Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Münchener Sicherheitskonferenz: Europas Schicksalstage
> Während die Sicherheitskonferenz in München tagt, hofft die Ukraine auf
> Unterstützung. Trumps Kurswechsel stellt Europas Sicherheitspolitik
> infrage.
Bild: Unter dem Motto „Defend Europe. Defend Democracy“ demonstrierten am S…
München taz | Auf dem Odeonplatz in München haben sich am Samstagmittag nur
wenige hundert Menschen versammelt, 450 zählt die Polizei. In ihrer großen
Mehrheit sind es Ukrainer:innen, die hier, nur wenige hundert Meter von der
[1][Münchner Sicherheitskonferenz (Siko)] entfernt, für ihr von Russland
überfallenes Land demonstrieren. „Taurus für die Ukraine“ und „Liebe re…
nicht, wir brauchen Waffen“ ist auf Schildern zu lesen. Die Ukraine müsse
über den Aggressor Russland siegen, wird immer wieder von der kleinen Bühne
aus verkündet.
Die Wahrnehmung des Krieges von Ukrainer:innen hier in Deutschland und
denjenigen, die in ihrer Heimat geblieben sind, würde stark
auseinandergehen, sagt ein Kundgebungsteilnehmer, der sich als Oleksander
vorstellt. Seine Eltern leben in Kamjanske, in der Mitte der Ukraine, und
seien von den täglichen Angriffen und Toten in den vergangenen drei Jahren
erschöpft. „Auch wenn meine Familie immer weniger an einen Sieg glaubt,
weiß ich, dass wir nicht aufgeben dürfen“, sagt Oleksander.
Kurz vor der Kundgebung auf dem Odeonplatz hat der ukrainische Präsident
Wolodymyr Selenskyj seinen Auftritt auf der Siko. Der Applaus ist groß, als
er das Podium betritt. Aber es ist ein beklemmender, fast schon mitleidiger
Beifall, der ihm entgegenschallt. „Keine Entscheidung über die Ukraine ohne
die Ukraine, keine Entscheidung über Europa ohne Europa“, ruft Selenskyj in
den Saal. Aber dass er damit auch noch bei der neuen US-Administration
Gehör findet, ist mehr als zweifelhaft. Donald Trump macht jedenfalls nicht
den Eindruck, als würde er sich bei seinen angekündigten
„Friedensverhandlungen“ groß um die Ukraine scheren.
[2][Selenskyj versucht, sich nicht allzu sehr seine zunehmende Verzweiflung
angesichts] der schwierigen Lage seines Landes anmerken zu lassen. „Wenn
die USA entscheiden, diesen Weg zu gehen, sich zurückzuziehen, ist das
nicht gut“, sagt er. „Aber darauf müssen wir uns einstellen.“ Noch setzt…
seine Hoffnungen auf die EU, an die er inbrünstig appelliert, in ihrer
Unterstützung nicht nachzulassen. Die EU brauche eine gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik und müsse damit international selbstbewusst auftreten.
Das Ende des Kriegs in der Ukraine müsse ein europäischer Erfolg werden.
## Der Auftritt von Vance war für viele Anwesende ein Schock
„Jahrzehnte der alten Beziehungen zwischen Europa und Amerika kommen nun zu
einem Ende“, sagt Selenskyj mit Blick auf den Auftritt von US-Vizepräsident
James David „JD“ Vance am Freitag. „Von nun an werden die Dinge anders
sein, und Europa muss sich daran anpassen.“ Er sei sich „sicher, auch Sie
glauben an Europa, und ich kann Sie nur dazu aufrufen, zu handeln, zu Ihrem
eigenen Wohl“.
Keine Frage: Der Auftritt von Vance war für viele Anwesende ein Schock.
Dass es schwierig werden würde mit der neuen US-Administration, war zwar
allen bewusst. Dass sich Donald Trump in der vergangenen Woche ohne
vorherige Konsultationen der Ukraine sowie der Bündnispartner in der Nato
und der EU mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefonisch zu
„Friedensverhandlungen“ verabredet hatte, ließ bereits alle Alarmglocken
schrillen.
