# taz.de -- Foodblogs für Anfänger: Der Sound der Rezepte | |
> Schon vom Essen zu lesen kann Genuss sein, sagt die Foodbloggerin Giulia | |
> Scarpaleggia. Unsere Autorin hat bei ihr gelernt, Rezepte richtig zu | |
> schreiben. | |
Bild: Ein Stück Apfelstrudel | |
Es gibt schöne Literatur, etwa Poesie und Belletristik, und es gibt | |
Gebrauchsliteratur wie journalistische Texte, PR oder Ratgeber. | |
„Wegwerfliteratur“ nenne ich sie. Aber was um alles [1][in der Welt ist ein | |
Kochbuch]? | |
Ist es Gebrauchsliteratur, die nicht weggeworfen wird? Und was hat es mit | |
dem Rezepteschreiben auf sich? In vielen Küchen liegt eine Kladde, in der | |
die Kochenden Notizen zu ihren liebsten Rezepten machen. Heißt das, alle | |
können Kochbuchautor*innen sein, wie alle auch Künstler*innen sein | |
können, wenn man Joseph Beuys fragte? | |
Geht es nach [2][Giulia Scarpaleggia], sollte das Schreiben von Rezepten | |
mehr sein als nur eine schnelle Notiz in einem Heft. Für sie sind die | |
aufgeschriebenen Rezepte eine „Möglichkeit, in Kommunikation mit anderen zu | |
kommen“ und zudem „eine Chance, das Leben anderer Menschen zu berühren“. | |
Rezepte, in Scarpaleggias Sinne, brauchen ein Publikum. | |
Das sind natürlich die, die das Gekochte essen. Aber Scarpaleggia hat noch | |
andere Rezeptrezipient*innen im Sinn. Solche, die bereits beim Lesen | |
das beschriebene Gericht vor sich sehen, es allein auf Grund der | |
Aufzeichnungen riechen und schmecken. Um so mit Worten zu verführen, sei | |
Können erforderlich, Präzision, Einfühlungsvermögen und Fantasie. Nicht nur | |
die Fotos sollen Lust aufs Nachkochen machen, auch die Geschichte, die | |
hinter einem Gericht steckt. Wie entstand das Gericht? Welche Erinnerungen | |
sind damit verbunden? Denn Essen spiegelt Kulturgeschichte, Herkunft, | |
örtliche Gegebenheiten, Klima und Traditionen. | |
## Rezepte mit der Welt teilen | |
Giulia Scarpaleggia ist Italienerin, genauer, aus der Toskana, sie schreibt | |
Kochbücher und hat einen Foodblog: „[3][Juls’ Kitchen]“. Und sie hat den | |
Onlinekurs [4][„Kulinarisches Schreiben: Heimische Rezepte mit der Welt | |
teilen“] entwickelt. Man kann ihn auf der Plattform [5][domestika.org] | |
buchen. | |
Domestika – der Name klingt, als sollten sich vor allem Leute, die im | |
Haushalt tätig sind, angesprochen fühlen – nennt sich „eine Gemeinschaft | |
für kreative Köpfe“. Wer will das nicht sein? | |
Der Kurs umfasst zehn kurze Videolektionen. Am Ende soll man so weit | |
geschult sein, dass ein eigenes Rezept auf der Plattform hochgeladen werden | |
kann. | |
Zuerst stellt sich Scarpaleggia vor und erzählt, wie sie zum Foodbloggen | |
kam. Die Antwort liegt auf der Hand: Weil sie Italienerin ist und ihr gutes | |
Essen im Blut liegt. Dann berichtet sie, von wem sie beeinflusst wurde. | |
Auch das ist klar: Von Italien, von den Menschen dort, den Märkten, den | |
Gemüseverkäufer*innen. Auch ihren Großmüttern, betont sie am Telefon. | |
Scarpaleggia ist eine Verfechterin der einfachen Küche. | |
Der Höhepunkt des Kurses ist für mich jene Lektion, in der sie die | |
„Philosophie“ des Rezepteschreibens erklärt. Sie ist die Essenz dessen, was | |
es braucht, um ein gutes Rezept, einen guten Gebrauchstext also, zu | |
schreiben. In 9 Minuten und 31 Sekunden schafft sie das. | |
## Rezepte brauchen einen eigenen Sound | |
‚Was ist ein Rezept?‘, fragt sie und gibt sogleich die Antwort. Für sie sei | |
es etwas zwischen Poesie, Wissenschaft und politischem Aktivismus. Poesie, | |
weil man den Klang der Worte genießen kann und weil ein Bild im Kopf | |
entsteht. Wissenschaft, weil man eine Methode hat und Dinge, die man dafür | |
braucht. Und politisch ist es, weil es die Lebenswirklichkeiten eines | |
