| # taz.de -- Schwangerschaftsabbrüche in Europa: Keine einfachen Voraussetzungen | |
| > Mit einem CDU-Kanzler könnte sich die Situation für Personen, die | |
| > abtreiben wollen, erschweren. Doch wie ist die Lage in anderen | |
| > europäischen Ländern? | |
| Bild: Feministische Gruppen protestieren vor der Dator-Klinik in Madrid, um das… | |
| Sollten die Wahlumfragen zutreffen, könnte mit einem CDU-Kanzler Friedrich | |
| Merz die Geschlechtergerchtigkeit in Deutschland zurückgehen. Seine Partei | |
| lehnt das Selbstbestimmungsgesetz ab und weigert sich, mehr Plätze in | |
| Frauenhäusern zu schaffen. Merz selbst hält am Paragrafen 218 fest, obwohl | |
| die Mehrheit der CDU-Wähler*innen eine Reform des Abtreibungsparagrafen | |
| befürwortet. Ein Trend, der auch in Europa zu beobachten ist? Wie steht es | |
| um die Rechte für Frauen, die abtreiben wolle im europäischen Ausland? | |
| Portugal: So restriktiv wie sonst kaum wo | |
| Bis heute ist das Abtreibungsrecht eines der umstrittensten Themen in | |
| Portugals Gesellschaft. Denn das Land am Atlantik hat eines der | |
| restriktivsten Abtreibungsgesetze der Europäischen Union. Ein | |
| Schwangerschaftsabbruch ist nur innerhalb der ersten zehn Wochen möglich. | |
| Das ist – so beschweren sich Frauenorganisationen – viel zu kurz, um nach | |
| festgestellter Schwangerschaft eine Entscheidung zu treffen und vor allem | |
| an der gesetzlichen Zwangsberatung teilzunehmen. Denn viele Ärzte weigern | |
| sich, diese anzubieten. Und ein Drittel aller Hospitäler nimmt keine | |
| Schwangerschaftsabbrüche vor. Das ist vor allem in ländlichen Regionen ein | |
| Problem. Über 500 Frauen weichen deshalb jährlich ins benachbarte Spanien | |
| aus, wo eine 14-wöchige Frist gilt, andere treiben illegal ab. | |
| Die heute gültige Fristenregelung wurde 2007 einer Volksabstimmung | |
| unterzogen und angenommen. Obwohl die Sozialisten immer wieder mit | |
| absoluter Mehrheit regierten, trauten sie sich nicht, die Fristenregelung | |
| auszuweiten. Das hätte ihnen den Wahlsieg beim nächsten Urnengang kosten | |
| können. Denn vor allem auf dem Land wiegt die sonntägliche Predigt und | |
| religiöse Gefühle schwerer als politische Ideologie. Das Referendum 2007 | |
| des ehemaligen sozialistischen Regierungschefs und heutigen | |
| UN-Generalsekretär António Guterres ging gegen die Fristenregelung aus. | |
| So trauten sich die Sozialisten gemeinsam mit dem Linksblock erst jetzt, wo | |
| eine konservative Minderheitsregierung an der Macht ist, an einen | |
| Reformvorschlag heran. Dieser sah vor, die Fristenregelung auf 12 Wochen | |
| auszuweiten, der Linksblock wollte gar 14 Wochen. Der Vorschlag wurde | |
| Anfang Januar vom Parlament jedoch mehrheitlich abgelehnt. (Reiner Wandler, | |
| Madrid) | |
| ## Schweden: Seit 50 Jahren legal | |
| Auch Schweden redet gelegentlich über Abtreibung. Gerade erst ging es um | |
| die Regierungspläne, das Recht darauf im Grundgesetz festzuschreiben – eine | |
| Idee, die nach den politischen Rückschritten in den USA entstanden war. Der | |
| schwedische Verband für Sexualaufklärung und Sexualpolitik RFSU nannte dies | |
| auch anerkennend symbolisch wichtig. Wichtiger für die Gegenwart sei aber | |
