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# taz.de -- Start der Münchner Sicherheitskonferenz: Kulturkampf gegen Europa
> Auf der Münchner Sicherheitskonferenz provoziert der US-Vize J. D. Vance
> die europäischen Nato-Partner. Nicht nur Boris Pistorius reagiert empört.
Bild: Rechter Kulturkrieger auf der Münchner Sicherheitskonferenz: US-Vizeprä…
München taz | Mit Spannung war am ersten Tag der [1][Münchner
Sicherheitskonferenz (MSC)] die Rede James David „JD“ Vance erwartet
worden. Wird der US-Vizepräsident mehr über den „Friedensplan“ Donald
Trumps für die Ukraine verraten? Wie steht es um dessen Begehrlichkeiten
nach Grönland, Kanada und den Gazastreifen? Wie sieht das Weiße Haus die
Zukunft der Nato? Doch Antworten blieb Vance am Freitagnachmittag schuldig.
Lieber hielt er eine Kulturkampfrede. Seine Botschaft: Europas
demokratische Systeme müssen sich radikal verändern.
In seiner 18-minütigen Rede kritisierte Vance den Weg, den die Regierungen
in Europa eingeschlagen hätten. Die Verhältnisse in manchen Ländern auf dem
alten Kontinent würden ihn wegen deren vermeintlicher Planwirtschaft und
Zensur an die Sowjetunion erinnern. „So wie die Biden-Regierung verzweifelt
versucht hat, Menschen zum Schweigen zu bringen, damit sie nicht ihre
Meinung sagen, wird die Trump-Regierung genau das Gegenteil tun, und ich
hoffe, dass wir dabei zusammenarbeiten können“, sagte Vance.
Vance beklagte, dass die freie Meinungsäußerung angeblich von den
Regierungen in der EU attackiert werde. „Ich fürchte, in Großbritannien und
ganz Europa ist die Meinungsfreiheit auf dem Rückzug“, sagte er. Als
Beispiel nannte er die [2][vermeintliche Zensur in den sozialen Medien].
„Es scheint so, als würden sich viele Regierungen hinter dem Vorhang der
Desinformation verstecken, um die Meinungen ihrer Bürger zu unterdrücken“,
sagte er. Es mache jedoch keinen Sinn, über die gemeinsame Sicherheit zu
reden, wenn man nicht einig sei, was man an Werten verteidige.
Die Regierungen in Europa würden nicht auf ihre Wähler hören, tönte Trumps
rechte Hand. Das zeige sich auch in der Frage der Migration. Die
europäischen Wähler hätten nicht dafür gestimmt, „die Schleusen für
Millionen von ungeprüften Einwanderern zu öffnen“, sagte Vance. Seine Rede
gipfelte in der Aussage: „Ich denke, dass es kein dringlicheres Thema gibt
als die Massenmigration.“ Auch kritisierte er die Entscheidung der
Veranstalter der MSC, rechtspopulistische Politiker:innen nicht
einzuladen. „Es gibt keine Berechtigung für Brandmauern“, so Vance.
Was bei seinem etwas bizarren Auftritt völlig fehlte, waren Hinweise auf
die Zukunft der Ukraine. Besonders in einer Woche, in der die US-Regierung
die transatlantische Beziehung auf eine große Probe gestellt hat, war dies
bemerkenswert. Trump hatte nach einem [3][Telefonat mit dem russischen
Präsidenten Wladimir Putin] vor wenigen Tagen angekündigt, dass die beiden
Länder mit Friedensgesprächen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs beginnen
würden.
Nur wenig später erklärte der US-Verteidigungsminister Pete Hegseth in
Brüssel, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine aktuell nicht zur
Debatte stehen. Das war immer eine Bedingung Putins gewesen. Ein baldiger
„Frieden“ scheint nunmehr nicht mehr ausgeschlossen – allerdings wohl üb…
den Kopf der Ukraine hinweg und verbunden mit einer Abtretung von
ukrainischen Gebieten an Russland.