Landes spiegelt. Und ich denke: Das ist all das, was eine Zeitungsreportage | |
auch leisten sollte, | |
Um das zu erreichen, brauchen die Autor*innen von Rezepten einen Sound, | |
eine eigene Stimme, eine eigene Sprache, fährt Scarpaleggia fort. Die | |
erlange man zuallererst, indem man viel lese, Kochbücher, Onlinerezepte, | |
Foodblogs, dabei herausfinde, was einem anspricht und was nicht – und | |
warum. | |
Wenn es um die „eigene Sprache“ selbst geht, fordert sie in erster Linie, | |
präzise zu sein und Adjektive zu vermeiden – die schwächten den Text, | |
machten ihn langweilig. „Weniger ist mehr.“ Auch bei den Verben gilt | |
Klarheit. Besser das Aktiv benutzen statt das Passiv. Und unbedingt zu | |
vermeiden seien generische Begriffe wie „lecker“, „absolut“, „perfekt… | |
weil sie nichts zum Inhalt beitrügen. Wichtig sei ohnehin, alle fünf Sinne | |
anzusprechen. Nicht nur den Geschmack, auch den Geruch, die Textur, selbst | |
die Geräusche des Kochens. Was das Sehen angehe, schlägt sie vor, Metaphern | |
zu verwenden, um die Wahrnehmung zu erweitern. | |
Und während sie all das sagt, stelle ich mir vor, dass sie nicht vom | |
„Rezepteschreiben“ spricht, sondern vom „Reportagenschreiben“, und hän… | |
ihren Lippen. | |
Zumal sie dann noch überlegt, für wen man eigentlich schreibt. Sie sieht | |
dabei zwei Gruppen: jene, die ein Rezept (bei mir: einen Artikel) eins zu | |
eins lesen, und jene, denen das Rezept eine Vorlage zum Improvisieren (bei | |
mir: zum Weiterdenken) ist. Egal aber, mit wem man es zu tun habe, meint | |
sie, man müsse überzeugend sein. „Die besten Rezepte vermitteln | |
Erkenntnisse, die auch in anderen Rezepten verwendet werden können.“ Und | |
ich höre: „Die besten Reportagen vermitteln Erkenntnisse, die auch unter | |
anderen Umständen Gültigkeit haben.“ | |
Für jeden ihrer Sätze, für ihre Präzision und Klugheit bewundere ich sie. | |
In den restlichen Lektionen geht es an die praktische Umsetzung des | |
Gelernten. Und zum Schluss ans Eingemachte: an ein hochgeladenes Rezept von | |
mir. Ich habe mich für einen [6][Apfelstrudel] entschieden. Weil ich gerade | |
so viele wurmstichige Äpfel verarbeiten muss. Aber ob die, die das Rezept | |
lesen, es lesend schon schmecken, das leicht säuerlich Süße umhüllt von | |
einem hauchdünnen Brotteig, ist eine offene Frage. Als ich mit Giulia | |
Scarpaleggia telefoniere, sprechen wir über die fünf Sinne, die ich noch | |
nicht stark genug angesprochen haben. Bei den Zutaten sei ich auch | |
unpräzise, meint sie. An den Text muss ich also noch mal ran. | |
Das Rezept: | |
## Mein Apfelstrudel | |
Im späten Sommer, wenn die ersten Äpfel reif werden, beginnt bei mir die | |
Apfelstrudelsaison. Denn da die Äpfel in meinem Garten wachsen dürfen, wie | |
sie wollen und nicht mit Pestiziden behandelt werden, profitiere nicht nur | |
ich von den Früchten, sondern auch viele Insekten. Ich bin auch jedes Mal | |
überrascht, dass Kellerasseln ihre Kinderstube in meinen Äpfeln haben, | |
Ohrenzwicker ebensoo, Wespen und Vögel nagen daran herum und natürlich war | |
der Apfelwickler schon vorher am Werk. Die wurmigen Äpfel aber werfe ich | |
nicht weg, sondern verwerte die guten Teile. Wurmige Äpfel sind allerdings | |
nicht lange haltbar. Sie müssen sofort verwendet werden. Aber ich kann sie | |
unmöglich alle gleich essen. Apfelkompott ist eine Variante für sofortige | |
Verarbeitung. Meine Erfahrung jedoch: Apfelstrudel kommt viel besser an. | |
Dafür mache ich einen einfachen Brotteig. Der allerdings muss hauchdünn | |
ausgerollt werden, das erfordert etwas Fingerfertigkeit. Hat man den Trick | |
einmal raus, ist der Apfelstrudel leicht und bis aufs Äpfelschälen auch | |
schnell gemacht. Ich mache immer etwas mehr Teig als für den Strudel | |
