Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Hausbesuch: Den Berg des Lebens besteigen
> Solomon Wija war noch sehr jung, als er 1980 in die DDR kam, um Kunst zu
> studieren. Es war ihm zu kalt in dem Land. Trotzdem ist er geblieben.
Bild: Solomon Wija in seinem Wohnzimmer: Hier hängen Bilder aus guten und schl…
„Er heißt Solomon, und die Liebe ist eine Kraft in seinem Leben. Genau wie
es im „Song of Solomon“ steht. Und im Hohelied der Liebe: „Glaube,
Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“
Draußen: Seit 25 Jahren wohnen Solomon Wija und Bettina Wija-Stein in einem
Jugendstilhaus im Leipziger Viertel Südvorstadt. Um die Ecke stehen die
Betonbauten der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur,
Straßenbahnen rauschen vorbei. Kahle Bäume, eine stillgelegte Baustelle,
überall hängen noch Wahlplakate.
Drinnen: Stühle sind mit Fellen bedeckt, Kerzen stehen auf dem Tisch. Tee
dampft und Plätzchen liegen bereit. Solomon Wijas Gemälde schmücken die
Wände – und ein Foto weißer Funkien, das er aufgenommen hat. Hier im
Wohnzimmer verbringt das Ehepaar am liebsten Zeit, „mit Besuch, kochen,
Spiele spielen“. Es ist warm, was die beiden an ihre alte Zweizimmerwohnung
zu DDR-Zeiten erinnert. Damals mussten sie noch mit Kohle heizen.
„Zweizimmerwohnung“ heißt auch eines der Bilder an der Wand.
Überleben: Im Oktober 1980 kam der 17-jährige Solomon Wija [1][aus Addis
Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, nach Deutschland]. Es war das erste Mal,
dass er sein Zuhause verließ. 1974 hatte es in Äthiopien einen Putsch
gegeben, und eine sozialistische Einparteienregierung war an die Macht
gekommen. Solomon Wijas Reise erfolgte dank einer Kooperation zwischen
seinem Land und der DDR. Eigentlich war er gar nicht 17, doch wäre er auf
dem Papier älter gewesen, hätte er nicht gehen dürfen. Nach der Landung in
Berlin ging es mit dem Zug weiter nach Leipzig. „Spätabends bin ich in
diesem großen, grauen Bahnhof ausgestiegen, es war niemand da, und da ich
keine warme Kleidung hatte, war mir sehr kalt“, erzählt er. Sein Gedanke in
diesem Moment: „Hier werde ich nicht überleben.“
An Kunst festhalten: Schon früh begann Solomon Wija zu zeichnen. „Als
kleines Kind mochte ich Buntstifte lieber als Süßigkeiten“, erinnert er
sich. Später durfte er eine Kunstschule besuchen, „aber meine Eltern
konnten es nicht nachvollziehen“. Pilot oder Mediziner – das wären für
seine Eltern, einen Kaufmann und eine Hausfrau, echte Berufe „mit Zukunft“
gewesen. „Als ich mit 14 mit meiner Kunst Geld zu verdienen anfing, mussten
sie akzeptieren, dass das mein Weg war“, sagt Wija.
Plakate malen: Was Solomon Wija als Junge auch faszinierte, war das Kino.
Mit 14 fand er einen Job in einem Filmverleih. Dort war er zuständig für
die Filmplakate. Wenn nicht genug Exemplare vorhanden waren, musste er sie
per Hand nachmalen. Besonders erinnert er sich an das Filmepos „Lawrence
von Arabien“, eine acht mal fünf Meter große Plakatleinwand sollte dafür
entstehen. „Die ganze Nacht haben wir durchgearbeitet, damit sie am
nächsten Tag hängen konnte.“ Viele dieser alten Plakate bewahrt er bis
heute auf wie einen Schatz.