Wie stellt sich die US-Administration die Zusammenarbeit mit der EU vor,
welche Perspektive sieht sie für die Nato? Das war die bohrende Frage der
Mitglieder zahlreicher Regierungen, darunter rund 60 Staats- und
Regierungschefs, die aus der ganzen Welt nach München gereist waren. Trump
hatte seinen Stellvertreter Vance in die bayerische Landeshauptstadt
geschickt. Der gab eine Antwort, die anders als gedacht ausfiel und deshalb
für umso größere Erschütterung sorgte.
Denn Vance hielt am Freitagnachmittag keine Rede, in der er die
außenpolitischen Vorstellungen der Trump-Administration erläuterte.
Stattdessen hielt er eine Kulturkampfrede, die auf die innenpolitischen
Verhältnisse in den europäischen Staaten abzielte. Seine Botschaft: Europas
demokratische Systeme müssen sich radikal verändern – zugunsten
rechtspopulistischer und extrem rechter Strömungen.
## Es mache keinen Sinn, über gemeinsame Sicherheit zu reden
[3][In seiner 18-minütigen Rede kritisierte Vance fundamental den Weg,] den
die Regierungen in Europa eingeschlagen hätten. Die freie Meinungsäußerung
werde angeblich von den Regierungen in der EU attackiert. „Ich fürchte, in
Großbritannien und ganz Europa ist die Meinungsfreiheit auf dem Rückzug“,
behauptete er. Als Beispiel nannte er die vermeintliche Zensur in den
sozialen Medien. „Es scheint so, als würden sich viele Regierungen hinter
dem Vorhang der Desinformation verstecken, um die Meinungen ihrer Bürger zu
unterdrücken“, sagte er. Es mache jedoch keinen Sinn, über die gemeinsame
Sicherheit zu reden, wenn man nicht einig sei, was man an Werten
verteidige. Vance kritisierte die Entscheidung der Veranstalter der Siko,
rechtspopulistische Politiker:innen nicht einzuladen. Es gebe „keine
Berechtigung für Brandmauern“.
Die Regierungen in Europa würden nicht auf ihre Wähler hören, tönte Trumps
rechte Hand.Das zeige sich auch in der Frage der Migration. Die
europäischen Wähler hätten nicht dafür gestimmt, „die Schleusen für
Millionen von ungeprüften Einwanderern zu öffnen“, sagte Vance. Seine Rede
gipfelte in der Aussage: „Ich denke, dass es kein dringlicheres Thema gibt
als die Massenmigration.“ Nach seiner Rede traf er sich abseits der Siko
mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel zum Gespräch.
Vor seinem bizarren Auftritt hatte sich Vance am Freitagmorgen mit
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Mitgliedern der Bundesregierung
getroffen. Es sei ein „produktives Gespräch“ gewesen, ließ Steinmeier
verlauten. Doch das war wohl diplomatisch geflunkert. Denn bereits in
seiner Eröffnungsrede am Freitag – also nach seinem Treffen mit Vance, aber
vor dessen Rede auf der Siko – hatte der Bundespräsident bereits
ungewöhnlich deutliche, ja geradezu unpräsidiale Worte über die neue
US-amerikanische Administration gefunden. Er bescheinigte ihr, sie habe
„ein anderes Weltbild“, und zwar „eines, das keine Rücksicht nimmt auf
etablierte Regeln, auf gewachsene Partnerschaft und Vertrauen“. Es sei
„nicht im Interesse der Staatengemeinschaft, dass dieses Weltbild das
dominierende Paradigma wird“. Regellosigkeit dürfe nicht zum Leitbild für
eine Neuordnung der Welt werden.
