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# taz.de -- Der Hausbesuch: Das B in Plan B steht für Backen
> Laura Skandy schließt ihr Abitur mit 1,0 ab, studiert dann Jura und
> Philosophie. Heute backt sie Schoko-Tahin-Halva-Torten in ihrem eigenen
> Café.
Bild: Laura Skandy mit Pudel Wanja im Wohnzimmer: Sie mag es minimalistisch, nu…
Philosophie verträgt sich mit Patisserie. Wer neue Kuchen backt, denkt
darüber nach, was wie zusammen harmoniert, mixt Zutaten, also Aspekte, die
vorher in keinem Rezept, also Lehrbuch, standen, erfindet, kreiert. Mit
etwas Können erweitert das Ergebnis den Horizont und schenkt Freude.
Draußen: Auf einem grünen Streifen in einem Hinterhof in Berlin-Wedding
steht eine alte Birke, deren Wipfel bis zum vierten Stock reichen. Wer den
Kopf zurücklegt, sieht darüber den Himmel. Beeindruckend am Haus daneben
sind die großen Treppenabsätze, die erst kürzlich hellgelb gestrichen
wurden. Die Farbeimer stehen noch rum. Von jedem Treppenabsatz gehen vier
Wohnungen ab. Auch wenn diese klein sind, entsteht ob des großzügigen
Platzes vor den Türen so etwas wie Weite.
Drinnen: Eineinhalb Zimmer, Küche, Bad. Laura Skandy hat die Räume
spartanisch eingerichtet. Im Wohnzimmer ein Bücherregal, ein Schreibtisch,
ein Ikea-Sessel, ein Schrank. An der Wand ein einziges Bild, das die
Anmutung eines Buddhas hat. Dazu ein Wäscheständer, auf dem Kleidung
trocknet, und ein Saugroboter in Parkposition. Richtig luxuriös hat es nur
Wanja, der drei Jahre alte Pudel. Sein Platz: eine Matratze mit Rückenteil.
Wenig: Die Einrichtung als „spartanisch“ zu bezeichnen, findet Skandy
falsch. „Dann müsste man auch mein Café als spartanisch bezeichnen.“ Sie
hat eines, wo sie am Wochenende ihre Kuchen verkauft. Jedenfalls gefällt
ihr das Wort „minimalistisch“ besser. Das sei eine Generationensache. Viele
Millennials wie sie, Skandy ist 1992 geboren, zögen das Reduzierte vor.
Bei der nachfolgenden Generation Z sei es anders. Die liebten es, meint
sie, wieder üppiger.
Viel: Bei einer Sache bringt es nichts, spartanisch vorzugehen – dem
Backen. Da wird Süßes, Fettiges und Vollmundiges gebraucht, auch Farbe und
Form spielen eine Rolle. Da muss das Äußere Geschmacksfantasien freisetzen,
und die müssen sich auf der Zunge einlösen. Laura Skandy schafft das,
obwohl ihre Kuchen und Torten – jetzt kommt ein Tusch! – [1][vegan sind],
„aus tierethischen Gründen“. Also ohne Butter, ohne Eier, ohne Quark. Was
dann? Cashewmus, Sojamilch, Tahin, Kokosjoghurt, vegane Biobutter auch.
„Hochverarbeitete vegane Produkte meide ich. Viele haben ein komisches
Mundgefühl, schmecken nicht.“ So was einfach in den Teig zu rühren, nein.