Die Pläne aus Washington stoßen in Europa auf Widerstand. Vor allem die
Idee eines Friedens ohne die Mitwirkung der Ukraine ist für Europa und die
Ukraine selbst ein „No Go“. Doch Vance ignorierte das Thema komplett und
nützte lieber die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit dazu, um die
Verbündeten der USA zu belehren, was Demokratie bedeutet. Der Beifall im
Saal hielt sich stark in Grenzen.
Der MSC-Vorsitzende Christoph Heusgen hatte vor Beginn der Konferenz
vermutet, dass Vance den Abzug eines „großen Teils der amerikanischen
Truppen aus Europa“ ankündigen werde. Doch auch davon war von Vance nichts
zu hören. Stattdessen rief er nur sehr allgemein dazu auf, mehr für die
eigene Verteidigung zu tun. Es sei ein „wichtiger Bestandteil eines
gemeinsamen Bündnisses, dass die Europäer sich stärker engagieren“. Die USA
müssten sich derweil „auf die Regionen der Welt konzentrieren, die in
großer Gefahr sind“. Konkreter wurde Vance nicht.
Geradezu schockiert reagierte Bundesverteidigungsminister Boris
Pistorius´(SPD) auf den Auftritt von Vance. „Die Demokratie wurde vom
Vize-US-Präsidenten für ganz Europa infrage gestellt“, sagte er empört.
Vance habe die Zustände in Europa mit autoritären Regimen gleichgestellt.
„Meine Damen und Herren, das ist nicht akzeptabel“, sagte Pistorius unter
großem Applaus des Publikums.
## Bundespräsident Steinmeier zeigt sich äußerst besorgt
Vor dem Auftritt von Vance hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in
seiner Eröffnungsrede bereits ungewöhnlich deutliche, ja geradezu
unpräsidiale Worte über die neue US-amerikanische Administration gefunden.
Er bescheinigte ihr, sie habe „ein anderes Weltbild“, und zwar „eines, das
keine Rücksicht nimmt auf etablierte Regeln, auf gewachsene Partnerschaft
und Vertrauen“. Es sei „nicht im Interesse der Staatengemeinschaft, dass
dieses Weltbild das dominierende Paradigma wird“. Regellosigkeit dürfe
nicht zum Leitbild für eine Neuordnung der Welt werden.
Steinmeier, der Vance am Freitagvormittag getroffen hatte, zeigte sich
sichtlich besorgt. „Ja, we got the message: Wir brauchen eine ausgeglichene
Lastenteilung zwischen Europa und den USA“, sagte er in Richtung der
Trump-Regierung. So müsse sicherlich auch über die Reduzierung
US-amerikanischer Truppen in Europa gesprochen werden. Aber er habe,
berichtete Steinmeier von seinem Gespräch mit Vance, dem US-Vize „gesagt:
Was immer Ihr entscheidet, besprecht es mit uns.“ Das hatte schon etwas von
einem Flehen. Keiner könne „das Interesse haben, Fähigkeiten der Nato
kurzfristig zu schwächen oder die Nato gar langfristig infrage zu stellen“,
warnte Steinmeier.
Mit Blick auf die Ukraine sagte der Bundespräsident, zwar würden sich alle
wünschen, dass der Krieg dort zu Ende geht. Aber wie dieser Krieg zu Ende
gehe, habe „bleibenden Einfluss auf unsere Sicherheitsordnung und auf die
Machtposition Europas und Amerikas in der Welt“. Er sei überzeugt, dass ein
bloßes „make a deal and leave“ nicht nur die Ukraine und Europa, sondern
auch die USA schwächen würde. Deshalb müsse auf jeden Fall die
Unterstützung der Ukraine weitergehenin. Außerdem erfordere jedes Szenario
„unsere gemeinsame Abschreckungskraft und Stärke“.
Dazu gehört für Steinmeier auch eine Erhöhung der deutschen Militärausgaben
auf erheblich mehr als die gegenwärtigen rund 2,1 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das Zwei-Prozent-Ziel, wie es die Nato 2014 in
Wales verbindlich vereinbart habe, stamme „aus einer anderen Zeit“. Jetzt
müssten „wir deutlich mehr aufwenden“. Daran gehe kein Weg vorbei. Jede
neue Bundesregierung werde „dafür die notwendigen finanziellen Spielräume
schaffen müssen“.
