| # taz.de -- Lyrik von Ella Werner und Slata Roschal: Betrug am Glück | |
| > Ella Carina Werner hat einen Band mit Tiergedichten veröffentlicht. Die | |
| > sind humoristisch. Und viel weniger relevant als Slata Roschalls neuer | |
| > Band. | |
| Bild: Blick ins Buch: eine schöne Kuh neben einem unbeholfenen, plumpen Zweize… | |
| Nichts spricht gegen einen Ablachabend. Wer sich also mit Ella Carina | |
| Werners feministisch angehauchten Blödelversen, Juliane Piepers | |
| farbig-fröhlichen Illustrationen und einem Kaltgektränk angesichts der | |
| Schrecken der Welt hat narkotisieren wollen, der ist am Dienstag 25. März | |
| im Thalia-Nachtasyl sicher auf seine Kosten gekommen. | |
| Dort hat die Hamburger Humoristin aus ihrem frisch erschienenen Band mit 53 | |
| Stegreifgedichten über Tiere vorgetragen. Das beste von ihnen fungiert | |
| zugleich ungekürzt als Titel: „Der Hahn erläutert unentwegt der Henne, wie | |
| man Eier legt“, lautet es. Das ist lustig. Aber schreit das auch nach einer | |
| Kritik? | |
| Lyrik tut sich schwer, Rezensent*innen zu finden. Ausnahme sind die | |
| Gedichtbändchen von Promis oder Bewohner*innen der Medienblase wie | |
| Titanic-Mitherausgeberin Werner. Auf deren Besprechung drängen dann von hie | |
| und da Freunde und Bekannte, die Freund*innen und Bekannte der Autorin | |
| kennen. | |
| Dieses kapillare Marketing sorgt dafür, dass solche belanglosen Bände | |
| häufiger besprochen werden, als wichtige lyrische Neuerscheinungen der | |
| Saison wie Lydia Dahers im Herbst publiziertes Buch „Wo wir bleiben“ oder | |
| [1][Slata Roschals ganz druckfrischer Band] „Ich brauche einen Waffenschein | |
| ein neues bitteres Parfüm ein Haus in dem mich keiner kennt“. | |
| ## Subtile Komik und grimmiger Humor | |
| Dabei wäre gerade über dieses Buch doch sehr viel zu sagen. Zum Beispiel, | |
| weil Roschal die Subgattung Tiergedicht – in schöner Beiläufigkeit – | |
| zumindest anspielt. „Übrigens essen Kohlmeisen Gehirne anderer Vögel“, | |
| heißt es da an einer Stelle, gar nicht niedlich. | |
| Oder, in einem ganz echten Frühlingsgedicht: „Aufgetaute Larven legen in | |
| Blumenkübeln Marskanäle an“. Die Weichtierwelt bleibt, wie schon im | |
| Vorgänger-Band mit dem schönen Titel „Wir tauschen Ansichten und Ängste wie | |
| weiche warme Tiere aus“, eine wichtige Bezugsgröße. | |
| Gerade deshalb ist es selbstverständlich von hintergründiger Ironie, wenn | |
| Roschal in einem Verspaar apodiktisch behauptet: „Der Lebensweise der | |
| Libellen/Stehen wir gleichgültig gegenüber“. Darin ähnelt unser Verhältnis | |
| zu den Hautflüglern dem zu guter Lyrik. | |
| Diese subtile Komik – die offenkundig ebenso sehr zum Weinen wie zum Lachen | |
| verführen will – gehört zur Tradition guter Tiergedichte. Dass diese oft | |
| einen emanzipatorischen Charakter haben, ist dabei kein Zufall: Ihre Verse | |
| versuchen zwischen dem Ich und dem Tier als einem Medium des radikal | |
| Anderen eine unmögliche Beziehung herzustellen. | |
| Manchmal gelingt dieses Wunder und öffnet sich zu einem Lachen des | |
| Entrinnens aus der Gewalt. Es lässt sich aber auch an seinem Scheitern | |
| komisch verzweifeln. Spuren eines solchen grimmigen Humors [2][finden sich | |
| in Gertrud Kolmars Unken-, Kröten-, Schlangen- oder Fledermaus-Gedichten], | |
| fasslicher und sarkastisch wird er bei Rose Ausländer. Die lässt ein | |
| Hündinnen-Ich im falschen Körper, als „Mensch aus Versehen“ im Büro auf | |
| einen aufdringlichen Mithund treffen, der, durchaus anzüglich, „mit | |
| graziösem Schwung seines Schwanzes“ grüßt. | |
| ## Schallendes Mehrheitslachen | |
| „Die Dichter waren ja auch alle männlich“, benennt Werner unbeabsichtigt im | |
| launigen Nachwort ein Grundproblem ihres Werks: Sie interessiert sich | |
| eigentlich nicht für das Subgenre, dessen sie sich zwecks Belustigung | |
| bedient, und seine Geschichte. | |
| Der maskuline Kanon, der den Horizont ihres Dichtens bestimmt, scheint ihr | |
| die ganze Welt. Dabei ist er doch ein eher enges Gehege, in dem sie hin- | |
| und herrennt: Sie nennt’s feministisch, merkt aber nicht, dass sie bloß | |
| eine mehrheitsfähige Komik reproduziert, die das Andere aufgrund seiner | |
| Andersartigkeit verhöhnt: „Wie komisch sind denn bitte acht Arme?“, | |
| schreibt Werner. | |
| Nicht wettmachen können das Juliane Piepers geglückte Bilder. Die, sämtlich | |
| auf Doppelseiten platziert und daher durch den Mittelfalz beeinträchtigt, | |
| finden immer wieder lustige Wege, mit diesem buchbinderischen Problem | |
| umzugehen und es elegant in die Komposition einzubeziehen. | |
| Einmal, beim Moschusbock Heiner, dem keiner sein Feministsein glaubt, | |
| entwickelt Pieper daraus sogar eine eigenständige Komik: Sie platziert das | |
| Insekt exakt im Zentrum der Panoramaseite. | |
| Diese aufzuschlagen heißt also, dem Käfer beim Man-Spreading zuzuschauen. | |
| Das ist doppelbödig, denn dieses Tierchen wird, so lange sein Lebensraum, | |
| das Buch, intakt bleibt, seine Verhaltensweise niemals ablegen können, auch | |
| wenn es das wirklich wollen würde. | |
| Im Dienste ihrer Verhöhnungs-Witzigkeit zielen Werners plumpe Paarreime | |
| hingegen auf schnelle Höhepunkte, die auf jenes schallende Gelächter | |
| abzwecken, das dem Betrug am Glück dient: Bei aller markierten thematischen | |
| Differenz scheint es [3][dasselbe stählerne Mehrheitslachen, mit dem Mario | |
| Barth Beifall heischt]. Wer glaubt, das Problem bei dem seien ja doch wohl | |
| die Inhalte, und nicht in erster Linie die Form, der wird viel Spaß damit | |
| haben. | |
| 26 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.wunderhorn.de/?buecher=ich-brauche-einen-waffenschein-ein-neues… | |
| [2] https://www.literatisch.de/gertrud-kolmar-tiertraeume.html#Ein%20Tagebuch | |
| [3] /Deutscher-Humor/!5559704 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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