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# taz.de -- Parkinson durch Pestizide: Bauernverband gegen mehr Hilfe für erkr…
> Viele Landwirte führen ihr Parkinsonleiden auf Pestizide zurück. Doch der
> Bauernverband lobbyiert dagegen, dass die Unfallversicherung für sie
> zahlt.
Bild: Mit offener Kabine beim Spritzeinsatz im Traktor: Auch heute schützen si…
Dannenberg (Elbe) taz | Klaus Behrens* fallen beim Essen immer wieder
Nudeln von der Gabel. Seine Bewegungen sind steif und ungelenk, der Anfang
70-Jährige sitzt im Rollstuhl, immer etwas gebückt. Er schafft es nicht zu
grüßen. Die Bewegungsstörungen liegen daran, dass in seinem Gehirn
Nervenzellen abgestorben sind, die den Botenstoff Dopamin produzieren.
Behrens hat das Parkinsonsyndrom und ist dement. Er lebt in einem
Pflegeheim im niedersächsischen Dannenberg. An seinem Rollstuhl hängt eine
Schirmmütze mit dem Logo des Chemiekonzerns Bayer. Die hat Behrens noch aus
der Zeit, als er ein treuer Kunde des Unternehmens war. Er war Landwirt und
hat jahrzehntelang auf seinem Hof [1][Pestizide] unter anderem von Bayer
gespritzt.
Wie bei Tausenden anderen Bauern in Deutschland wird vermutet, dass
Spritzmittel Behrens’ Parkinsonerkrankung verursacht haben. Seine Frau
Anneliese* kämpft deshalb darum, dass die Landwirtschaftliche
Berufsgenossenschaft sein Parkinson als Berufskrankheit anerkennt. Dann
könnte er großzügigere Leistungen als von der Kranken- oder Pflegekasse
bekommen, zum Beispiel höhere Zuschüsse für das Altenheim.
Der zuständige Ärzteausschuss des Bundesarbeitsministeriums hat empfohlen,
das „[2][Parkinsonsyndrom durch Pestizide]“ in die amtliche Liste der
Berufskrankheiten aufzunehmen. Seitdem können Parkinsonpatienten als
Betroffene anerkannt werden – zumindest in der Theorie. Aber die Behrens
haben einen mächtigen Gegner: den Deutschen Bauernverband.
## „Das ist alles traurig“
Seine Lobbyisten haben ein Problem damit, dass die ungefähr 8.000
Parkinsonpatienten in der gesetzlichen Krankenkasse der Landwirte
Leistungen von der Berufsgenossenschaft bekommen sollen. Denn dann würden
die Beiträge dauerhaft steigen, die die Bauern zahlen müssen. Die
Agrarlobbyisten müssten dann auch Umweltschützern und anderen recht geben,
die schon immer vor den gesundheitlichen Risiken von Pestiziden gewarnt
haben.
Anneliese Behrens – Ende 70, grau-weiße Haare – sitzt nun im Zimmer ihres
Manns im Pflegeheim. An den Wänden hängen Erinnerungsstücke aus besseren
Tagen. Zum Beispiel die Auszeichnung, die Klaus Behrens für eine Kuh
bekommen hat, die 100.000 Liter Milch gab. „Auf die war er immer sehr
stolz“, sagt Anneliese Behrens. Auf einem Foto sitzt ihr Mann auf einem
Oldtimertraktor, den er sich zu seinem 60. Geburtstag gekauft hatte.
„Früher war er alles: Bürgermeister, Vorstandschef der Molkerei,
Schützenvereinsvorsitzender. Jetzt ist er nichts. Das ist alles traurig“,
sagt Behrens mit Tränen in den Augen.
Die Behrens waren typische konventionelle Bauern, seit sie den Hof in den
1970er Jahren von seinen Eltern übernahmen. Sie wollten die „Leistung“ der
Kühe steigern, sie nutzten auch die Pestizide. Auf biologische
Landwirtschaft umstellen sei schon deshalb nicht gegangen, weil ihr Mann
CDU-Bürgermeister war, „konservativ bis in die Fußspitzen“, sagt Anneliese
Behrens. Als Biobauer hätte er sich „als Grüner outen müssen“.
