# taz.de -- Münchner Sicherheitskonferenz: Selenskyjs letzter Strohhalm | |
> In München beschwört der ukrainische Präsident die europäische Idee. Viel | |
> mehr als verbale Solidaritätsbekundungen gibt es für ihn jedoch nicht. | |
Bild: Wolodymyr Selenskyj auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Es sieht nich… | |
München taz | Der Applaus ist groß, als Wolodymyr Selenskyj die Bühne auf | |
der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) betritt. Aber es ist ein | |
beklemmender, fast schon mitleidiger Beifall, der dem ukrainischen | |
Präsidenten am Samstagvormittag entgegenschallt. | |
„Keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine, keine Entscheidung | |
über Europa ohne Europa“, ruft Selenskyj in den Saal. Aber dass er damit | |
auch noch bei der neuen US-Administration Gehör findet, ist mehr als | |
zweifelhaft. Donald Trump macht jedenfalls nicht den Eindruck, als würde er | |
sich bei [1][seinen angekündigten „Friedensverhandlungen“] groß um die | |
Ukraine scheren. | |
Selenskyj versucht, sich seine zunehmende Verzweiflung angesichts der | |
schwierigen Lage seines Landes nicht allzu sehr anmerken zu lassen. „Wenn | |
die USA entscheiden, diesen Weg zu gehen, sich zurückzuziehen, ist das | |
nicht gut“, sagt er. „Aber darauf müssen wir uns einstellen.“ Noch setzt… | |
seine Hoffungen auf die EU, an die er inbrünstig appelliert, in ihrer | |
Unterstützung nicht nachzulassen. | |
„Jahrzehnte der alten Beziehungen zwischen Europa und Amerika kommen nun zu | |
einem Ende“, sagt Selenskyj mit Blick auf den Auftritt von US-Vizepräsident | |
James David „JD“ Vance am Freitag. „Von nun an werden die Dinge anders | |
sein, und Europa muss sich daran anpassen.“ Er sei sich „sicher, auch Sie | |
glauben an Europa, und ich kann Sie nur dazu aufrufen, zu handeln, zu Ihrem | |
eigenen Wohl.“ | |
Manche würden nicht verstehen, was in Washington vor sich gehe, so | |
Selenskyj. „Doch wir müssen zuerst verstehen, was in Europa passiert.“ Die | |
EU brauche eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und müsse damit | |
international selbstbewusst auftreten. Das Ende des Kriegs in der Ukraine | |
müsse ein europäischer Erfolg werden. | |
„Moskau wird Europa auseinanderreißen, wenn wir als Europa einander kein | |
Vertrauen entgegenbringen“, sagt Selenskyj. Bei aller weitverbreiteten | |
Skepsis gegenüber Brüssel habe Europa die Wahl zwischen Entscheidungen, die | |
dort getroffen würden – oder jenen aus Moskau. Als er das sagt, wird es | |
still im Saal des Hotels Bayrischer Hof. Ein leichtes Raunen ging durch die | |
Reihen der zahlreichen Politiker:innen und Militärangehörigen. | |
Selenskyj hält aber nicht nur die bislang stärkste pro-europäische Rede auf | |
der Münchner Sicherheitskonferenz. Der ukrainische Präsident ist auch der | |
einzige, der am Samstag den Angriff auf die Schutzhülle des havarierten | |
Atomreaktors in Tschernobyl adressiert, der sich kurz vor der Konferenz | |
ereignet hatte. „Das ist nicht nur eine Verrücktheit“, sagte der Präsiden… | |
„Putin möchte keinen Frieden, er bereitet sich nicht auf einen Dialog vor.“ | |
Eine stabile Lösung könne es nur mit langfristigen Sicherheitsgarantien für | |
die Ukraine geben, mahnt Selenskyj. „Ich werde die Nato-Mitgliedschaft | |
nicht vom Verhandlungstisch nehmen“, sagt er auch noch. Die aber hat Trump | |
bereits vom Tisch genommen. Daran dürfte sich auch kaum mehr etwas ändern. | |
## Scholz will keinen „Diktatfrieden“ | |
Vor Selenskyj stand Olaf Scholz auf dem Programm. „Der russische Krieg | |
gegen die Ukraine muss enden, so schnell wie möglich“, sagte der | |
Bundeskanzler in seiner Rede. Wenn nun unter Einbeziehung der Ukraine auch | |
direkt mit Russland gesprochen wird, sei das daher richtig. | |
Er sei „sehr froh darüber, dass die amerikanische Regierung unser | |
gemeinsames Ziel bekräftigt hat, die souveräne Unabhängigkeit der Ukraine | |
zu erhalten“, sagte Scholz. Denn Frieden werde es nur geben, wenn die | |
Souveränität der Ukraine gesichert sei. „Ein Diktatfrieden wird deshalb | |
niemals unsere Unterstützung finden“, sagte Scholz. | |
Aber was folgt aus seiner vollmundigen Ankündigung, wenn genau das | |
eintreten sollte? Darauf blieb der Kanzler eine Antwort schuldig. Die | |
Europäer würden die Ukraine unterstützen „so lange, wie dies nötig ist“, | |
sagte Scholz bloß. So sei auch Deutschland „in der Lage, die Ukraine auf | |
dem bisherigen hohen Niveau weiterhin zu unterstützen“. Das jedoch, und das | |
weiß auch Scholz, würde niemals reichen, um den möglichen, ja | |
wahrscheinlichen Ausfall der USA zu kompensieren. | |
