# taz.de -- Der Hausbesuch: Das Huhn ist ein Freigeist | |
> Lasse Brandt ist Hühnerbeauftragter. Über die eigensinnigen Tiere weiß | |
> der 32-Jährige so gut wie alles. Zum Beispiel, dass sie gerne Radio | |
> hören. | |
Bild: „Hühnerhirte“ Brandt mit seiner einjährigen Tochter im Wohnzimmer i… | |
Seine Vorfahren fuhren zur See, Lasse Brandt aber bleibt lieber an Land. | |
Immerhin ist er in Werder an der Havel von Wasser umgeben. | |
Draußen: Für die 27.000-Einwohner-Stadt beginnt gerade die Obstbaumblüte, | |
in und um Werder wird sie touristisch beworben. Jetzt, Anfang April, ist | |
die Zeit, in der die kahlen Äste, die im Winter wirken, als hätte jemand in | |
zackiger Schrift etwas in den Himmel gekritzelt, ihre harten Konturen | |
verlieren und in Pastellfarben weich zu leuchten beginnen. Den Einstieg | |
machen japanische Zierkirschen und Felsenbirnen. Letztere essbar. Auch die | |
Pfirsichbäume sind schon weit. | |
Drinnen: Lasse Brandt muss heute die einjährige Fenja umsorgen, die | |
Care-Arbeit ist aufgeteilt. Seine Frau arbeitet als Fundraiserin für Kita- | |
und Schulgärten. Im Wohnzimmer ist alles ausgerichtet auf die Kleine. | |
Spielzeug in knalligen Farben, Bälle, Bauklötze, Bilderbücher nehmen viel | |
Platz ein. Auch eine Minirutsche, die an eine Hühnerleiter erinnert, steht | |
da. Überhaupt steht in der Wohnung einiges, das mit dem Federvieh zu tun | |
hat. Hühnernippes, Hühnermobile, Fußabtreter mit Hühnermotiv. „Die Leute | |
schenken mir immer was mit Hühnern“, sagt Brandt. Immerhin: Im Flur hängt | |
ein Foto, das Wasserbüffel zeigt. | |
Die Hühner: Lasse Brandt hat einen besonderen Beruf. Er ist | |
„Hühnerbeauftragter“ für den [1][Biolandverband]. Er berät, wenn jemand | |
wissen will, wie Hühnerhaltung funktioniert. Welcher Stall, welche | |
Auflagen, welche Impfungen, wo kriegt man Hühner her und Futter, wie geht | |
die Eiervermarktung? Wenn es ein Problem gibt, wenn die Hühner keine Eier | |
legen, auf dem Boden schlafen statt auf den Sitzstangen, sich oder anderen | |
die Federn ausrupfen, wird der „Hühnerflüsterer“ gerufen. Im Wörterbuch … | |
Brüder Grimm von 1875 gibt es zudem den „Hühnerhirten“. Brandt ist einer, | |
obwohl er gerade keine eigenen Hühner hat, die holt er erst nach dem | |
Gespräch beim Züchter ab. Angst, dass seine Nachbarn sich wegen des Krähens | |
in aller Herrgottsfrühe echauffieren, hat er keine. „Das ist eine Frage, | |
auf die eher Großstadtmenschen kommen.“ | |
Das Meer: Brandt ist in Wilhelmshaven aufgewachsen. Er kommt aus einer | |
Seefahrerfamilie. Urgroßvater, Großvater, Vater fuhren übers Meer. Sein | |
Vater war acht Jahre Kommandant auf der „Gorch Fock“, dem Segelschulschiff | |
der Marine. Als solcher habe er einiges mitgemacht. Was genau, spart sein | |
Sohn aus. „Keiner in der Familie hat sich der Scholle zugewandt so wie | |
ich“, sagt er und meint damit die Erdscholle. Wobei ganz ohne ein Boot geht | |
es auch bei ihm nicht – Segeln, das sei „so ein Familiensport“. Brandt hat | |
eine kleine Jolle. „Natürlich ist es ein wenig nutzlos, in Havelbuchten im | |
Kreis zu fahren. Nicht zu vergleichen mit dem Meer.“ Es sei eher wie | |
Spazierengehen auf dem Wasser. Am besten mit etwas zu trinken und einem | |
Freund zum Reden an Bord. Nur das mit den Liegeplätzen sei schwierig – | |
obwohl rund um Werder doch überall Wasser ist. Noch. Brandenburg ist eine | |
