| # taz.de -- Der Hausbesuch: Farben, Filme, Fernweh | |
| > Bolivien hat Ute Gumz nie ganz losgelassen. Zurück in Berlin umgibt sie | |
| > sich mit traditionellem Kunsthandwerk und vertreibt Alpakaprodukte. | |
| Bild: Die 83-jährige Ute Gumz: farbenfrohe Wohnung | |
| Wenn Fernweh nach Bolivien sie überkommt, versenkt sich Ute Gumz in die | |
| farbenfrohe Handwerkskunst der Menschen aus den Anden. | |
| Draußen: Beste Wohnlage. Berlin-Mitte. Eine alte Maschinenfabrik, die zu | |
| Eigentumswohnungen ausgebaut wurde. In den Höfen stehen zwei- bis | |
| fünfgeschossige rote Backsteinhäuser. Eine innerstädtische Idylle ist es, | |
| begrünt, gepflegt, zentral, familienfreundlich. | |
| Drinnen: Öffnet sich die Aufzugtür im vierten Stock, sieht man auf einen | |
| langen sterilen Gang, fast wie ein Hotelflur. Ute Gumz winkt vom anderen | |
| Ende. In ihrer Wohnung geht es farbenfroher zu. Über den dicken bunten | |
| Teppich im Flur geht es ins Herz ihres Zuhauses, einen Raum mit großen | |
| Fenstern, hohe Decken, die den Einzug einer Empore mit Sitzgruppe erlauben. | |
| Dazu ein offener Kamin, schönes Porzellan, alte Möbel. [1][Viele | |
| Gegenstände] hat Ute Gumz aus Bolivien mitgebracht, gewebte Tücher, Bilder, | |
| kuschelige Stofflamas. Auch die funktionale Küche ist in den Wohnraum | |
| integriert. An einem riesigen Holztisch mit Blick auf den Hof erzählt Ute | |
| Gumz ihr Leben. | |
| Mundart: Die groß gewachsene weißhaarige Frau spricht mit leicht | |
| schwäbischem Sound. Sie ist 1942 in Reutlingen geboren und dort, wo | |
| Schwäbisch gesprochen wird, aufgewachsen. „Ich habe nie viel gesagt, weil | |
| ich mich für meinen Dialekt geschämt habe. Heute finde ich es toll, ihn zu | |
| sprechen.“ | |
| Sprachen: Französisch war damals erste Fremdsprache an ihrem Tübinger | |
| Gymnasium, „wegen der französischen Besatzung“. Die Sprache gefällt ihr. | |
| Sie geht als Austauschschülerin nach Frankreich und als Studentin an die | |
| Sorbonne. „Bis heute habe ich Kontakte in Paris und in Lyon.“ Englisch | |
| lernt sie nebenbei auch als Au-pair in Wimbledon. Später wird sie | |
| Übersetzerin. | |
| Unbeschwertheit: Sie findet eine Arbeit beim Deutschen Rat der Europäischen | |
| Bewegung in Bonn und übersetzt bei internationalen Konferenzen, auf denen | |
| das zu vereinende Europa im Mittelpunkt steht. Dort trifft sie 1970 auch | |
| ihren Ehemann Rüdiger Gumz, zu dieser Zeit Jurastudent. Zwei Jahre später | |
| nehmen beide eine Auszeit und brechen zu einer monatelangen Rucksackreise | |
| durch Südamerika auf. „Das war die unbeschwerteste Zeit unseres Lebens.“ | |
| Bolivien beeindruckt sie am meisten. „Es war noch am wenigsten beeinflusst | |
| von Nordamerika.“ Hier wollen sie leben und arbeiten. | |
| Entwicklungsdienst: Nach seinem Studium bewirbt sich Rüdiger Gumz beim | |
| Deutschen Entwicklungsdienst (DED) in Bonn. 1979 werden sie für vier Jahre | |
| nach Bolivien geschickt. Rüdiger ist dort Leiter des DED, Ute, „die | |
| mitgereiste Ehefrau“, engagiert sich in einer bolivianischen | |
| Menschenrechtskommission und schreibt sich an der Universität im Fach | |
| Comunicación Social ein. „Dort unterrichteten uns renommierte bolivianische | |
| Filmemacher und Politwissenschaftler, unter anderem auch der | |
| Jesuitenpriester Luis Espinal, der auf der Todesliste der künftigen | |
| Putschisten stand.“ Sie hätten gespürt, wie sich die Atmosphäre politisch | |
| zuspitzt, erzählt Gumz. Ständig habe es die Drohung einer „Nacht der langen | |
| Messer“ gegeben. Am 17. Juli 1980 schließlich putschen die Militärs. | |
| Geschichtsstunde: Es ist – nach strittiger Zählung – der 191. Putsch in | |
| rund 150 Jahren seit der Unabhängigkeit Boliviens 1825. Der bekannteste war | |
| der blutige Putsch des deutschstämmigen Generals Hugo Banzer, der von 1971 | |
| bis 1978 eine brutale Diktatur ausübte. Unter dem Druck des von der | |
| Minenfrau Domitila de Chúngara angeführten Hungerstreiks, dem sich Tausende | |
| anschlossen, sowie des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter kam es 1978 | |
| zum Rücktritt Banzers und zu Neuwahlen, die jedoch wegen Wahlfälschung | |
| wiederholt werden mussten. „Bei der Wahlwiederholung war ich, obwohl erst | |
| drei Monate im Land, mit der Menschenrechtskommission zur Wahlbeobachtung | |
| unterwegs.“ Die Demokratie in Bolivien hielt jedoch keine drei Monate. „Zu | |
| meinen eindrücklichsten Erlebnissen in diesem Jahr gehört das Massaker an | |
| der Untergrundführung.“ | |