notwendig. Aus dem restlichen Teig mache ich Knäckebrot. | |
Für zwei Strudel und ein Backblech voll Knäckebrot brauchen Sie: - circa | |
2,5 Kilo Äpfel. (Sollten Sie nur mit einwandfreien Äpfeln arbeiten, reichen | |
auch zwei Kilo.) Am Ende sollten Sie etwa 1,5 Kilo Apfelstücke haben. - | |
zwei Handvoll Rosinen (Nach Belieben auch mehr.) - drei Handvoll Zucker | |
(Bei sauren Äpfeln vier Handvoll Zucker.) - Saft und Schale von zwei | |
Zitronen - Optional: einen Teelöffel Zimt - Optional: eine Handvoll grob | |
gehackte Mandeln oder Nüsse, idealerweise wurden diese vorher auf dem | |
Backblech geröstet. Das erhöht das Aroma. - Backpapier | |
Für den Teig brauchen Sie: - 200 Gramm Weizen- oder Dinkelmehl - 1 Prise | |
Salz - 40 ml Öl - 40 ml der Flüssigkeit, die sich bei den Äpfeln über Nacht | |
gebildet hat - 40 ml lauwarmes Wasser | |
Zum Servieren: - Puderzucker und Sahne | |
Die Füllung: | |
Zuerst schälen Sie die Äpfel und schneiden das verwertbare Fruchtfleisch | |
heraus. Mit Zitronensaft, abgeriebener Zitronenschale, den Rosinen, dem | |
unter gehobenen Zucker und den gehackten Nüssen stellen Sie die Äpfel für | |
mindestens 12 Stunden beiseite, so dass sich Saft bildet. | |
Der Zucker entzieht den Äpfeln Flüssigkeit, so dass die Äpfel beim Backen | |
weniger Saft abgeben und den Teig nicht so stark aufweichen können. Ein | |
Teil des Saftes wird als Flüssigkeit im Teig verwendet. Der Rest wird mit | |
Mineralwasser verdünnt und mit Minze abgerundet zu einem erfrischendes | |
Getränk. | |
Der Teig: | |
Haben die Äpfel genug Saft gezogen, machen Sie den Teig. Dazu kneten Sie | |
die Zutaten in einer Schüssel bis ein geschmeidiger Teig entsteht, der | |
weder an den Wänden der Schüssel klebt noch an Ihren Händen. Falls er zu | |
fest ist, noch etwas lauwarmes Wasser zugeben. Falls er zu feucht ist, | |
etwas mehr Mehl nehmen. Lassen Sie den Teig eine halbe Stunde ruhen. | |
Für einen Strudel brauchen Sie etwa 120 Gramm Teig. Sie haben also mehr | |
Teig als Sie benötigen. Aus dem überschüssigen Teig formen Sie kleine | |
Kugeln mit zwei bis drei Zentimeter Durchmesser und rollen diese auf einem | |
bemehlten Tisch in dünne Fladen von circa einem Millimeter Dicke aus. Diese | |
werden auf ein Blatt Backpapier gelegt und auf dem Ofenrost bei etwa 200 | |
Grad Celsius 10 Minuten gebacken. Sie sollen eine hellbraune Farbe haben. | |
Das Knäckebrot schmeckt frisch am besten. Will man es ein paar Tage | |
aufheben, sollte es in eine Blechdose getan werden. | |
Der Strudel: | |
Rollen Sie etwa 120 Gramm des Teiges auf einer bemehlten Unterlage | |
ebenfalls hauchdünn in eine ovale Form aus, die circa 40 Zentimeter lang | |
ist. Hauchdünn heißt, kaum dicker als zwei Millimeter. | |
Heben Sie den Teig an und legen Sie ihn auf das Backtrennpapier. Entlang | |
der Mittelachse platzieren Sie die Hälfte der abgetropften Äpfel. Dann | |
schlagen Sie den Teig über die Füllung und drehen die Ecken des Backpapiers | |
ein. So klebt auslaufender Saft nicht auf dem Backblech fest. Dann legen | |
Sie den Strudel auf das Blech. Das wiederholen Sie auch mit dem zweiten | |
Teil des Teiges und legen den zweiten Strudel neben den ersten, schieben | |
die beiden in den Backofen und lassen sie bei 200 Grad Celsius 45 Minuten | |
backen. | |
Auch hier sollte der Teig nach der Backzeit golden schimmern und oben fest | |
sein wie das Knäckebrot. | |
Nach kurzem Abkühlen den Strudel mit Puderzucker bestäuben und mit Sahne | |
servieren. | |
Ich weiß, es klingt kompliziert. Aber je öfters sie Apfelstrudel backen, | |
desto leichter geht es Ihnen von der Hand. | |
11 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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