Scharf wies der Kanzler die Einmischung der US-Regierung in den | |
Bundestagswahlkampf zugunsten der AfD zurück. „Das gehört sich nicht – er… | |
recht nicht unter Freunden und Verbündeten“, sagte Scholz zu dem | |
skandalösen [2][Auftritt von US-Vize Vance] und dessen Treffen mit der | |
AfD-Vorsitzenden Alice Weidel am Freitag. Er werde nicht akzeptieren, wenn | |
Außenstehende zugunsten dieser Partei in unsere Demokratie, in unsere | |
Wahlen, in die demokratische Meinungsbildung eingreifen“, so Scholz weiter. | |
„Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, das entscheiden wir selbst.“ | |
Er sei dankbar, dass der US-Vizepräsident bei einem Besuch der | |
[3][KZ-Gedenkstätte Dachau] am Donnerstag betont habe, dass sich solche | |
Menschheitsverbrechen nie wiederholen dürften. Eine überwältigende Mehrheit | |
in Deutschland stelle sich „jenen hart entgegen, die den verbrecherischen | |
Nationalsozialismus verherrlichen oder rechtfertigen“. Das sei jedoch in | |
den Reihen der AfD der Fall. Ein Bekenntnis zum „Nie wieder'“ sei „daher | |
nicht mit der Unterstützung für die AfD in Einklang zu bringen“, sagte | |
Scholz. | |
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte der taz, sie sei Scholz „sehr | |
dankbar dafür, dass er deutlich gemacht hat: Wir werden Einmischungen in | |
unsere Demokratie weder durch russische Propaganda noch durch die | |
illiberale Trump-Administration hinnehmen“. | |
Sie stellte sich auch hinter die Äußerungen von Scholz zur Ukraine. Der | |
imperialistische Angriffskrieg Putins auf die Ukraine habe die europäische | |
Friedensordnung „in den Staub getreten“. Es dürfe nicht zugelassen werden, | |
dass diese völkerrechtswidrige Aggression „durch einen Diktatfrieden in | |
einen Erfolg“ verwandelt werde, sagte Esken. | |
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der an einer Diskussionsrunde zur | |
Ukraine auf der Konferenz teilnahm, nannte es „absolut inakzeptabel“, dass | |
Russland und die USA „ohne die Ukraine und die Europäer am Tisch | |
verhandeln“. Anlässlich der Rede von Vance am Freitag verbat sich Merz | |
zudem eine Einmischung der USA in den deutschen Bundestagswahlkampf. | |
## Linken-Chef van Aken warnt vor Anbiederung an Trump | |
Die Linkspartei hat keine Vertreter:innen nach München geschickt. Aber | |
ihr Vorsitzender Jan van Aken meldete sich aus Berlin zu Wort. Die neue | |
US-Administration betreibe ein „gefährliches Machtspiel“, sagte der frühe… | |
UN-Biowaffeninspekteur. Ihr Auftreten ließe keinen Zweifel, dass es der USA | |
darum gehe, dass die drei Supermächte USA, China und Russland künftig die | |
Welt unter sich aufteilen und ihre Einflusszonen abstecken. | |
„Die Bundesregierung und die EU dürfen dieser Rückkehr zur Hinterhofpolitik | |
keinen Millimeter nachgeben“, forderte der Linken-Politiker. Sie müssten | |
unmissverständlich klarstellen: „Nicht selbsternannte Großmächte, sondern | |
die Vereinten Nationen – die Gemeinschaft aller Länder – sind der einzige | |
legitime Rahmen, um globale Herausforderungen zu lösen.“ Jede Anbiederung | |
an die neue US-Regierung in der Hoffnung, noch ein paar Krümel vom Tisch | |
der Supermächte zu ergattern, treibe die Welt hingegen weiter in ein | |
brandgefährliches Blockdenken. | |
Zum Ukraine-Krieg sagte van Aken, dass [4][die panischen Warnungen] | |
europäischer Politiker vor einem möglichen Trump-Putin-Deal auf Kosten der | |
Ukraine „geradezu naiv“ wirkten. Es sei längst absehbar gewesen, dass Trump | |
nach seinen eigenen Regeln verhandeln würde. Statt eine eigenständige | |
diplomatische Strategie zu entwickeln, habe die EU jedoch [5][fast | |
ausschließlich auf Waffenlieferungen] gesetzt. | |
Das sei ein „historischer Fehler mit katastrophalen Folgen“ gewesen. Denn | |
jetzt übernehme Trump und er werde den Krieg auf seine Weise beenden – mit | |
„Deals“ und Zugeständnissen an Putin, die Europa am Ende machtlos hinnehmen | |
müsse. „So groß die Erleichterung über das Kriegsende auch wäre, ebenso | |
sicher würde in Europa sofort eine neue Abschreckungsdebatte entbrennen“, | |
befürchtet van Aken, der von einem „Desaster auf ganzer Linie“ sprach. | |
15 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Zukunft-der-Ukraine/!6069188 | |
[2] /Start-der-Muenchner-Sicherheitskonferenz/!6069676 | |
[3] https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/ | |
[4] /Telefonat-zwischen-Trump-und-Putin/!6069493 | |
[5] /taz-Talk-ueber-Friedenspolitik/!6064292 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Cem-Odos Güler | |
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