| # taz.de -- Keine Hilfe, aber Abschiebung: Magersüchtiges Mädchen soll zurüc… | |
| > Eine 17-Jährige flieht mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie ist schwer | |
| > magersüchtig und bekommt keinen Therapieplatz. Jetzt droht die | |
| > Abschiebung. | |
| Bild: Mühsam improvisierte Hilfe: Das wichtige tägliche Wiegen übernahm die … | |
| Hannover taz | Man könne dem Mädchen geradezu dabei zusehen, wie es immer | |
| weniger werde, sagt Karin Loos. Sie ist Geschäftsführerin beim Netzwerk für | |
| traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen (NTFN). Der Fall dieses | |
| Mädchens gehört zu denen, die sie richtig wütend gemacht haben. Dabei ist | |
| man beim NTFN einiges gewöhnt. Das Netzwerk soll unter anderem dafür | |
| sorgen, dass [1][psychisch erkrankte Geflüchtete] ihren Weg zu einer | |
| angemessenen gesundheitlichen Versorgung finden. Das ist selten einfach. | |
| Aber im Fall von Sofía (Name von der Redaktion geändert) hätte es doch | |
| einfacher sein können, ja müssen, findet Loos. Als Sofía zum ersten Mal in | |
| die offene Sprechstunde des NTFN kommt, ist sie 17 Jahre alt und kommt in | |
| Begleitung eines Therapeuten aus der Kinderklinik. Sie ist schon seit | |
| Jahren magersüchtig und nun war ihr Body-Mass-Index (BMI) so niedrig, dass | |
| sie stationär aufgenommen werden musste. | |
| Üblicherweise erfolgt die Behandlung in zwei Phasen. Die Patient*innen | |
| müssen zunächst stabilisiert werden, an Gewicht zulegen, bevor mit der | |
| eigentlichen Therapiearbeit begonnen werden kann. Doch genau an dieser | |
| Stelle haperte es bei Sofía. Die übliche Akutversorgung von 7 bis 10 Tagen | |
| war fast ausgeschöpft, aber eine Weitervermittlung nicht möglich – weil | |
| Sofía nur Spanisch spricht. Ihre Familie ist aus Kolumbien geflüchtet. | |
| Beim NTFN macht man sich also auf die Suche nach einem stationären | |
| Therapieplatz. Doch egal, wie viel die Mitarbeiter*innen hier | |
| telefonieren: Es findet sich keiner. „Natürlich haben wir in diesem Bereich | |
| ohnehin eine Unterversorgung“, sagt Loos, auch für Patient*innen, die | |
| Deutsch sprechen. Aber Sofia wurde nicht einmal auf die Warteliste | |
| verwiesen. Man lehnte sie gleich ab, zuckte bedauernd die Achsel, verwies | |
| auf andere Einrichtungen. | |
| Für die Übergangszeit organisierten die Therapeut*innen mühsam eine | |
| improvisierte ambulante Versorgung: Die Hausärztin übernahm das regelmäßige | |
| Wiegen, eine niedergelassene Therapeutin, die auch Spanisch sprach, die | |
| Therapie. Aber eigentlich war klar: Sofía ist zu krank für eine ambulante | |
| Behandlung. | |
| Ihr stetig sinkender BMI stellte die Suchenden dabei vor eine zusätzliche | |
| Herausforderung: Wenn der zu niedrig ist, scheiden rein psychiatrische | |
| Einrichtungen, psychosomatische Kliniken oder Wohngruppen aus. Dann darf | |
| die Behandlung nur noch in Kliniken erfolgen, die auch somatische | |
| Abteilungen haben und die Notfallversorgung sicherstellen können. | |
| Große Hoffnungen setzte man deshalb auf die Medizinische Hochschule | |
| Hannover (MHH). Doch auch die lehnte mit Verweis auf die Sprachbarriere ab. | |
| „Wir reden hier von einer Schulsprache! Wir werben Fachkräfte aus dem | |
| Ausland an, die Spanisch sprechen!“, wundert sich Loos. „Und dann findet | |