Es gehe ihr auch um die Ehre des Handwerks. „Ich habe immer schon
gebacken“, sagt Skandy. Immer heißt, von dem Augenblick an, wo man sie als
Kind backen ließ. „Meine Mutter war mitunter weniger erfreut, wenn ich ihre
Küche belagerte.“
Die Mutter: „Die hat sich aus familiärer Enge befreit“, sagt Skandy. Ihre
Mutter hat nicht nur die Zeugen Jehovas verlassen, in die sie als Kind
hineingeboren wurde, sondern später auch ihren Mann. Mit der Trennung ist
sie vom Dorf in die Stadt gezogen, nach Lübeck, hat gearbeitet und ihre
vier Kinder, großgezogen, Laura ist eines der mittleren. Zwei Schwestern
hat sie. „Wir drei Töchter sind sehr empfindlich, was die Unterdrückung von
Frauen angeht.“
Nachdenken: Überhaupt sind wichtige Episoden in Skandys Leben die, die
Gerechtigkeitsfragen aufwerfen. Die Zeit als Personalerin. Corona. Die
Schulzeit. Sie war am altsprachlichen Katharineum zu Lübeck, auch Thomas
und Heinrich Mann, Theodor Storm, Erich Mühsam und andere Berühmtheiten
waren dort. „Da sollte wohl dran angeknüpft werden“, sagt Skandy. „In
meiner Klasse war es ziemlich schrecklich; es war elitär; es wurde
ausgegrenzt.“ Ein Junge in ihrer Klasse, vermutlich autistisch, sei hart
gemobbt worden.
„Mit welcher Gnadenlosigkeit diese wohlerzogenen Söhne von Rechtsanwälten,
die Rechtsanwälte werden sollten, diese artigen Söhne von Ärzten, die Ärzte
werden sollten, diese Kinder, die alles hatten, auf diesen Jungen
losgingen, und die Lehrer überfordert“ – sie beendet den Satz nicht, so
entsteht Nachdenkraum. „Es war eine vergiftete soziale Dynamik.“
Ein erster Plan: Am Anfang sei sie renitent gewesen, erzählt Skandy, aber
irgendwann habe so eine Verunsicherung stattgefunden. Sie habe sich dann
auf die Inhalte konzentriert. „Sozial konnte ich keinen Blumentopf
gewinnen.“ Enge Freundschaften habe sie lange nur außerhalb des Gymnasiums
gehabt, erst ab der Oberstufe hätte sich das geändert. Da hatte sie
allerdings schon entschieden, Schule wie Arbeit zu betrachten. Immer
Hausaufgaben machen, sich immer melden. „Mehr nicht. Es ging nicht um
Selbstverwirklichung, kaum jemand habe gefragt: Was wollt ihr mal machen?“
Der Plan geht auf. Am Ende lautet Skandys Abiturnote 1,0. Sie ist
Jahrgangsbeste. „Ich habe mich nicht nur beliebt damit gemacht.“
Planlosigkeit: Nach dem Abi hat die Einserschülerin keine Orientierung.
Erst studiert sie Jura. „Dieser unfassbar langweilige Stoff, das habe ich
nicht verkraftet.“ 2011 zieht sie nach Berlin zum Weiterstudieren, wechselt
dann aber zu Philosophie und deutscher Literatur.
Skandy schließt mit dem Master ab, macht viele Praktika, weiß nur eins: An
der Uni will sie nicht bleiben. „Ich wollte mich nicht jahrelang mit
Minikleinigkeiten beschäftigen.“ Eines ihrer Praktika macht sie in einer
Personalagentur, und als sie ihren Master hat, bekommt sie in einer anderen
eine Anstellung. Sie soll Arbeitskräfte „recruiten“ – anheuern. „Es wu…
zu so was wie einem Verkaufsjob.“ Sie kauft und verkauft Arbeitskraft.
Corona: Im ersten Coronajahr entlässt die Agentur die Hälfte der
Mitarbeitenden. Eigentlich wäre Laura Skandy gerne ins Diversity Management
gegangen, aber sie kriegt keine Stelle. Stattdessen findet sie einen Job
bei einem Lohnsteuerhilfeverein, arbeitet im Homeoffice. Ihre Aufgabe:
„Leute in Selbständigkeit reinquatschen.“ Sie merkt schnell, das bringt
nichts. „Ich habe mich unfassbar gelangweilt.“
Höllenjob: Noch einmal probiert sie es in einer Personalagentur. „Die Chefs
waren die geldgierigsten Leute, die ich mir vorstellen konnte, sie saßen
irgendwo in England.“ Nach zwei Monaten ist Schluss. „Ich mag den Job
nicht; ich kann den Job nicht; ich kann die Leute im Job nicht leiden.“
Auch jetzt, als sie das sagt, ist das Entsetzen zu spüren über solcherart
Arbeit.