Hatten sie auch mal Zweifel, ob das mit den Pestiziden wirklich
gesundheitlich unbedenklich war? „Die Gedanken hatte man gar nicht“,
antwortet Anneliese Behrens. „Wir haben die Mittel eingesetzt, die haben
geholfen und gut war. Der Schaden, der dadurch entstanden ist, der ist uns
später erst bewusst geworden.“ Die Zweifel seien meistens nur „von außen�…
gekommen, von Umweltschützern zum Beispiel. „Da hat man gesagt: Ach, die
Spinner oder so. Das wurde ein bisschen schlecht gemacht. Bis man dann
gemerkt hat: So schlecht war das doch nicht.“
## Mäusen oder Ratten mit parkinsonähnliche Symptome
Schon in den 1980er Jahren wurde ein Unkrautvernichtungsmittel mit dem
Parkinsonsyndrom in Verbindung gebracht. [3][Frankreich erkannte Parkinson]
durch Pestizide 2012 als Berufskrankheit an. Für Deutschland empfahl das im
September 2023 der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten beim
Bundesarbeitsministerium. Seine zwölf Mitglieder – überwiegend
Arbeitsmedizinprofessoren – haben alle wichtigen Studien zum Thema
ausgewertet.
Die Wissenschaftler führten in ihrer Empfehlung mehrere Experimente an, bei
denen Mäusen oder Ratten Pestizide verabreicht wurden. Das habe die
Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Tiere parkinsonähnliche Symptome und
Veränderungen im Gehirn entwickelten, so das Gutachten. Bei Versuchen im
Reagenzglas hätten Pestizide Zellschäden verursacht, die mit Parkinson in
Verbindung gebracht werden. Zahlreiche epidemiologische Studien hätten
zudem gezeigt, dass Menschen, die Pestiziden ausgesetzt sind, ein höheres
Risiko haben, an Parkinson zu erkranken.
„Parkinson wird durch hohe Pestizidexpositionen verursacht“, folgern die
Arbeitsmediziner. Damit Betroffene als solche anerkannt werden, müsse
nachgewiesen werden, dass sie grundsätzlich an 100 Arbeitstagen jeweils
Pestizide gegen Unkräuter, Insekten oder Pilze angewendet haben. Die Zahl
leiten die Experten aus Untersuchungen dazu ab, wie viele Pestizidkontakte
das Risiko für bestimmte Beschäftigte in der Landwirtschaft bedeutend
erhöht haben. In manchen sehr aussagekräftigen Studien sei das Risiko sogar
doppelt so hoch gewesen, wenn die untersuchten Personen den Chemikalien
ausgesetzt waren.
Dabei geht es immer um die Anwender von Pestiziden, nicht um Verbraucher,
die die Mittel über die Nahrung zu sich nehmen. „In der Europäischen Union
sind da die Mengen zu niedrig, um Parkinson auszulösen“, sagt Peter
Clausing. Er ist Toxikologe des Pestizid Aktions-Netzwerks, einer
Umweltorganisation, die sehr kritisch gegenüber der Chemieindustrie ist.
## Was haben sie 1985 auf welche Kartoffel gespritzt?
Ein Pfleger schiebt Klaus Behrens auf seinem Rollstuhl in das Zimmer. Seine
Frau reicht ihm eine Schnabeltasse. Kurze Gespräche kann er noch führen: Er
erzählt, dass er „richtig als Betriebsleiter und Eigentümer“ in der
Landwirtschaft tätig war, dass er Milchvieh hatte, „in guten Zeiten“ so 60,
70 Kühe. Aber auf die Frage, ob er auch mit Pestiziden gearbeitet habe,
gibt er die sinnlose Antwort: „Nein, junger Mann. Boxenlaufstall und
alles.“
Neuer Versuch: Wissen Sie noch, mit welchen Pflanzenschutzmitteln Sie
gearbeitet haben? „Nein, weiß ich nicht mehr.“ Klaus Behrens kann nicht
mehr sagen, ob er an 100 Tagen Insektizide, Herbizide oder Fungizide
angewendet hat. Aber genau diese Daten verlangt die Berufsgenossenschaft
nun, um zu prüfen, ob er höhere Leistungen bekommen kann.
