| # taz.de -- Die Wahrheit: Volkswohnen im Touareg | |
| > Sensationelle Wende auf dem Immobiliensektor: Der Autokonzern VW löst die | |
| > große Wohnungsnot auf seine ganz eigene Art. | |
| Bild: Der erste Mieter zieht vorsichtig in einen stillgelegten Tiguan ein | |
| So hat man den Volkswagen-Boss lange nicht mehr strahlen sehen. Oliver | |
| Blume blüht förmlich auf. Er steht auf einer ehemaligen Brachfläche am | |
| Stadtrand von Wolfsburg, schütteres Haar und seidene Krawatte flattern in | |
| der Frühlingsbrise. Blume breitet die Arme aus und verkündet: „Wir werden | |
| für ein völlig neues Lebensgefühl in Deutschland sorgen!“ | |
| Der Konzern-Chef weist auf vier Wohnkomplexe, die nun auf der Brache | |
| stehen. „VW Village, unser Pilotprojekt!“ Jedes Gebäude wirkt wie ein | |
| überdimensionaler Setzkasten aus Stahl, drei Fächer hoch, drei Fächer | |
| breit, recycelt aus ausrangierten Autotransportzügen. Aus jedem Fach schaut | |
| die Frontseite eines Fahrzeugs heraus. Auf Kommando gehen die Scheinwerfer | |
| an und beleuchten ein riesiges VW-blaues Banner: „Volkswohnen – Das Haus.“ | |
| Architekt Hilmar von Mellenacker, der es entworfen hat, betrachtet sein | |
| Werk voller Stolz. „Die Autobranche steckt in der Krise, die Baubranche | |
| auch. Aber: Minus mal Minus ergibt Plus.“ Oliver Blume formuliert die | |
| Grundidee: „Ein SUV ist heutzutage so groß wie ein Einzimmerapartment. | |
| Wohnraum wiederum ist Mangelware. Wenn man das zu Ende denkt, stehen bei | |
| uns Hunderttausende Wohnungen ungenutzt und schlüsselfertig auf dem Hof. | |
| Kein Mensch will unsere Elektroautos fahren. Aber das bedeutet ja nicht, | |
| dass auch kein Mensch darin wohnen würde.“ | |
| Blume öffnet eine Schiebetür im Erdgeschoss. „Das war mal ein VW Touareg.“ | |
| Der CEO hält die Hand vor den Mund. „Unter uns gesagt, ein etwas | |
| unglücklicher Name, wer will schon ein Auto haben, das so heißt wie eine | |
| nicht sesshafte Minderheit in Afrika, kein Wunder, dass sich das schlecht | |
| verkauft.“ Blume lächelt milde. „Jetzt ist es unser Basismodell,VW Home', | |
| natürlich alles voll elektrisch.“ Drinnen riecht es nach Neuwagen, sonst | |
| erinnert aber nur noch wenig daran, dass man sich in einem Auto befindet. | |
| Kein Lenkrad, keine Gangschaltung, kein Armaturenbrett. Und natürlich auch | |
| keine Räder. Blume reicht Infobroschüren herum: „Ihr Parkplatz fürs Leben.… | |
| ## Frei konfigurierbare Innenausstattung | |
| Die Innenausstattung sei „frei konfigurierbar“, erklärt von Mellenacker. | |
| Die Standardwohnung biete zum Doppelbett ausziehbare Sitze, Minibar, | |
| Soundsystem, Niedrigflorteppich und Chemietoilette mit komfortabler | |
| Sitzhöhe. Im ehemaligen Kofferraum gebe es genügend Stauraum, „man hat ja | |
| eh viel zu viel Zeug, die Beschränkung auf das Wesentliche, das ist der | |
| neue Luxus“. Eine Außendusche könne man gegen Aufpreis dazubuchen. „Aber | |
| wer einmal seine Sommerferien in unserem Bulli verbracht hat, der weiß, wie | |
| selten man sich wirklich waschen muss“, sagt Blume lachend. | |
| Das bestätigt auch Gunter Likian, der seit 20 Jahren im Wolfsburger VW-Werk | |
| arbeitet und nach der Scheidung nun in sein neues „Home“ gezogen ist. „Zur | |
| Not tut’s auch mal ein Duftbäumchen.“ Likian grinst. „Ich brauche bloß | |
| meine Playstation und kaltes Bier, Currywurst gibt’s in der Kantine.“ Er | |
| öffnet zischend eine Dose Pils. „Jetzt geht’s mit der Firma wieder richtig | |
| aufwärts. Und Donald Trump, der Vollhorst, kann sich seine Zölle in die | |