extrem trockene Gegend in Deutschland. | |
Freie Wahl: In seiner Familie wurde keiner gezwungen, in die Fußstapfen der | |
Vorfahren zu treten. „Wir sollten das tun, wonach uns der Sinn steht.“ Mit | |
„wir“ meint er seine zwei Schwestern und sich. Lasse Brandt stand der Sinn | |
nach Tieren, schon als kleiner Junge seien sie sein Ein und Alles gewesen. | |
Biologie wäre für ihn theoretisch eine Option gewesen, doch „dafür hat mein | |
Abi nicht gereicht. Der Numerus clausus war zu hoch.“ Er studierte | |
stattdessen ökologische Landwirtschaft. „Das hat gepasst.“ | |
Eier sammeln: Lasse Brandt ist norddeutsch zurückhaltend. Selbst wenn er | |
begeistert ist, klingt, was er sagt, nüchtern. „Im Bachelorstudium habe ich | |
festgestellt: Hühner sind die spannendste Tierart.“ Spannendste Tierart? | |
Warum? „Weil sie eine Randerscheinung sind.“ Rind, Schwein – das seien die | |
Brecher bei der Masttierhaltung. Er dagegen interessierte sich auf einmal | |
für Hühner. „Melken macht mir keinen Spaß, Eier sammeln schon.“ Und nach | |
einem kurzen Moment, in dem er nichts sagt, fügt er hinzu: „Dann passt das | |
doch zu Ostern.“ | |
Hühnerwissen: Die Wissenslage über die Hühnerhaltung sei spärlich. Er habe | |
sich daher alles angeeignet, was er kriegen konnte. Den Rest lernte er in | |
der Praxis. Seit 2018 ist er als Geflügelexperte unterwegs. Weil Beratung | |
nicht alles ist, ist er auch Geschäftsführer der [2][Erzeugergemeinschaft | |
Brandenburger Bio-Ei], die er mit aufgebaut hat. Zudem ist er auf dem | |
[3][Biohof Werder] landwirtschaftlich tätig. Drei Familien experimentieren | |
dort mit neuen Formen der Nebenerwerbslandwirtschaft. Er ist für die Hühner | |
zuständig. Andere für Wasserbüffel, Schafe und den Gemüseanbau. | |
Überzeugungen: Eier sind wichtig. Das weiß man nicht erst, seit der | |
[4][Eierpreis in den USA ein Politikum] ist. Früher hätten Hühner im Jahr | |
etwa 20 Eier gelegt, heute 300 – auch im Biolandbau. Manche Öko-Höfe hätten | |
über 30.000 Tiere. Brandt ist ein Verfechter der mobilen Hühnerhaltung, bei | |
der Hühnerhäuser immer mal wieder ihren Standort wechseln. Denn | |
freilaufende Hühner bleiben gerne in der Nähe des Hühnerhauses. Dort, wo | |
sie rumlaufen, wächst ob ihres Gescharres und Gepickes bald nichts mehr. | |
„Wird das Haus aber umgesetzt, ist das gut für den Boden, gut für die | |
Insekten, gut für die Hühner, gut für den Menschen.“ Man darf sich die | |
Hühnerhäuser, die es dabei zu transportieren gilt, gerne so groß vorstellen | |
wie einen Zugwaggon, denn mitunter leben darin Tausende Tiere. „Mobile | |
Hühnerhaltung gibt es im Osten nicht so“, Brandt will das ändern. | |
Der unerwünschte Hahn: Für Hähnchenfleisch wird Mastgeflügel gezüchtet, | |
dessen Fleisch zart ist. Legegeflügel ist eine andere Zuchtrichtung. Ihr | |
Fleisch ist fest, denn Eier legende Hennen müssen einiges aushalten. Bei | |
der Zucht von Legegeflügel kommen aber gleich viele Hähne wie Hennen zur | |
Welt – was tun also mit dem sogenannten Bruderhahn? [5][Kükentöten] ist | |
verboten, in der ökologischen Landwirtschaft sowieso. Der Bruderhahn sei | |
ein „Koppelprodukt“, er wird aufgezogen, obwohl er zäh ist, keine Eier legt | |
und bestenfalls für Hühnersuppe taugt. Brandt appelliert an das Gewissen | |
der Verbraucher und Verbraucherinnen: „Wenn alle, die Eier essen, auch | |