| Film: Mit dem Putsch 1980 endet auch Ute Gumz’ Filmkurs an der Universität, | |
| die für zwei Jahre geschlossen bleibt. „Wir arbeiteten trotzdem in kleinen | |
| Gruppen weiter. Film wurde meine große Leidenschaft.“ Mit Paolo Agazzi, | |
| einem in Italien ausgebildeten Regisseur und Produzenten, arbeitet Gumz an | |
| dessen erstem Spielfilm: „Mi Socio“ („Mein kleiner Partner“). Der Film … | |
| einen Lastwagenfahrer und einen jungen Schuhputzer, die fünf Tage gemeinsam | |
| durch Bolivien fahren, wird ein Erfolg. „Viele gesellschaftskritische | |
| Botschaften wurden mit Humor aufbereitet.“ Es folgen weitere Filme, bei | |
| denen Ute Gumz die Regieassistenz macht. | |
| Carolina: Kinder will Ute Gumz; eigene müssen es nicht sein. Die | |
| Adoptivtochter Carolina kommt 1981 zur Welt, Gumz entscheidet sich schnell | |
| für das zur Adoption freigegebene Baby. Erst im Jahr 1983 allerdings kann | |
| sie die Adoption endgültig abschließen. „Man musste alles offenlegen, dabei | |
| wollte ich nicht, dass Carolina in diesen wichtigen ersten | |
| Entwicklungsjahren so lange im Kinderheim blieb.“ Beim Unterschreiben der | |
| Adoptionsurkunde habe die anwesende Richterin gesagt, „wir könnten sie auch | |
| gleich mit adoptieren – bei dem Gehalt meines Mannes im Vergleich zu den | |
| bolivianischen Gehältern“. | |
| Zwischenstopp: 1984 geht es zurück nach Deutschland. Ihr Mann arbeitet nun | |
| bei der „Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ) in Eschborn. | |
| 1986 bricht Ute Gumz mit ihrer Tochter zu einer Reise nach La Paz auf. „Ich | |
| wollte ihr vor ihrer Einschulung die Gelegenheit geben, La Paz zu erleben, | |
| und für mich war es schön, alte Freunde wiederzusehen.“ Ob die Tochter auch | |
| nach ihrer leiblichen Mutter fragte oder sie sehen wollte? Ute Gumz | |
| verneint. „Bei unserer Reise hat sie nur einmal gesagt: ‚Was meine Mutter | |
| jetzt wohl macht?‘ “ | |
| Rückkehr: 1992 zieht die Familie wieder nach Bolivien, dieses Mal ins | |
| Tiefland, nach Santa Cruz de la Sierra. Der Mann betreut hier Projekte der | |
| GTZ. Die Tochter geht auf die deutsche Schule, in der nur auf Spanisch | |
| unterrichtet wird. Sie kann die Sprache nicht, wird als „Gringa alemana“ | |
| gemobbt und ist todunglücklich. „Zum Glück“, sagt Ute Gumz, ziehen sie ba… | |
| nach La Paz, dort gibt es das Colegio Aleman. „Carolina blühte auf.“ Aber | |
| nicht nur sie. Ute Gumz schließt sich erneut ihrer alten Filmgruppe an. Der | |
| preisgekrönte Spielfilm „El día que murió el silencio“ („Der Tag, an d… | |
| die Stille starb“) entsteht, über einen Unternehmer, der in einem | |
| bolivianischen Dorf einen Radiosender aufbaut und damit Unruhe | |
| hineinbringt. Der schönste Preis sei der „Premio Stradivari“ für die beste | |
| Filmmusik beim Filmfestival in Triest gewesen. „Leider bestand das | |
| Preisgeld nicht in einer Stradivari, aber immerhin in einer Meistergeige.“ | |
| Enttäuschung: Als [2][Evo Morales] 2006 an die Macht kommt, unterstützt Ute | |
| Gumz den Präsidenten, der bis 2019 Bolivien regiert. „Wir waren anfangs wie | |
| so viele begeistert von ihm, hofften auf eine soziale Politik und | |
| gesellschaftliche Veränderung. Doch leider ist auch er, [3][je länger er | |
| die Macht hatte], der Gier und Selbstherrlichkeit verfallen.“ | |
| Alpakas: Nicht nur der Film, auch das bolivianische Kunsthandwerk hat es | |
| Ute Gumz angetan. Die Stickereien, die gewebten Stoffe, die farbenfrohen | |
| gestrickten Sachen aus Alpakawolle. Schon 1986 beginnt sie, mit | |
| Manufakturen zusammenzuarbeiten, um die Alpakawollwaren auch in Deutschland | |
| zu verkaufen und die Firmen so zu unterstützen. „Ein Lernprozess, da ich | |
| über keinerlei kaufmännische Ausbildung verfügte.“ Aber sie ist findig, das | |
| Geschäft lohnt sich nicht nur für die Menschen in Bolivien. „Ich habe | |
| zeitweise sehr gut damit verdient.“ | |
| Endstation: So nennt die 83-jährige Ute Gumz die jetzige Lebensphase. 2013 | |
| kehrt sie mit Mann und Tochter endgültig nach Deutschland zurück. Mit ihr | |
| zusammen eröffnet sie die Galerie Mamoo in Berlin. Ute Gumz verkauft dort | |
| ihre Alpakaprodukte, die Tochter, Fotografin, stellt ihre Bilder aus. Zwei | |
| Jahre möchte Ute Gumz ihren Laden noch betreiben. „Ich brauche den Kontakt, | |
| den Austausch, das Leben außerhalb der Wohnung.“ | |
| 12 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Edith Kresta | |
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