| die geplante Reform des Abtreibungsgesetzes. Das wird Schweden in diesem | |
| Jahr sage und schreibe 50 Jahre alt. | |
| Die gesellschaftliche Schlacht darum wurde in den 60er-Jahren ausgefochten, | |
| nach einem Skandal um Frauen, die wegen der damals restriktiven Politik für | |
| einen Abbruch nach Polen gereist waren. Seit 1975 gilt: Schwangere haben | |
| bis zur 18. Woche das Recht, allein über einen Abbruch ihrer | |
| Schwangerschaft zu entscheiden. Dänemark und [1][Norwegen haben den | |
| Zeitraum gerade erst auf 18 Wochen angehoben,] unter anderem mit der | |
| Erfahrung aus Schweden im Rücken: Die Zahl von Abbrüchen nach Woche 12 sei | |
| nicht höher als in Dänemark, wo man bisher eine Genehmigung brauchte | |
| Und was will Schweden nun modernisieren? Es geht um mehr | |
| Gleichberechtigung. | |
| Frauen in entlegenen Gebieten und Frauen ohne Papiere sollen es nicht | |
| schwerer haben als andere, bei einem Abbruchwunsch die richtige Versorgung | |
| zu finden. Es wird deshalb überprüft, ob Hebammen künftig die Pille für | |
| einen medizinischen Abbruch zu Hause verschreiben können sollten. (Anne | |
| Diekhoff, Härnösand) | |
| ## Russland: Mehr Kinder für Putin | |
| Die Hindernisse, eine ungewollte Schwangerschaft zu unterbrechen, | |
| [2][werden in Russland stetig größer.] Eigentlich darf eine Frau laut | |
| Gesetz vor der 12. Schwangerschaftswoche legal abtreiben. Weist sie | |
| „soziale Gründe“ nach, geht es auch bis zur 22. Schwangerschaftswoche. Gibt | |
| es „medizinische Indikationen“, ist ein Abbruch jederzeit möglich. Doch die | |
| Hindernisse, eine ungewollte Schwangerschaft zu unterbrechen, werden im | |
| Land stetig größer. Seit 2023 schränkt die Regierung den Verkauf von | |
| Präparaten für den medikamentösen Abbruch einer Schwangerschaft ein. Immer | |
| wieder wird ein gesetzliches Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in | |
| Privatkliniken diskutiert. | |
| In mehreren Regionen greift dieses bereits, auf „freiwilliger Basis“ der | |
| Kliniken. Zudem gilt in einigen Regionen eine Strafe von umgerechnet 2000 | |
| Euro für die „Verleitung zum Schwangerschaftsabbruch“. Was das konkret | |
| bedeutet, weiß niemand genau. In dieser Woche forderten einige Ärzt*innen | |
| in einem offenen Brief die Regierung auf, „das Recht auf Leben vor und nach | |
| der Geburt endlich im Gesetz zu verankern“. Russlands Präsident Wladimir | |
| Putin spricht gern von „Familien mit sieben, acht oder mehr Kindern“. | |
| So manche Abgeordnete im Land sagt: „Wir müssen junge Frauen zum Gebären | |
| zwingen.“ Schon verschickt der Staat an Frauen Briefe, doch ihre Fertilität | |
| testen zu lassen. Ihnen wird immer mehr die Rolle als Gebärmaschine | |
| aufgebürdet. Die Kirche mahnt sie zur Mutterschaft, der Staat will mit | |
| ihnen das demografische Problem lösen. Jugendliche lernen im Schulfach | |
| „Familienführung“, dass eine kinderreiche Familie Pflicht sei. (Inna | |
| Hartwich, Moskau) | |
| ## Spanien: Abtreibung – kein Thema | |
| Spanierinnen können bis zum Ende der 14. Schwangerschaftswoche frei über | |
| den Abbruch ihrer Schwangerschaft bestimmen; bei gesundheitlicher Gefahr | |
| für die werdende Mutter oder den Fötus bis Ende der 22. Woche. So sieht es | |
