# taz.de -- Gesetzentwurf zu §218 im Rechtsausschuss: Letzte Chance für liber… | |
> Am Montag entscheidet sich, ob der Bundestag noch über die Legalisierung | |
> von Abbrüchen abstimmt. Ansonsten wäre das Vorhaben für lange Zeit vom | |
> Tisch. | |
Bild: Ob dieses Demoschild künftig noch gebraucht wird oder nicht entscheidet … | |
Berlin taz | Es ist die vorerst letzte Chance für ein liberaleres | |
Abtreibungsrecht in Deutschland. Am Montagnachmittag verhandelt der | |
Rechtsausschuss des Bundestages über einen überfraktionellen Gesetzentwurf, | |
der eine weitestgehende Streichung des Paragrafen 218 aus dem | |
Strafgesetzbuch vorsieht. Am Dienstag könnte das Gesetz so auf den letzten | |
Metern der Legislatur im Bundestag beschlossen werden. Doch das Vorhaben | |
droht an Union, FDP und AfD zu scheitern. | |
Mitte November, kurz nach dem Ende der Ampelregierung, hatten Abgeordnete | |
von SPD, Grünen und Linken den Antrag eingebracht: 328 | |
Parlamentarier:innen legten einen [1][Gesetzentwurf zur Neuregelung | |
von frühen Schwangerschaftsabbrüchen] vor. Demnach sollen Abbrüche künftig | |
in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft rechtmäßig sein. Zudem | |
sollen Krankenkassen einen Abbruch finanzieren können. | |
Derzeitig sind Abbrüche in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig und nur | |
unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Den Initiator:innen zufolge | |
stellt das „eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung, der | |
persönlichen Integrität und der körperlichen Autonomie Schwangerer dar“. | |
Dass sich daran etwas ändert, war mit dem Antritt der Ampel-Koalition so | |
nah gerückt wie seit Jahrzehnten nicht. Immerhin hatten mit SPD und Grünen | |
gleich zwei Parteien das Ende von Paragraf 218 in ihren Wahlprogrammen | |
gefordert. Mit der FDP war aber zunächst nur eine Kommission umsetzbar, die | |
Regelungen außerhalb des Strafrechts prüfen sollte. | |
## Klare Aussage der Expert:innen | |
Diese kam schon im April 2024 zu dem Schluss, eine grundsätzliche | |
Strafbarkeit des Abbruchs in der Frühphase sei aus „völker-, verfassungs- | |
und europarechtlicher Perspektive“ nicht haltbar. Die Expert:innen | |
ließen sogar Spielraum für eine Legalisierung bis zur 24. Woche. Doch eine | |
Initiative scheiterte an der FDP. | |
Was nun vorliegt, sei deswegen eine „Minimalversion“, sagt Mit-Initiatorin | |
[2][Leni Breymaier (SPD)]. So gebe es eine reelle Chance für ausreichend | |
Unterstützung für das Gesetz. Beispielsweise soll die Pflicht zur Beratung | |
bestehen bleiben, allerdings ohne die derzeit geltende Wartepflicht von | |
drei Tagen bis zum Abbruch. Bei rechtswidrigen Abbrüchen soll sich künftig | |
nur die Ärzt:in strafbar machen, nicht die ungewollt Schwangere. Die | |
Regelungen zu späteren Abbrüchen sollen nicht mehr im Strafgesetzbuch, | |
sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz stehen. Der Paragraf 218 StGB | |
soll lediglich den Schutz Schwangerer vor nicht selbstbestimmten Abbrüchen | |
enthalten. | |
Union und FDP allerdings beharren weiterhin auf der derzeitigen Rechtslage. | |
Das Selbstbestimmungsrecht der Frau sehen sie als gewährleistet an. | |
Außerdem habe der geltende Kompromiss die Gesellschaft befriedet, heißt es | |
dabei aus den Reihen der Konservativen. Während der [3][ersten Lesung des | |
Entwurfs] im Bundestag warf beispielsweise Dorothee Bär (CSU) den | |
Antragstellerinnen vor, einen „spalterischen Kulturkampf“ zu führen. Die | |
AfD will eine möglichst restriktive Handhabe des Abtreibungsrechts. | |
Die Unterstützer:innen des Antrags werfen Union und FDP vor, die | |
parlamentarischen Prozesse bewusst zu bremsen. Diese hätten versucht, den | |
[4][Entwurf im Rechtsausschuss durch Änderungen der Tagesordnung] zu | |
blockieren. Erst als dies nicht funktionierte, stimmten sie einer | |
öffentlichen Anhörung am 10. Februar zu. „Wenn eine Gruppe von Abgeordneten | |
aus den Reihen der Regierung und Opposition gemeinsam einen Antrag | |
einbringt, dann gebietet es der Respekt gegenüber diesen Kolleg:innen, | |
dieses Verfahren auch zum Abschluss zu bringen“, mahnte Ulle Schauws, die | |