Von Amerika träumen: In den 70er Jahren liefen in Äthiopien fast nur
US-Filme. „Deswegen wollte ich nach Amerika. Alle träumten damals davon“,
sagt Wija. Doch seine Neugier wurde schon früher geweckt. Als Kind
verdiente er sein Taschengeld in der amerikanischen Botschaft, indem er
Tennisbälle für die Mitarbeitenden einsammelte. „Manchmal las ich The
Times, nachdem sie sie ausgelesen hatten – das hat mich interessiert.“
Bleiben: Als der junge Solomon Wija von der Möglichkeit erfuhr, in
Deutschland zu studieren, sah er Amerika plötzlich in Reichweite. Irgendwie
werde er von Westberlin schon weiterziehen können, dachte er. Aber ein
Kunst- und Grafikdesignstudium, eine Familie, der Alltag kamen dazwischen.
Heute ist er froh, in Leipzig geblieben zu sein – auch wenn der Anfang
alles andere als einfach war.
Einsam sein: „Damals war es schwer zu telefonieren, also hatte ich kaum
Kontakt zu meinen Leuten in Addis Abeba“, erzählt Wija. Die Sprache, das
Wetter, das Essen – alles sei ihm fremd gewesen. Er hatte sich die
Kunstschulen in Dresden, Berlin und Leipzig angeschaut und sich für Leipzig
entschieden, weil es dort „schöne, große Werkstätten gab“. Anfangs sei er
oft alleine gewesen.
Ankommen: Es dauerte eine Weile, bis Solomon Wija sich auf Deutsch
verständigen konnte. Nach sieben Monaten Sprachunterricht bewarb er sich an
der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig – und wurde angenommen.
1981 begann er das Studium. „Dort habe ich Leute kennengelernt, wir sind in
Clubs gegangen, haben Sport gemacht, Konzerte und Museen besucht“, erinnert
er sich an die Zeit damals. „Man wusste endlich, wie das Wetter war, zog
sich entsprechend an – und das Leben wurde auf einmal einfacher“, sagt er
und lacht.
Zusammenkommen: Die meisten Leute aus dem Studium habe er nach der Wende
aus den Augen verloren. Nicht so seine Frau, mit der er seit 1985 zusammen
ist. Zwei Kinder haben sie, heute sind die längst ausgezogen. Seit 1990
betreibt das Künstlerpaar den kleinen Verlag Solomon Press. Dort bringen
sie gemeinsam Bücher heraus, „Bücher für Bibliophile“, erklärt er. Bett…
Wija-Stein, gelernte Buchbinderin, fertigt jedes Exemplar von Hand.
Für die Liebe kämpfen: „Sie wollte nie von hier weg, also musste ich
hierbleiben“, sagt Solomon Wija und deutet auf seine Frau, die sich Tee
einschenkt. – „Mit ihm habe ich mir die Welt hierhergeholt“, erwidert sie.
Beide lächeln sich an. Von Anfang an wollten sie heiraten, einfach war es
aber nicht. „Nach meinem Diplom 1987 ging ich für ein Jahr nach Addis Abeba
zurück, um alle Papiere für die Hochzeit zu besorgen“, erzählt Wija. Doch
der Antrag wurde zunächst abgelehnt. „Wir mussten für unsere Liebe
kämpfen.“
Überprüft werden: 1989 kehrte Solomon Wija nach Deutschland zurück – mit
einigen „Tricks“ auf Lager. Als seine Hochschule ihn als Alumni zu einem
Jubiläum einlud, sei er einfach geblieben. Bettina war schwanger, heiraten
durften sie aber noch nicht. „Wenn du eine DDR-Bürgerin heiraten wolltest,
musstest du dich von der Stasi prüfen lassen“, erklärt er. Drei Wochen
verbrachte Solomon Wija deshalb in einem Stasilager. „Ich musste dort alle
Fragen beantworten und wurde medizinisch untersucht. Ich habe mit niemandem
gesprochen, es gab nur Nummern, keine Namen.“
Die Wende mitgestalten: Diese Erfahrung macht Wija wütend auf das System.
Er bekam eine Aufenthaltsgenehmigung und begann zu arbeiten. Für
verschiedene Verlage erstellte er medizinische Illustrationen und
Buchgrafiken – und finanzierte sich und seiner Frau damit den
Lebensunterhalt. Nebenbei nahm er an den Montagsdemonstrationen teil. Zu
Hause entwarfen Bettina und er eine Postkarte gegen das DDR-Regime, die sie
heimlich in ihrem Fotolabor vervielfältigten. [2][„Die Wende haben wir
bewusst erlebt, wir haben sie mitgestaltet“], so Wija.