| ein Gesetz vom 2010 vor, das unter dem damaligen sozialistischen | |
| Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero eingeführt wurde. Diese | |
| Bestimmung erweiterte das Recht auf Abtreibung, das 1985, unter dem | |
| ebenfalls sozialistischen Regierungschef Felipe González eingeführt wurde. | |
| Dieses sah ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche nach | |
| einer Vergewaltigung, sowie bei schwerwiegende Gefährdung des Lebens oder | |
| der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Schwangeren und bei | |
| Missbildung des Fötus vor. Die Frauen beriefen sich fortan meist auf ihre | |
| seelische Belastung. | |
| Die Reformen wurden von Protesten der Rechten und der katholischen Kirche | |
| begleitet. Allerdings ohne Erfolg. 2014 versuchte der konservative | |
| Justizminister und einstige Bürgermeister Madrids, Alberto Ruiz-Gallardón | |
| die Fristenregelung wieder zu streichen und Schwangerschaftsabbrüche nur | |
| nach Vergewaltigung und bei schwerer gesundheitlicher Gefährdung der Mutter | |
| oder des Fötus zuzulassen. Doch sein Vorhaben endete mit | |
| [3][Massenprotesten der Frauenbewegung] und Gallardóns Rücktritt. | |
| Die konservative Regierung strich daraufhin nur das Recht der Frauen von 16 | |
| bis 18 Jahren ohne elterliche Zustimmung abtreiben zu können. Das wurde | |
| dann 2022 von der bis heute regierenden Linkskoalition wieder eingeführt. | |
| Diese Altersgrenze ist der einzige wirkliche Streitpunkt in Spanien. | |
| Umfragen zeigen, dass selbst 60 Prozent der rechten und rechtsextremen | |
| Wählerschaft das Recht auf Abtreibung unterstützen. Das Thema spielt | |
| deshalb in der ansonsten angespannten politischen Lage heute kaum noch eine | |
| Rolle. | |
| 2023 wurden in Spanien 103.097 Abbrüche vorgenommen – 81 Prozent in | |
| privaten Kliniken. Über 500 Frauen kommen jährlich aus dem Nachbarland | |
| Portugal, wo eine der restriktivsten Abtreibungsrechte Europas besteht. | |
| (Reiner Wandler, Madrid) | |
| Griechenland: Legal, aber immer noch ein Tabu | |
| Immer noch – fast vierzig Jahre nach Inkraftttreten der heute gültigen und | |
| durchaus fortschrittlichen Gesetzgebung – ist das Thema Abtreibung im | |
| christlich-orthodoxen Griechenland gesellschaftlich weitgehend ein Tabu. | |
| Vor allem jüngere Frauen zögern, eine ungewollte Schwangerschaft zu | |
| erkennen oder ihrem Umfeld mitzuteilen, was zu lebensbedrohlichen Folgen | |
| führen kann. | |
| In Griechenland wurden Schwangerschaftsabbrüche erstmals im Jahr 1978 | |
| erlaubt, und zwar in den folgenden zwei Fällen: bis zur 12. | |
| Schwangerschaftswoche, wenn eine Gefahr für die psychische Gesundheit der | |
| Mutter bestand, was von einem in einer öffentlichen Pflegeeinrichtung | |
| tätigen Psychiater festzustellen war, sowie bis zur 20. | |
| Schwangerschaftswoche, wenn mit modernen Mitteln der Prognosetestung | |
| (Pränataldiagnostik) schwerwiegende Anomalien beim Fötus festgestellt | |
| wurden. | |
| Heute ist in Griechenland der Schwangerschaftsabbruch nur mit Zustimmung | |
| der schwangeren Frau unabhängig von ihrem Alter und nur durch einen | |
| Geburtshelfer-Gynäkologen unter Beteiligung eines Anästhesisten in einer | |