„Ich war die Musterschülerin, das heißt doch, dass man was Großes damit
macht. Aber ich habe gemerkt, das Karriereding, darauf habe ich keine Lust.
Fleiß, Zwang, du musst dich mit den Chefs gut stellen. Das hat bei mir
nicht funktioniert.“ Nur die extrovertierte Komponente habe ihr gefallen:
die vielen Biografien, die sie mitbekommt. Immerhin wird Wanja, der
Pudelwelpe, ihr Gefährte in der Zeit. „Pudel – tolles Wesen.“ Das Tier
strukturiert fortan ihren Tag.
Plan B: Laura Skandys Leidenschaft fürs Backen drängt sich in dieser Zeit
wieder in den Vordergrund. Vielleicht kann sie damit was machen, überlegt
sie sich. „Aber du darfst dich nicht Konditorin nennen, ohne eine Prüfung
bei der Innung abgelegt zu haben, und ohne Meister auch keinen Betrieb
leiten.“ Zum Glück gibt es eine Ausnahmegenehmigung für Quereinsteigende
mit Studienabschluss. Dafür muss Skandy eine Prüfung bei der
Konditoreninnung machen. Pralinenherstellung inklusive. 2.000 Euro kostet
das. „Ich hatte keine Vorstellung, was die Anforderungen sind.“ Am Ende
schafft sie es. Sie habe das gemacht, weil sie dachte, „vielleicht kann ich
es mal irgendwann brauchen“.
Das Café: Und wie der Zufall so spielt, wird sie, kaum hat sie den letzten
Job geschmissen, auf frei gewordene Räumlichkeiten einer Kuchenbäckerin
hingewiesen. Sie muss sich schnell entscheiden und tut es. [2][Plants &
Flours] nennt sie das Café, seit zwei Jahren stemmt Skandy es alleine.
Unter der Woche backt sie üppige vegane Hochzeitstorten und Kuchen für
andere Festlichkeiten, am Wochenende öffnet sie fürs Publikum.
Die Kuchen: Es gibt sie von einfach bis raffiniert. Skandys Lieblingstorte:
Schoko-Tahin-Halva. Die Matcha-Mango-Kokos-Torte mag sie auch. Sie überlegt
sich, was wie zusammenpasst. Mohn-Kirsch-Nougat. Schoko-Tonka-Himbeere.
Dabei orientiere sie sich nicht an nichtveganen Kuchen, sondern suche
Neues, sagt Skandy. „Wenn man die Tierprodukte weglässt, kommt eine Leere.“
Das versuche sie aufzubrechen, damit die Geschmacksfülle wieder da ist.
Statt Butter Olivenöl. [3][Statt Eiern] Melasse. „Wenn jemand sagt:
'Schmeckt ganz gut für ‚vegan‘, das wäre für mich der schlimmste Fall.“
Die Finanzen: Allmählich sei sie aus den Miesen raus. Was ihr Sorgen mache,
seien die Auflagen und Zusatzkosten: Handwerkskammer, Gema, Versicherungen,
Gewerbesteuer. „Du kannst nicht klein bleiben.“ Laura Skandy überlegt
schon, zu expandieren. „Warum kann ich nicht einen kleinen Laden haben und
Produkte in hoher Qualität herstellen?“, fragt sie. Und hat keine Antwort
darauf.
Und die Freunde? Bleiben sie auf der Strecke bei so viel Arbeit? „Das
Verhältnis verändert sich. Ohne Freunde könnte ich das nicht machen. Sie
unterstützen mich. Privatleben und Arbeit verschmilzt.“
1 Apr 2025
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[2] https://www.instagram.com/plants.and.flours.bakery/
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## AUTOREN
Waltraud Schwab
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