## Ursula von der Leyen sucht Gemeinsamkeiten
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach vor Vance. Sie
versuchte die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen. „Wir sind
bereit, eine Einigung zu finden, die für alle funktioniert“, sagte sie in
ihrer Rede. Sie sprach von einem historischen Moment. „In den letzten Tagen
wurde viel geredet, wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses“, so die
CDU-Politikerin mit Blick auf eine mögliche Friedensordnung für die
Ukraine.
„Die Ukraine will den Frieden mehr als jedes andere Land“, sagte von der
Leyen. Doch es gehe um eine Lösung, die gerecht und dauerhaft sei. Sie
mahnte, autoritäre Staaten weltweit würden jetzt auf diesen Prozess
blicken, in dem es auch darum gehe, ob die internationale Gemeinschaft über
Brüche mit dem Völkerrecht und Gewalt hinweggehe.
Gleichzeitig forderte die Kommissionspräsidentin, dass in der EU nun auch
gehandelt werden müsse. Sie stellte dabei aber keine gemeinsame Strategie
in Bezug auf die Ukraine in Aussicht, sondern betonte die Notwendigkeit,
dass in den Mitgliedsstaaten mehr Geld für Verteidigung ausgeben werden
müsse. „Europa muss mehr mitbringen an den Verhandlungstisch“, sagte sie.
## Chinas Außenminister gegen das „Gesetz des Dschungels“
Der chinesische Außenminister Wang Yi sprach von einer Phase des „Chaos“ in
der Weltordnung. „Ohne Normen, ohne Standards kann es sein, dass man an
einem Tag am Tisch sitzt und am anderen Tag auf dem Teller landet“, sagte
der Pekinger Chefdiplomat in seiner Rede. Er versuchte das Reich der Mitte
als den Garanten der internationalen Weltordnung darzustellen. „China wird
in dieser multipolaren Welt ein Pol der Sicherheit sein.“
München ist für Wang nur eine Durchreisestation unterwegs auf einem Besuch
in den USA. Die US-Administration und Putin erwähnte er nicht namentlich,
als er sagte, er habe den Eindruck, dass in der Welt „das Gesetz des
Dschungels“ Einzug gehalten habe. „Einige Länder haben sich dem Gesetz des
Stärkeren verschrieben.“ China dagegen setzte sich für die Gleichheit der
Länder ein. „Souveränität und territoriale Integrität muss respektiert
werden, dass muss auch für die chinesische Wiedervereinigung gelten“, sagte
Wang – und ließ so nonchalant die chinesischen Ambitionen Richtung Taiwan
durchblicken.
Die Konferenz begann am Freitagmittag mit einer Schweigeminute [4][für die
mehr als 30 Verletzen des Anschlags von München am vergangenen Donnerstag].
Unter den mehreren hundert Teilnehmer:innen an dem noch bis Sonntag
dauernden Hochsicherheitsevent im Bayerischen Hof bedinden sich rund 60
Staats- und Regierungschefs sowie über 100 Minister:innen. Der Auftritt von
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist für Samstag geplant, ebenso wie der des
ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Wie in den vergangenen zwei
Jahren sind auch dieses Jahr offiziell keine Vertreter aus Russland und
Belarus eingeladen.
Der Bereich rund um den Bayerischen Hof ist großräumig abgesperrt, die
Polizei wird von Freitag bis Sonntag mit rund 5.000 Kräften im Einsatz
sein. Unterstützt wird sie von Einsatzkräften aus anderen Bundesländern und
Österreich. Für Samstag sind traditionell verschiedene Demonstrationen
geplant. Die größte dürfte die traditionelle Anti-Siko-Demo vom Stachus zum
Marienplatz sein, zu der das linke „Aktionsbündnis gegen die
Nato-Sicherheitskonferenz“ mit bis zu 5.000 Teilnehmer:innen rechnet.
14 Feb 2025
## LINKS
[1] /Maschinenraum-der-Sicherheitskonferenz/!6069491
[2] /EU-Regeln-im-Visier/!6063404
[3] /Trump-und-Putin/!6065527
[4] /Anschlag-in-Muenchen/!6066735
## AUTOREN
Hansjürgen Mai
Pascal Beucker
Cem-Odos Güler
Anastasia Zejneli
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