[5][frauenpolitische Sprecherin der Grünen, im Dezember in der taz]. | |
## Hitzige Debatten | |
Nun ist die Zeit knapp. Die öffentliche Anhörung der Sachverständigen am | |
Montag findet am vorletzten Sitzungstag dieser Legislaturperiode statt. | |
Zuvor wollen 50 zivilgesellschaftliche Organisationen Frauenministerin Lisa | |
Paus und Abgeordneten des Bundestags noch eine Petition übergeben, in der | |
fast 120.000 Menschen fordern, den Antrag am kommenden letzten Sitzungstag | |
wirklich zur Abstimmung zu bringen. Mit Bannern, Schildern und einer | |
riesigen Schaumstoff-Gebärmutter wollen sie vor das Paul-Löbe-Haus ziehen. | |
Mit dabei sind Pro Familia, Verdi, der DGB, der Paritätische Bundesverband, | |
der Deutsche Frauenrat und das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung. | |
Die Ausschusssitzung dürfte hitzig werden. Das zeigen schon die | |
Stellungnahmen der Sachverständigen. Die Rechtswissenschaftlerin Frauke | |
Rostalski etwa kritisiert einen „erheblichen Verlust des Schutzes | |
ungeborenen Lebens“ durch den Entwurf. Die Wartefrist verfolge demnach auch | |
das Ziel, „die Schwangere vor übereilten Entscheidungen zu schützen“. | |
Die Medizinerin Alicia Baier vom Verein Doctors for Choice hingegen sagte | |
der taz, das Gesetz enthalte „wichtige, notwendige und überfällige | |
Maßnahmen, die die Versorgungssituation und die Gesundheit der Betroffenen | |
verbessern“. Abbrüche fänden hierdurch nicht häufiger, sondern früher | |
statt. | |
Die Rechtswissenschaftlerin Liane Wörner gehörte zur | |
Expert:innenkommission der Bundesregierung. „In der | |
rechtswissenschaftlichen Literatur werden die Entscheidungen des | |
Bundesverfassungsgerichts seitdem kritisiert und überwiegend wird eine | |
Neuregelung gefordert“, sagt sie. Ein Prozess hin zu erforderlichen | |
Reformen habe sich bereits sehr lange abgezeichnet und sei ausführlich | |
diskutiert, so Wörner. | |
## Im Plenum wäre alles offen | |
Gesellschaftlich stößt eine Reform des Paragrafen 218 auf große Zustimmung. | |
Laut einer repräsentativen Umfrage des Bundesfrauenministeriums vom April | |
2024 halten es mehr als 80 Prozent der deutschen Bevölkerung für falsch, | |
dass ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig ist. | |
Auch eine [6][Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der | |
Evangelischen Kirche] von Anfang Februar kommt zu dem Schluss, dass es eine | |
„klare gesellschaftliche Mehrheit“ für eine Legalisierung früher Abbrüche | |
gebe. „Gesellschaftliche ‚Mehrheiten‘, die sich gegen die Neuregelung | |
aussprechen, bestehen lediglich innerhalb der Gruppe der über 60-jährigen | |
Katholik:innen in Süddeutschland.“ Die oftmals postulierte | |
gesellschaftliche Polarisierung bei diesem Thema sei ein Mythos. | |
Es könnte ein langer Montagabend werden. Möglicherweise wird der Antrag im | |
Ausschuss versenkt. Wird er doch noch ins Plenum überwiesen, bräuchte er | |
dort am Dienstag eine einfache Mehrheit. Neben den 353 Abgeordneten von | |
SPD, Grüne, Linke und SSW hat auch das BSW mit 10 Abgeordneten seine | |
Zustimmung angekündigt. Die absolute Mehrheit von 367 Abgeordneten läge | |
dann nicht fern. Nicht ausgeschlossen ist, dass [7][von Union und FDP | |
einzelne Abgeordnete] für den Antrag stimmen oder sich enthalten. | |
Angesichts der derzeitigen Umfragewerte für die Union ist es auf absehbare | |
Zeit die letzte Gelegenheit für eine Legalisierung des | |
Schwangerschaftsabbruchs. Und so ist es am Montag vielleicht nicht das | |
letzte Mal, dass Aktivist:innen vor dem Bundestag stehen und rufen: | |
„Weg mit Paragraf 218!“ | |
10 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundestag.de/resource/blob/1035322/ab9ad21cc4be86b27a625cea067c… | |
[2] /Abschaffung-des-Paragrafen-218/!6045917 | |
[3] /Bundestag-debattierte-ueber-218/!6055052 | |
[4] /Paragraf-218-im-Rechtsausschuss/!6051419 | |
[5] /Gruene-ueber-das-Gezerre-um-Paragraf-218/!6052161 | |
[6] https://www.siekd.de/abbruch-als-rechtsbruch/ | |
[7] /Abtreibung-im-Strafgesetz/!6053592 | |
## AUTOREN | |
Amelie Sittenauer | |
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