| organisierten Krankenstation zulässig. | |
| Frauen dürfen außerdem nur bis zur 12. Schwangerschaftswoche abtreiben. In | |
| Fällen von Vergewaltigungen, Unzucht, Inzest oder Missbrauch darf bis zur | |
| 19. Woche ein Eingriff vorgenommen werden oder bis zur 24. Woche, wenn es | |
| Hinweise auf eine schwere fetale Anomalie gibt. Sollte es zu unvermeidbaren | |
| Gefahren für das Leben der Mutter oder eine schwere und dauerhafte | |
| Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Gesundheit bestehen, | |
| darf auch danach ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden. (Ferry | |
| Batzoglou, Athen) | |
| 2 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gesetz-zu-Schwangerschaftsabbruechen/!6056114 | |
| [2] /Aktivistin-zu-Antifeminismus-in-Russland/!5974051 | |
| [3] /Abtreibungsgesetz-in-Spanien/!5049489 | |
| ## AUTOREN | |
| Inna Hartwich | |
| Anne Diekhoff | |
| Reiner Wandler | |
| Ferry Batzoglou | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Emanzipation | |
| Schweden | |
| Griechenland | |
| Russland | |
| Portugal | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| GNS | |
| Gender | |
| Schwerpunkt Abtreibung | |
| Paragraf 218 | |
| Paragraf 218 | |
| Schwerpunkt Abtreibung | |
| Feminismus | |
| Schwerpunkt Abtreibung | |
| Norwegen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Sexualaufklärung in den Niederlanden: Frühlingsgefühle unter Druck | |
| Kulturkampf in den Niederlanden: Christliche Fundamentalisten mobilisieren | |
| gegen eine Sexualkundeprojektwoche an Grundschulen. | |
| Schwangerschaftsabbruch und Recht: Ungewollt Schwangere schützen, bevor es zu … | |
| Abtreibungen nicht zu legalisieren, war angesichts der erstarkenden AfD ein | |
| fataler Fehler der Ampel. Welche Gefahr das birgt, zeigt sich in den USA. | |
| § 218 gilt weiter: Die Debatte ist nicht beendet! | |
| Es gab eine Chance, Abtreibungen zu legalisieren. Union und FDP haben das | |
| verhindert. Der Bundestag hinkt der Gesellschaft hinterher. Aber der Kampf | |
| geht weiter. | |
| Liberaleres Abtreibungsrecht: Keine Reform von Paragraf 218 | |
| Eine Teillegalisierung von Abtreibungen wird es nicht geben. Der | |
| Rechtsausschuss des Bundestages debattierte am Montag – ohne Ergebnis. | |
| Gesetzentwurf zu §218 im Rechtsausschuss: Letzte Chance für liberaleres Abtre… | |
| Am Montag entscheidet sich, ob der Bundestag noch über die Legalisierung | |
| von Abbrüchen abstimmt. Ansonsten wäre das Vorhaben für lange Zeit vom | |
| Tisch. | |
| Feministische Demo in Berlin: Der Angst trotzen | |
| Tausende Menschen protestieren gegen Trump und den weltweit zunehmenden | |
| Rechtsruck. Sie sorgen sich um die Auswirkungen auf Frauen, Trans und | |
| Queers. | |
| Grüne über das Gezerre um Paragraf 218: „Absolut unüblich und respektlos“ | |
| Eine Chance gibt es noch für eine Abstimmung über die Legalisierung früher | |
| Schwangerschaftsabbrüche. Alles andere wäre unwürdig, sagt die Grüne Ulle | |
| Schauws. | |
| Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen: Norwegen liberalisiert Abtreibungen | |
| Zukünftig können Schwangere in Norwegen bis zur 18. Woche abtreiben. Das | |
| neue Gesetz soll im Sommer in Kraft treten |