 17 Zielen der Vereinten Nationen],
geht es zum Beispiel darum, weltweit Armut und Hunger zu beenden, oder
nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Sie wurden immerhin von fast allen
Ländern der Welt beschlossen und gelten auch für den globalen Norden.
Ziai: Auf dem Papier gelten die SDGs für alle, aber de facto passiert im
Norden nicht viel. Es gibt keine Begrenzung des CO2-Ausstoßes etwa. Ohne
Rechenschaftspflicht, ohne Verbindlichkeit sind die Ziele ein schönes
Mäntelchen für eine massiv ungleiche Weltwirtschaft. Ehrliche SDGs müssten
globale Steuern für Milliardäre und multinationale Unternehmen auf den Weg
bringen. Die Rücküberweisungen von Migrantinnen machen heute die dreifache
Summe der gesamten Entwicklungsgelder aus. Wenn es tatsächlich um
Armutsbekämpfung und globale Umverteilung ginge, müsste legale
Arbeitsmigration ausgeweitet werden.
taz: Die Gruppe der afrikanischen Länder und einige aus Südamerika haben
[6][das Thema Steuer auf die globale Bühne in die UN gebracht]. Auch über
unfaire Kreditkonditionen und Ratingagenturen wird jetzt gesprochen.
Ziai: Aber es wird bis jetzt nur darüber geredet.
taz: Wie sollte Entwicklungszusammenarbeit denn in dieser ungleichen Welt
aussehen?
Ziai: Es ist wichtig, Partner nicht nur bei der Umsetzung einzubeziehen,
sondern schon vorher bei der Problemdefinition und Projektplanung. Und es
muss darum gehen, marginalisierte Gruppen in dieser entsprechenden
Gesellschaft einzubinden. Bei der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit
ist das in der Regel nicht so. Oft wird von „den Menschen“ in Peru oder
Burkina Faso ausgegangen – ohne anzuerkennen, dass es natürlich
Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft gibt. Ein grundlegender Ansatz
tiefergehender Partizipation wäre, zu schauen, wie diese Machtverhältnisse
aussehen, welche Selbstorganisation es beispielsweise von indigenen
Bewegungen gibt und wie die unterstützt werden können.
taz: Hat die letzte Bundesregierung das nicht versucht?
Ziai: In Ansätzen wird das bisweilen praktiziert. Dann gibt es aber
Projekte des Entwicklungsministeriums, etwa die Unterstützung von
Windkraftanlagen in Mexiko oder das Wasserstoffprojekt in Namibia, wo das
nicht der Fall ist. Hier spielen außenwirtschaftliche Erwägungen eine Rolle
und nicht marginalisierte Gruppen.
taz: Im Moment steht das deutsche Interesse im Vordergrund,
Entwicklungspolitik soll zeigen, was Deutschland davon hat?
Ziai: Es ist das einzige Politikfeld, das nicht nur auf die Durchsetzung
deutscher Interessen ausgerichtet ist, und steht gerade deshalb immer
wieder unter Druck und muss immer wieder zeigen, wie wirksam und effizient
es ist – und dass es durchaus etwas für die Menschen in Deutschland tut.
Seit den 70er Jahren haben progressivere Sozialdemokraten im
Entwicklungsministerium versucht, eine Politik zu fahren, die nicht nur
einseitig an den Interessen der deutschen Unternehmen und der deutschen
Landwirtschaft orientiert ist. Die mussten sich aber unheimlich verbiegen
und haben etwa argumentiert, dass wir in einer globalisierten Welt
natürlich auch negativ betroffen sind durch Krisen und Hunger und massiver
Ungleichheit anderswo, zum Beispiel durch Migration oder Terrorismus.
taz: Ist das nicht so?
Ziai: Dieses gedankliche Konstrukt ist brüchig. Denn letzten Endes kann man
argumentieren, vor Krisen und Terrorismus können wir uns auch schützen,
indem wir die Grenzen dichtmachen oder beschließen, dass Asylanträge nur in
Nordafrika gestellt werden können. Stattdessen müsste ehrlich gesagt
werden, dass wir nicht zu einer global gerechten Welt kommen, wenn die
deutsche Politik nur deutsche Interessen vertritt.
taz: Auch Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) [7][hatte große
Ziele], spricht von Systemveränderung und Anerkennung unseres kolonialen
Erbes. Wie nehmen Sie ihre Politik wahr?
Ziai: Svenja Schulze kann sich zu Recht auf die Fahnen schreiben, dass sie
das Thema Dekolonialisierung auf staatlicher Ebene in die deutsche
Entwicklungspolitik eingebracht hat. Das haben zivilgesellschaftliche
Initiativen lange gefordert, aber jetzt ist es quasi angekommen. Es gab
Workshops, Konferenzen, Ausschreibungen von kleinen Forschungsprojekten zu
diesem Thema. Allerdings wird eine Dekolonisierung der
Entwicklungszusammenarbeit verengt gedacht, ohne den weltwirtschaftlichen
Kontext zu sehen. Man ist bereit, zu sagen, in der Erinnerungspolitik
müssen wir uns dekolonisieren oder bei den Museen. Aber das sind eigentlich
Nebenschauplätze in einer neokolonial strukturierten Weltwirtschaft.
taz: Was ist der Hauptschauplatz?
Ziai: Die Kontrolle von Multinationalen Konzernen, die viel im Globalen
Süden investieren, aber noch viel mehr Gewinne wieder abziehen. Der auf
Freihandel ausgerichtete Welthandel. Dabei setzen sich die
wettbewerbsstärksten Unternehmen durch, und das sind hauptsächlich große
Konzerne aus dem globalen Norden und mittlerweile auch aus China. Damit
haben Kleinbauern aus dem Globalen Süden das Nachsehen. Es braucht einen
Schuldenerlass und, noch wichtiger, eine Reform des Schuldenregimes,
letztlich sogar des konkurrenzorientierten Wirtschaftssystems. Und in Bezug
auf Klimagerechtigkeit eine Abkehr von der imperialen Lebensweise, die auf
billigen Rohstoffen und Arbeitskräften in anderen Regionen beruht.
taz: Wie schätzen Sie die [8][Forderung der Union] ein, das
Entwicklungsministerium ins Auswärtige Amt einzugliedern?
Ziai: Die Frage ist dann, macht sich das Außenministerium
entwicklungspolitische Ziele zu eigen oder werden diese den
außenwirtschaftlichen und geopolitischen untergeordnet?
25 Mar 2025
## LINKS
[1] /Entwicklungshilfe-in-den-USA/!6075098
[2] /FDP-Forderung-zu-Entwicklungspolitik/!6030298
[3] https://www.bundestag.de/resource/blob/1024476/a5e60e4b13b9d7ed807fe0703cff…
[4] https://link.springer.com/referenceworkentry/10.1007/978-981-97-5085-6_43?f…
[5] /Nachhaltigkeitsziele-der-UN/!5957909
[6] /Finanzexpertin-ueber-Steuerpolitik/!6008070
[7] /Aussen--und-Entwicklungspolitik/!6064732
[8] /Entwicklungshilfe-in-den-USA/!6075098
## AUTOREN
Leila van Rinsum
## TAGS
Entwicklungspolitik
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Weltwirtschaft
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