Sie hat den Behrens eine Tabelle geschickt, die sie ausfüllen sollen. Die
Berufsgenossenschaft will wissen, in welchen Jahren an wie vielen Tagen
Klaus Behrens welche Pflanzen mit welcher Pestizidart behandelt hat und wie
die Mittel hießen. „Ich kann diese Tabelle einfach nicht ausfüllen“, sagt
Anneliese Behrens. „Selbst wenn mein Mann noch klar denken könnte, der
wüsste doch auch nicht mehr, was er 1985 auf welche Kartoffel gespritzt
hat.“ Sie sei nicht dabei gewesen. Und sie hätten auch nicht dokumentiert,
was sie spritzten: „Wir mit Milchvieh, wir hatten so viel Arbeit. Da hat
sich keiner abends hingesetzt, das aufzuschreiben“, sagt Behrens.
Die EU und der Bund verpflichten Bauern erst seit 2008 zu dokumentieren,
welche Pestizide sie in ihrem Betrieb eingesetzt haben. Die Unterlagen
müssten sie nur drei Jahre aufheben, berichtet die Landwirtschaftskammer
Niedersachsen. Mehr „Bürokratie“ wollte die Politik den Bauern nicht
zumuten. Aber für manche Landwirte geht das jetzt nach hinten los, weil
Parkinson in der Regel erst viel später ausbricht.
## 160 Posten auf der Chemikalienliste
Anneliese Behrens hat sich deshalb von ihrem Pestizidhändler eine zwölf
DIN-A4-Seiten lange Liste geben lassen über die Mittel, die ihr Mann in
mehr als zehn Jahren gekauft hat. Es sind zig Chemikalien wie Roundup mit
dem Wirkstoff Glyphosat des inzwischen von Bayer gekauften US-Konzerns
Monsanto. Mehr als 160 Posten stehen auf der Liste. „Die haben wir doch
nicht gekauft und in den Stubenschrank gestellt“, sagt Behrens.
Aber der Berufsgenossenschaft reicht das nicht. Sie forderte Behrens in
einem der taz vorliegenden Brief auf, die Tabelle über die Spritzeinsätze
auszufüllen. „Wie soll ich das machen? Mein Mann ist dement. Ich habe das
nicht mitgekriegt“, sagt Anneliese Behrens. „Ich kann mir jetzt nicht
irgendwelche Zahlen aus den Fingern saugen.“
Die fehlenden Nachweise sind ein Grund dafür, dass die Berufsgenossenschaft
bis Anfang April keinen einzigen Parkinsonfall als Berufskrankheit
anerkannt hat, wie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und
Gartenbau der taz mitgeteilt hat. Knapp 5.200 Fälle hat die Versicherung
nach eigenen Angaben bereits abgelehnt. Rund 3.000 prüft sie noch.
„Ich bin fast davon überzeugt, dass ich damit scheitere“, sagt Anneliese
Behrens. Es sei sehr mühselig gewesen, die Unterlagen für die Versicherung
auszufüllen. Aber sie glaubt: „Die wollen das canceln.“
Die Vermutung liegt nahe, weil die Berufsgenossenschaft ein finanzielles
Interesse daran hätte. Sie rechnet damit, dass jeder anerkannte Fall sie im
Schnitt [4][27.600 Euro] kosten wird – pro Jahr. Um das zu schultern,
musste die Versicherung 2024 nach eigenen Angaben insgesamt [5][100
Millionen Euro] mehr an Beiträgen von ihren Mitgliedern einnehmen, vor
allem von den landwirtschaftlichen Betrieben. Das trug dazu bei, dass der
durchschnittliche Betrieb 114 Euro oder 17 Prozent mehr an Jahresbeitrag
zahlen musste als 2023 – das Gros der Kostensteigerung war wegen Parkinson.
Genau deshalb lobbyiert der Deutsche Bauernverband dafür, dass Parkinson
nicht als Berufskrankheit anerkannt wird. In seinen [6][„Kernanliegen“] an
die Parteien zur Bundestagswahl 2025 warnte er vor den „Folgekosten
politischer und nicht fachlich begründbarer Entscheidungen (wie im Fall der
Einordnung ‚Parkinson durch Pestizide‘ als Berufskrankheit)“. Für den Fa…
dass es bei der Anerkennung bleibt, verlangt der Verband von der
Bundesregierung, die Kosten zu bezahlen.