Am Samstagvormittag reagierte Bundeskanzler Olaf Scholz auf die Attacken
von Vance. Er wies die Einmischung der US-Regierung in den
Bundestagswahlkampf zurück. „Das gehört sich nicht – erst recht nicht unt…
Freunden und Verbündeten“, sagte Scholz. Er sei dankbar, dass der
US-Vizepräsident bei einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau am Donnerstag
betont habe, dass sich solche Menschheitsverbrechen nie wiederholen
dürften. Eine überwältigende Mehrheit in Deutschland stelle sich „jenen
hart entgegen, die den verbrecherischen Nationalsozialismus verherrlichen
oder rechtfertigen“. Ein Bekenntnis zum „Nie wieder'“ sei „nicht mit der
Unterstützung für die AfD in Einklang zu bringen“, sagte Scholz. Er werde
„nicht akzeptieren, wenn Außenstehende zugunsten dieser Partei in unsere
Demokratie, in unsere Wahlen, in die demokratische Meinungsbildung
eingreifen“, so Scholz weiter. „Wie es mit unserer Demokratie weitergeht,
das entscheiden wir selbst.“
## Verhalten der US sorgt für Ratlosgkeit
In Bezug auf die Ukraine, die Vance in seiner Rede unerwähnt gelassen
hatte, sagte Scholz, dass der Krieg „so schnell wie möglich“ enden müsse.
Wenn nun unter Einbeziehung der Ukraine auch direkt mit Russland gesprochen
wird, sei das daher richtig. Frieden werde es aber nur geben, wenn die
Souveränität der Ukraine gesichert sei. „Ein Diktatfrieden wird deshalb
niemals unsere Unterstützung finden“, sagte Scholz.
Aber was folgt aus dieser Ankündigung, wenn genau das eintreten sollte?
Darauf blieb der Kanzler eine Antwort schuldig. Die Europäer würden die
Ukraine unterstützen „so lange, wie dies nötig ist“, sagte Scholz bloß. …
sei auch Deutschland „in der Lage, die Ukraine auf dem bisherigen hohen
Niveau weiterhin zu unterstützen“. Das jedoch, und das weiß auch Scholz,
würde niemals reichen, um den möglichen, ja wahrscheinlichen Ausfall der
USA zu kompensieren.
Tatsächlich sorgt das Verhalten der US-Administration in der deutschen
Politik für Ratlosigkeit. In Hintergrundgesprächen von
Regierungsmitgliedern wurde der Ukraine-Beauftragte Washingtons, Keith
Kellogg, als ein „freundlicher und offener“ Gesprächspartner gelobt. Es
bestehe die Hoffnung, dass über den 80-jährigen General die Position der EU
bei Trump ankomme.
Doch bei einem fast zeitgleichen öffentlichen Auftritt am Rande der
Konferenz führte Kellog aus, dass die EU für ihn bei den anstehenden
Verhandlungen keine besondere Rolle spielt. „Wenn wir einen Friedensdeal
vereinbaren, stellen wir sicher, dass er durchführbar ist, ein guter Deal,
ein fairer Deal“, sagte er. Was erst einmal nicht schlecht klingt. Auch
versicherte er, es sei falsch zu denken, Trump werde die
Ukraine-Verhandlungen mit Putin allein führen. Da würden vielmehr „zwei
Protagonisten und ein Vermittler sitzen“. Eine Beteiligung der EU sieht er
jedoch nicht. Jedenfalls antwortete der US-Gesandte auf die Frage, ob die
Ukraine am Verhandlungstisch sitzen werde und ebenso die Europäer, so: „Die
Antwort auf die letzte Frage ist Nein, die Antwort auf den ersten Teil ist
Ja, natürlich werden die Ukrainer am Tisch sitzen.“
Klar ist: Verhandlungen zwischen den USA und Russland nähern sich. Am
Samstag hat US-Außenminister Marco Rubio mit seinem russischen Amtskollegen
Sergei Lawrow telefoniert. In der kommenden Woche wollen sich unter anderem
Rubio und ranghohe Vertreter Russlands in Saudi-Arabien treffen, auch ein
Gespräch zwischen Trump und Putin soll stattfinden. Laut dem US-Magazin
Politico sollen keine Vertreter:innen aus Europa bei den Gesprächen
anwesend sein.