Geld verdienen: „Manchmal klappt alles im Leben, manchmal nichts. Meine
Bilder spiegeln diese Phasen wider“, sagt Wija. Wenn er gerade nicht malen
kann, widme er sich der Grafik oder kleinen Plastiken, „um abzuschalten“.
Auch Typografie und Layout habe er für verschiedene Publikationen gemacht.
„Ob ich das gerne tue, ist eine andere Frage, aber ich habe es gelernt. Man
muss auch Geld verdienen.“ Seine Bilder würde er am liebsten nicht
verkaufen. „Aber ich muss es.“ Sein Werk setze sich aus verschiedenen
Einflüssen und Stilen zusammen, Humor sei ihm wichtig. Deshalb zeichnet er
gerne politische Karikaturen, die er etwa für Demoplakate nutzt.
Die Ruhe bewahren: Der Name Solomon bedeutet „der König“ und „der
Friedliche“. Mit Letzterem kann sich Solomon Wija identifizieren, auch
wenn es ihm momentan schwerfällt, seinen inneren Frieden zu bewahren.
[3][Er sorgt sich um die politische Lage in Deutschland, besonders in
Sachsen.] Seine Kunst für gute Zwecke einzusetzen, ist seine Art, sich zu
engagieren. Monatelang sprach er mit Angehörigen der Palliativstation des
St. Elisabeth-Krankenhauses Leipzig. Nun hängen dort zwölf Bilder, die in
dieser Zeit entstanden sind. Seit 30 Jahren ist er auch im Hospizverein
Leipzig aktiv und arbeitet mit [4][interkulturellen Vereinen]. Einmal im
Jahr besucht er Schulen in Addis Abeba, bringt Schulmaterial mit und
entwickelt Kunstprojekte mit Kindern.
Glücklich sein: Solomon Wija liebt die Geselligkeit, aber wenn er allein
auf einem Berg steht, dann sei er glücklich. „Wenn ich nach unten schaue,
denke ich: So ein winziger Mensch schafft es, so einen großen Berg
hochzusteigen – das ist für mich das Leben.“
6 Apr 2025
## LINKS
[1] /Politische-Krise-in-Afrika/!6074576
[2] /DDR-Buergerrechtsbewegung/!6076208
[3] /Rechte-Raumnahme/!6076909
[4] https://www.werk-2.de/werkstaetten-kurse/grafikdruckwerkstatt/offene_grafik…
## AUTOREN
Luciana Ferrando
## TAGS
wochentaz
Hausbesuch
Der Hausbesuch
Leipzig
Äthiopien
Bildende Kunst
Der Hausbesuch
Der Hausbesuch
wochentaz
Der Hausbesuch
Der Hausbesuch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Der Hausbesuch: Das Haus auf dem Rücken
Delal Atmaca wächst als Halbnomadin in den anatolischen Bergen auf – bis
ihre Familie nach Deutschland zieht. Über die zwei Leben einer Frau.
Der Hausbesuch: Das Huhn ist ein Freigeist
Lasse Brandt ist Hühnerbeauftragter. Über die eigensinnigen Tiere weiß der
32-Jährige so gut wie alles. Zum Beispiel, dass sie gerne Radio hören.
Der Hausbesuch: Das B in Plan B steht für Backen
Laura Skandy schließt ihr Abitur mit 1,0 ab, studiert dann Jura und
Philosophie. Heute backt sie Schoko-Tahin-Halva-Torten in ihrem eigenen
Café.
Der Hausbesuch: Für gute Nachrichten sorgen
Stefan Maier berichtete jahrelang aus Kriegsgebieten in Afrika,
Zain-Alabidin Al-Khatir floh 2013 aus dem Sudan. Nun tun sie gemeinsam
Gutes.
Der Hausbesuch: Farben, Filme, Fernweh
Bolivien hat Ute Gumz nie ganz losgelassen. Zurück in Berlin umgibt sie
sich mit traditionellem Kunsthandwerk und vertreibt Alpakaprodukte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.