Mit Namen zitieren lassen will sich bei der einflussreichen
Lobbyorganisation auf taz-Anfrage niemand zu dem Thema. Aber ein
Verbandssprecher fordert, es müssten „Zweifel hinsichtlich Kausalität und
Dosismaß ausgeräumt werden“. Dabei beruft er sich vor allem auf das
Bundesinstitut für Risikobewertung. Diese Behörde prüft regelmäßig, ob
Pestizide gesundheitsschädlich sind, wenn sie zugelassen werden sollen. Sie
hat im November 2023 erneut festgestellt: [7][Nur bei den Wirkstoffen
Rotenon und Paraquat] sei belegt, dass sie Parkinson auslösen können. Und
sehr praktisch für den Bauernverband, die Chemieindustrie und die Behörden:
Beide sind in der EU seit [8][2007] beziehungsweise [9][2008] nicht mehr
zugelassen.
Der Bauernverband argumentiert außerdem, dass es in der Landwirtschaft
prozentual nicht mehr Parkinsonerkrankungen gebe als in der übrigen
Gesellschaft. Auch die Landwirtschaftliche Krankenkasse hat mal behauptet,
ihre Versicherten hätten nicht mehr Parkinson als die anderer
Krankenkassen.
Mit dieser Behauptung greift der Bauernverband auch Monika Rieger an, die
federführend an der Empfehlung des Ärzteausschusses beteiligt war,
„Parkinson durch Pestizide“ als Berufskrankheit anzuerkennen. Sie ist
Professorin für Arbeits- und Sozialmedizin an der Universität Tübingen und
stellvertretende Vorsitzende des Ärzteausschusses. Rieger sagt, die
Parkinsonzahlen der Landwirtschaftlichen Krankenkasse seien nicht so
aussagekräftig wie epidemiologische Studien.
„Wir wissen bei den Krankenversicherungsdaten zum Beispiel nicht, was die
Leute genau gearbeitet haben“, erklärt sie. In der Agrarkasse seien auch
Menschen versichert, die nicht mit Pestiziden arbeiten. Zum Beispiel
Biobauern oder Bürokräfte. Auf der anderen Seite fehlten manche Menschen,
die tatsächlich mit den Mitteln in Berührung kommen. Viele Saisonkräfte aus
Osteuropa etwa seien oft in ihren Heimatländern oder bei anderen Kassen in
Deutschland versichert.
„Es ist schon so, dass es insbesondere für Paraquat und Rotenon alles von
allem gibt: vom Tierversuch bis zum epidemiologischen Befund“, sagt Rieger.
„Aber wir haben eine Fülle von anderen Studien – sowohl Tierversuche als
auch epidemiologische Studien am Menschen –, die zeigen: Es ist nicht nur
Rotenon und Paraquat. Und wir haben auch deutlich höherwertige Studien zu
anderen Pestiziden“.
## Etappensieg für den Bauernverband
Viele, auch bis heute eingesetzte Pestizide würden ähnlich wirken: „Sie
setzen zum Beispiel am Atmungssystem der Zelle an und verursachen
oxidativen Stress. Dabei schädigen aggressive Moleküle Nervenzellen“,
erläutert Rieger. Deshalb hält sie es für „biochemisch plausibel“, dass
auch heute eingesetzte Pestizide Parkinson auslösten.
Warum kommt das Bundesinstitut für Risikobewertung dennoch zu einem ganz
anderen Ergebnis? Ein Grund könnte sein, dass die Behörde im Gegensatz zu
Riegers Ausschuss mehrere wichtige Überblicksstudien zu dem Thema nicht
zitiert hat. Außerdem ist das Bundesinstitut dem Agrarministerium
unterstellt, in dem die ökonomischen Interessen der Landwirtschaft
besonders stark vertreten sind. Und: Wenn das Institut anerkennen würde,
dass Parkinson durch eine ganze Reihe von Pestiziden verursacht wird,
müsste es möglicherweise selbst Fehler einräumen. Denn es könnten auch
Stoffe dabei sein, denen es attestiert hat, unbedenklich zu sein.
Dazu von der taz befragt, antwortet das Bundesinstitut im Wesentlichen nur,
dass es „bei seinen wissenschaftlichen Bewertungen und seiner Forschung
weisungsunabhängig“ sei. Es verweist auch auf die „unterschiedlichen
Blickwinkel“ der Behörde und des Ärzteausschusses.