| sich da niemand, der übersetzen kann? In so einem großen, international | |
| aufgestellten Haus? Wo sonst Patienten aus dem Ausland eingeflogen werden?“ | |
| Wenn das schon bei einer so gängigen Sprache und klaren Diagnose schwierig | |
| sei, könne man sich ja ausrechnen, wie schwierig es für Geflüchtete mit | |
| komplexeren Krankheitsbildern und selteneren Muttersprachen aussehe. | |
| Es gebe in den stationären psychotherapeutischen Einrichtungen viele | |
| Gruppentherapien, erklärt eine MHH-Sprecherin auf Anfrage. Das funktioniere | |
| – im Gegensatz zur Einzeltherapie – nicht mit Dolmetscher*innen. | |
| ## Lange Bearbeitungszeiten der Behörden | |
| Das Dolmetscher*innen-Problem ist allerdings in vieler Hinsicht ungelöst. | |
| Ob und in welchem Umfang die Kosten dafür übernommen werden, hängt unter | |
| anderem vom Aufenthaltsstatus ab. Ausländerbehörden und Sozialämter haben | |
| zum Teil Ermessensspielräume, sodass die Bewilligungspraxis unterschiedlich | |
| ausfällt, auch lange Bearbeitungszeiten sind ein Problem. Die Beantragung | |
| ist mühselig und zeitraubend und benötigt eine gewisse Expertise – das ist | |
| in vielen Kliniken und Praxen nicht vorgesehen. | |
| Das NTFN unterstützt zwar dabei, trotzdem scheuen viele medizinischen | |
| Einrichtungen den Aufwand oder können die Plätze nicht lange genug | |
| freihalten. Seit Jahren fordern Beratungsstellen und Sozialverbände | |
| deshalb, die Sprachmittlungsleistungen in den Leistungskatalog der | |
| Krankenkassen, das Sozialgesetzbuch und das Asylbewerberleistungsgesetz | |
| aufzunehmen. | |
| Die Ampel hatte das auch in ihrem [2][Koalitionsvertrag] vereinbart – kam | |
| aber nicht mehr dazu, es noch umzusetzen. Ob die neue Regierung sich darum | |
| kümmert, ist noch nicht raus – erscheint aber eher unwahrscheinlich. | |
| ## Geringe Anerkennungsquote von Kolumbianer*innen | |
| Sofía musste wegen ihres wieder bedrohlich absinkenden BMI erneut stationär | |
| aufgenommen werden – aber auch dieses Mal wurde sie ohne Behandlungsplan | |
| und Anschlussbehandlung entlassen. Sie bewegt sich damit in einem Bereich, | |
| in dem Schäden am Gehirn und an anderen Organen drohen, die irgendwann | |
| irreparabel sein könnten, befürchtet ihre Therapeutin im NTFN, Amira | |
| Sultan. Seit zwei Jahren geht das nun schon so. Jetzt ist auch noch der | |
| Asylantrag der Familie abgelehnt worden, Sofía [3][droht die Abschiebung]. | |
| Auch das ist ein altbekanntes Problem: Die Anerkennungsquote ist bei | |
| Kolumbianer*innen extrem gering, die anhaltenden [4][bewaffneten | |
| Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Guerillatruppen] und Banden | |
| gelten nicht als hinreichender Fluchtgrund. Viele Kolumbianer*innen | |
| versuchen ihr Glück trotzdem und hoffen, dass sie zumindest vorübergehend | |
| bleiben können, wenn sie eine Arbeit haben oder eine Ausbildung durchlaufen | |
| – so wie zuletzt die [5][zehn Pflegehelfer*innen in Wilstedt], die | |
| Ende 2024 für Schlagzeilen sorgten. | |
| Sofía allerdings fehlt dafür die Kraft, fürs Deutschlernen oder um eine | |
| Ausbildung zu machen. Ihre letzte Chance wäre nun nur noch die | |
| Härtefallkommission des Landes Niedersachsen. | |
| 20 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nadine Conti | |
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