Suppenhühner kaufen und daraus Suppe kochen würden, würde das helfen.“ | |
Therapieren: Was aber genau kann Brandt tun, wenn Hühner sich merkwürdig | |
verhalten? Wenn sie, wie neulich, als er gerufen wurde, vor der Luke des | |
Hühnerstalls schlafen und sich gegenseitig tottrampeln? Und wie kann er | |
helfen, wenn die Hühner unruhig sind und keine Eier legen? „Dann gucke ich | |
mir das genau an“, sagt er. Eigentlich geht er vor wie eine | |
Kinderpsychotherapeutin. Er überlegt, was die Eltern, in seinem Fall die | |
Hühnerhaltenden, falsch machen. Er rede mit ihnen, gucke sich den Stall an. | |
Hühner etwa gehen dahin, wo Licht ist. Durch die Luke beim obigen Notfall | |
sei Licht reingefallen, deshalb hätten sich alle Tiere dort aufgehalten. | |
„Man kann eine Lampe aufhängen“, sagt er. Einfach, oder? Manchmal käme man | |
auch auf ungewöhnliche Lösungen. „Hühner lieben Menschenstimmen, für die | |
unruhigen Tiere kann man ein Radio im Hühnerstall aufstellen.“ | |
Freiheitsdrang: Ob Hühner schlau seien? Brandt bejaht, er sehe ihre | |
Klugheit, auch wenn andere die Tiere dumm fänden. Hühner seien sehr gut | |
darin, schnell an Futter zu kommen. Auch dass sie einen Hang hätten, nicht | |
das zu tun, was der Mensch möchte, gefällt ihm. Im Huhn sei der Drang nach | |
Freiheit verwirklicht, wenn man es nur ließe. „Wenn sie einen angucken mit | |
ihren Augen, ihrem Schnabel.“ Ja, was dann? „Hühner gucken einen sehr genau | |
an, entweder es verunsichert einen oder man liebt das“, antwortet er. Ob | |
der Mensch die Hühner dumm findet, weil sie nicht tun, was der Mensch will? | |
„Kann man so sagen.“ | |
Noch eine letzte Frage: Was halten Sie denn eigentlich von Merz? „Na ja“, | |
sagt Brandt, „mal gucken, was der noch an Ideen der Grünen aufnimmt, die er | |
vorher blockiert hat.“ | |
21 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bioland.de/unser-verband | |
[2] https://www.brandenburger-bio-ei.de/ | |
[3] https://www.biohof-werder.de/ | |
[4] /Vogelgrippe-in-den-USA/!6075242 | |
[5] /Umgang-mit-maennlichen-Kueken/!5886286 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
## TAGS | |
Der Hausbesuch | |
Hühner | |
Hühnereier | |
wochentaz | |
Brandenburg | |
Ostern | |
Social-Auswahl | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
wochentaz | |
wochentaz | |
Der Hausbesuch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Hausbesuch: Im Zwiegespräch mit Puppen | |
Sie lernte Dekorateurin, noch in der DDR. Später widmete sich Simone Dietl | |
„Sachen, die eine Geschichte haben“. Vor allem Puppen haben es ihr angetan. | |
Der Hausbesuch: Das Haus auf dem Rücken | |
Delal Atmaca wächst als Halbnomadin in den anatolischen Bergen auf – bis | |
ihre Familie nach Deutschland zieht. Über die zwei Leben einer Frau. | |
Der Hausbesuch: Den Berg des Lebens besteigen | |
Solomon Wija war noch sehr jung, als er 1980 in die DDR kam, um Kunst zu | |
studieren. Es war ihm zu kalt in dem Land. Trotzdem ist er geblieben. | |
Der Hausbesuch: Das B in Plan B steht für Backen | |
Laura Skandy schließt ihr Abitur mit 1,0 ab, studiert dann Jura und | |
Philosophie. Heute backt sie Schoko-Tahin-Halva-Torten in ihrem eigenen | |
Café. | |
Der Hausbesuch: Für gute Nachrichten sorgen | |
Stefan Maier berichtete jahrelang aus Kriegsgebieten in Afrika, | |
Zain-Alabidin Al-Khatir floh 2013 aus dem Sudan. Nun tun sie gemeinsam | |
Gutes. |