Rieger ist schon seit Jahrzehnten als Arbeitsmedizinerin tätig. Aber wie
die Parkinsondiskussion in der Landwirtschaft verläuft, ist auch für sie
überraschend: „Das erlebe ich das erste Mal, dass die Gruppe, die geschützt
werden soll, sich dagegen wehrt“, sagt die Ärztin. In anderen Branchen ist
es so: Die Unfallversicherung hilft meist nur Arbeitnehmern, die
Arbeitgeber zahlen die Beiträge.
Die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft dagegen kümmert sich auch um
die vielen Selbstständigen auf den Höfen. Hier muss also dieselbe Gruppe
bezahlen, die auch die Leistungen bekommen soll. „Das ist für mich ein
Erklärungsansatz für den Protest gegen die Anerkennung von ‚Parkinson durch
Pestizide‘ als Berufskrankheit“, sagt Rieger. Für Betroffene wie die
Behrens, die nicht mehr arbeiten können, ist das bitter: Ihr eigener
Verband arbeitet gegen ihre Interessen.
Einen Etappensieg haben die Kritiker um den Bauernverband schon erreicht:
Eigentlich wollte das Arbeitsministerium im vergangenen Dezember „Parkinson
durch Pestizide“ in die Verordnung über Berufskrankheiten aufnehmen lassen.
Aber wegen der „Nachfragen“ zu der Empfehlung des Ärzteausschusses hat das
Ministerium die Sache auf unbestimmte Zeit verschoben.
Bernd Schmitz sitzt gerade auf seinem Traktor, als die taz ihn anruft. Der
Bauer aus dem Bergischen Land ist auch stellvertretender
Bundesgeschäftsführer der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft
bäuerliche Landwirtschaft. Die AbL ist genauso wie der Bundesverband
Deutscher Milchviehhalter und der Neuland-Verein für artgerechtere
Tierhaltung dafür, die Berufskrankheit anzuerkennen.
## Gift in der Fahrerkabine
„Aber die Berufsgenossenschaft muss die Hersteller der Pflanzenschutzmittel
oder die Zulassungsbehörden zur Kasse bitten“, fordert Schmitz. Die
betroffenen Bauern und Bäuerinnen haben im guten Glauben auf Angaben zur
gesundheitlichen Sicherheit der Hersteller und Zulassungsbehörden die
Pestizide angewendet. Einen Hinweis auf mögliche Gefahren für eine
Parkinsonkrankheit habe es nicht gegeben.
Doch die Berufsgenossenschaft wolle nicht gegen Industrie oder Behörden
klagen, schreibt ein Sprecher der Versicherung der taz. Sie hält die
Erfolgschancen für zu gering. Denn es müsste „in jedem Einzelfall der
Nachweis geführt werden, dass jemand vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt
hat und hierdurch kausal ein Schaden entstanden ist“. Die
Berufsgenossenschaft müsste zudem belegen, welches Mittel bei welchem
Patienten Parkinson verursacht hat.
Der Industrieverband Agrar, der Bayer und andere Hersteller vertritt,
wendet auch ein: „Keiner kann im Nachgang überprüfen, ob die Mittel immer
sachgerecht angewendet worden sind.“ Denn wenn die Bauern sich nicht an die
Sicherheitsvorschriften gehalten haben, haben sie wohl zumindest eine
Mitschuld.
Anneliese Behrens zieht eine grüne Papierkarte aus der Tasche.
„Sachkundenachweis Pflanzenschutz“ und darunter „Klaus Behrens“ steht
darauf. Wer Pestizide verwendet, soll mit ihr belegen, dass er berechtigt
ist, weil er zum Beispiel die Sicherheitsvorschriften kennt. Das muss er
durch einen Test nachweisen. Aber diese Regeln gelten erst seit 2012.
Vorher waren die Vorschriften zum Gesundheitsschutz „sehr allgemein
gefasst“, wie es die Landwirtschaftskammer Niedersachsen formuliert: Keine
konkreten Vorgaben zu „zertifizierter, geeigneter Schutzkleidung“, die
Bauern hätten nicht dokumentieren müssen, ob sie die Anforderungen
erfüllten, die Behörden hätten „nur im Einzelfall“ kontrolliert.