Als am Sonntag das Schneetreiben in München einsetzt, sind Vance und die
anderen Repräsentanten der neuen US-Administration bereits abgereist.
Während es auf den Straßen außerhalb weiß und rutschig wird, sind die
Verbliebenen im Bayrischen Hof immer noch damit beschäftigt zu begreifen,
was sie an diesem Wochenende auf der Konferenz erlebt haben. Das Gefühl
ist: Das, was gemeinhin als westliche Welt bezeichnet wird, könnte an
diesem Wochenende zu Bruch gegangen sein. Was aus dem alten
transatlantischen Bündnis der europäischen Staaten mit den USA wird,
scheint ungewisser denn je zu sein. Und was wird bloß aus der Ukraine?
Der chinesische Außenminister Wang Yi sprach von einer Phase des „Chaos“ in
der Weltordnung. „Ohne Normen, ohne Standards kann es sein, dass man an
einem Tag am Tisch sitzt und am anderen Tag auf dem Teller landet“, sagte
der Pekinger Chefdiplomat schon in seiner Rede am Freitag. Er versuchte das
Reich der Mitte als den Garanten der internationalen Weltordnung
darzustellen. „China wird in dieser multipolaren Welt ein Pol der
Sicherheit sein.“
Die US-Administration und Putin erwähnte Wang nicht namentlich, als er
sagte, er habe den Eindruck, dass in der Welt „das Gesetz des Dschungels“
Einzug gehalten habe. „Einige Länder haben sich dem Gesetz des Stärkeren
verschrieben.“ China dagegen setze sich für die Gleichheit der Länder ein.
„Souveränität und territoriale Integrität müssen respektiert werden, das
muss auch für die chinesische Wiedervereinigung gelten“, sagte Wang – und
ließ so nonchalant die chinesischen Ambitionen Richtung Taiwan
durchblicken.
16 Feb 2025
## LINKS
[1] /Muenchner-Sicherheitskonferenz/!6069723
[2] /Demonstrationen-zur-Sicherheitskonferenz/!6069724
[3] /-Nachrichten-zur-Ukraine-/!6069755
## AUTOREN
Pascal Beucker
Cem-Odos Güler
Anastasia Zejneli
Hansjürgen Mai
## TAGS
Sicherheitskonferenz
J.D. Vance
Verteidigung
GNS
Sicherheitskonferenz
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Sicherheitskonferenz
Sicherheitskonferenz
Sicherheitskonferenz
Wolodymyr Selenskij
## ARTIKEL ZUM THEMA
Frieden in der Ukraine: Europa ist falsch aufgestellt
Die europäischen Regierungschefs sind sich in der Frage nach gemeinsamen
Friedenstruppen uneinig. Ihre Planlosigkeit schadet besonders der Ukraine.
Nach der Sicherheitskonferenz: Expressverbindung von München nach Paris
Macron lädt Chefs wichtiger europäischer Staaten gleich für Montag zum
Krisengipfel in Paris. Europa sucht Vision für neue Verteidigung. Und Geld
dafür.
+++ Nachrichten zur Ukraine +++: Gespräche bei der Sicherheitskonferenz
Am letzten Tag der Münchner Sicherheitskonferenz wird weiter verhandelt.
Paris bestätigt ein Treffen der wichtigsten europäischen Regierungschefs.
Demonstrationen zur Sicherheitskonferenz: Getrennte Vorstellungen von Frieden
Mehrere Tausend Menschen protestierten am Samstag an verschiedenen Orten
für Frieden in der Ukraine und in Gaza. Gemeinsam haben sie nicht viel.
Münchner Sicherheitskonferenz: Selenskyjs letzter Strohhalm
In München beschwört der ukrainische Präsident die europäische Idee. Viel
mehr als verbale Solidaritätsbekundungen gibt es für ihn jedoch nicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.