| Haartolle schmieren.“ Dass er sich daheim nur gebückt bewegen könne, sei | |
| kein Problem. „Ich stehe eh den ganzen Tag am Band, das reicht.“ | |
| Architekt von Mellenacker sagt, man führe den bundesweiten Trend zum | |
| Mikroapartment konsequent weiter. „In Deutschland fehlen rund 800.000 | |
| Wohnungen. Die stellen wir Ihnen hin, wo Sie wollen, ganz unbürokratisch, | |
| im Baukastensystem mit drei, sechs oder neun Etagen. Wir brauchen keine | |
| Baugenehmigung, keinen Rohbau, keine aufwendige Elektroinstallation, die | |
| liefern wir vom Fließband einfach mit.“ Wärmeschutzverglasung und | |
| Klimaanlage sorgten für eine angenehme Raumtemperatur. „Und die Batterie | |
| hält ewig.“ Ein Kabel führt aus jedem „Home“ zu einer zentralen Ladesta… | |
| mit Wärmepumpe. Bei dem Wort verzieht von Mellenacker das Gesicht, hat sich | |
| aber rasch wieder im Griff. „Das finden sogar die grünen Autohasser super.“ | |
| Und der Preis? „In München kostet eine Einzimmerwohnung durchschnittlich | |
| 750 Euro im Monat“, rechnet Blume vor. „Unser VW Home leasen Sie bereits | |
| für 379 Euro monatlich! Bauen war gestern. So geht Wohnen heute.“ Und für | |
| die Kundschaft mit „gehobeneren Ansprüchen“ habe man auch etwas im Angebot: | |
| „Der ‚VW Suite‘ ist freistehend, erhältlich in Ihrer Wunschfarbe mit | |
| Panoramadach.“ Blume zeigt auf das Zuhause in „Costa Azul Metallic“: „M… | |
| Vorzelt und Sonnensegel dehnen Sie das Platzangebot deutlich ins Freie aus | |
| und verwandeln Ihr Heim praktisch in eine Dreiraumwohnung.“ Der Konzernchef | |
| haut sich auf die Schenkel. „Da würde ich glatt selbst einziehen.“ | |
| Niedersachsens Noch-Ministerpräsident Stephan Weil zeigt sich vom | |
| „Volkswohnen“ begeistert. „Die Deutschen lieben Autos, es ist doch nur | |
| folgerichtig, dass sie auch darin leben.“ Zudem glaubt der SPD-Politiker, | |
| „dass sich mit all den überschüssigen E-Autos endlich das Problem des | |
| sozialen Wohnungsbaus lösen lässt.“ Wer eine Sozialwohnung beziehe, erwarte | |
| ohnehin keinen übertriebenen Komfort. „Kein Platz für die Waschmaschine? Na | |
| und! Dann geht man in den Waschsalon, da hat man Gesellschaft, das wirkt | |
| auch gegen Einsamkeit, deswegen heißt es ja sozial.“ | |
| Mieterschützer äußern sich hingegen zurückhaltend. „Mit Leasingverträgen | |
| haben wir keine Erfahrungen, da müssen wir erst mal das Kleingedruckte | |
| lesen“, sagt Franzi Skagiff vom Mieterverein Wolfsburg. Es müssten | |
| dringende Punkte geklärt werden, etwa ob Sportsitze als Möblierung gelten | |
| und ob auf den knapp acht Quadratmetern ein Familiennachzug möglich wäre. | |
| Der ehemalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) meint, | |
| Menschen sollten zwar ihre Mobilität frei wählen können, „sie ist Ausdruck | |
| von Freiheit“. Die Frage sei allerdings, ob dies auch Immobilität | |
| miteinschließe. „Aber gegen Immobilien hat in unserer Partei ja eigentlich | |
| niemand was.“ | |
| „Apropos mobil, jetzt kommt noch das Ausstattungshighlight!“ Architekt von | |
| Mellenacker präsentiert mit Zauberergeste das „Home Sondermodell mit | |
| Fahrsimulator in realistischer Straßenoptik. Fürs echte Fahrgefühl, mit | |
| Lenkrad und Sitzgurt, und beim Fummeln ist sogar der Schaltknüppel im Weg!“ | |
| Blume und er klatschen sich ab. Das sei die neue Unternehmensphilosophie: | |
| „VW – Er steht und steht und steht.“ | |
| 4 Apr 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Tanja Kokoska | |
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