„Als mein Mann anfing auf dem Hof, war er 21. Da waren die Spritzen noch
nicht so gesundheitsgesichert“, erinnert sich Anneliese Behrens. Die
Pestizidspritzen waren gröber, viel mehr Gift als heute landete dort, wo es
nicht hinsollte. Der Traktor habe auch keine geschlossene Fahrerkabine
gehabt, wie sie heute üblich ist. „Und je nachdem, wie der Wind stand, hat
man das fröhlich eingeatmet“, erzählt Anneliese Behrens. „Als er vom
Spritzen zurückkam, hatte er immer ein puterrotes Gesicht. Ich hatte immer
gesagt: Du musst dich waschen. Du hast Spritzmittel oder Dämpfe auf die
Haut gekriegt.“
Heute, so sagt die Industrie, sei das alles besser. Das stimmt wohl, aber
viele Bauern scheinen immer noch nicht genügend geschützt zu sein. Das
zeigt eine [10][Studie im Auftrag des Bundesagrarministeriums], für die
2015 rund 1.200 Mitarbeiter landwirtschaftlicher Betriebe befragt wurden.
Zwar gaben 80 Prozent an, dass sie einen Traktor mit geschlossener Kabine
hätten. Aber 20 Prozent eben nicht.
Nur knapp 29 Prozent der Höfe hatten demnach einen Traktor mit einem
Aktivkohlefilter in der Kabine, der zuverlässig auch vor
Spritzmitteldämpfen schützt. Lediglich 45 Prozent gaben an, dass sie die
Auflagen und Vorschriften zum Gesundheitsschutz „in vollem Umfang“
erfüllten. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
beklagt angesichts der offenbar zu niedrigen Verkaufszahlen insbesondere
zertifizierter Arbeitskleidung ein „zurückhaltendes Nutzerverhalten“ bei
diesem Thema.
## Das gesamte System sei mangelhaft
Der Industrieverband Agrar argumentiert zudem, dass die Zulassungsbehörden
die Pestizide heute viel besser testen würden – auch auf neurologische
Wirkungen. „Aber die Hirnregion, die für Parkinson verantwortlich ist, wird
in den vorgeschriebenen Tierversuchen gar nicht überprüft“, sagt Toxikologe
Peter Clausing. Die zuständige EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit
bestätigt das der taz grundsätzlich.
Für Clausing ist das System generell mangelhaft, mit dem geprüft wird, wie
giftig ein Pestizid ist. „Die EU hat auch schon mehrmals Mittel zugelassen,
die sich Jahre später als gesundheitsschädlich herausgestellt haben und
deshalb dann verboten wurden“, kritisiert der Umweltschützer. Das war zum
Beispiel beim Insektizid Chlorpyrifos oder beim Herbizid Flufenacet so.
Clausing verlangt deshalb, den Einsatz von Pestiziden stark zu senken. Und
die Zulassungsverfahren zu reformieren.
Für Bauer Behrens würde all das zu spät kommen. Vielleicht kann ihm
irgendwann der Bayer-Konzern helfen: Das Unternehmen arbeitet gerade an
[11][einer Zelltherapie], die Parkinsonerkrankungen rückgängig machen soll.
Behrens könnte also möglicherweise wieder Kunde des Konzerns werden.
* Die Namen sind zum Schutz der Privatsphäre geändert.
4 Apr 2025
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Pestizide/!t5008935
[2] https://www.baua.de/DE/Themen/Praevention/Koerperliche-Gesundheit/Berufskra…
[3] https://www.agrarheute.com/land-leben/frankreich-parkinson-berufskrankheit-…
[4] https://www.bayerischerbauernverband.de/sites/default/files/2024-12/2024_hd…
[5] https://www.svlfg.de/pm-bg-hebung
[6] https://www.bauernverband.de/fileadmin/user_upload/dbv/pressemitteilungen/2…
[7] https://www.bfr.bund.de/cm/343/pflanzenschutzmittel-und-parkinson-bestaetig…
[8] https://ec.europa.eu/food/plant/pesticides/eu-pesticides-database/start/scr…
[9] https://ec.europa.eu/food/plant/pesticides/eu-pesticides-database/start/scr…
[10] https://service.ble.de/ptdb/index2.php?detail_id=49092&ssk=PTDB-alles&…
[11] https://www.bayer.com/media/bayer-investiert-250-millionen-usd-in-neue-zel…
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Jost Maurin
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