| # taz.de -- Lektor über abgelehnte Bücher: „Man kann nicht sagen: Ich weiß… | |
| > Der langjährige Rowohlt-Lektor Uwe Naumann über abgelehnte Bestseller, | |
| > die Notwendigkeit von Meinungsstärke und das Lästern hinter Verlagstüren. | |
| Bild: Für Autor*innen nicht einfach, dort mit ihrer Arbeit zu landen: öffentl… | |
| taz: Herr Naumann, von „1.000 Augen“ profitiere [1][der Verlag], hat sein | |
| Gründer Ernst Rowohlt mal gesagt. Es entscheiden also viele Menschen mit | |
| über das Programm? | |
| Uwe Naumann: Sie entscheiden mit, ja, und vor allen Dingen erteilen viele | |
| Menschen Ratschläge. Verlagsarbeit ist immer Teamarbeit, das hat sich bis | |
| heute nicht geändert. Ernst Rowohlt war ja eine sehr eindrucksvolle | |
| Gestalt, ein Hüne. Aber er sagte immer: Jetzt guckt nicht nur auf mich, | |
| guckt, wer die Leute sind, die im Hintergrund mitarbeiten. Die sind | |
| mindestens so wichtig wie ich. | |
| taz: Als einer, der im Hintergrund mitarbeitet: Erleben Sie solchen | |
| Respekt? | |
| Naumann: Doch, das ist tatsächlich so. Wenn Sie sich vorstellen, dass bei | |
| Rowohlt jeden Tag Dutzende von Manuskripten eingehen, viele hundert Autoren | |
| betreut und beurteilt werden wollen – das kann kein Einzelner oder keine | |
| Einzelne. Das ist tatsächlich Teamarbeit. | |
| taz: Hat sich die Zahl der Manuskripte geändert? Gab es auch Konjunkturen? | |
| Naumann: Es waren immer sehr viele. Rowohlt ist ein sehr eingeführter Name, | |
| sehr populär. Das heißt, wenn jemand schreibt und egal, ob er schon ein | |
| Buch gemacht hat oder nicht, denkt er: Wo kann ich das hinschicken? Ich | |
| kann ja mal bei Rowohlt anfragen. Vieles davon ist nicht wirklich druckbar | |
| oder druckenswert. Aber es gibt immer wieder Perlen dazwischen. | |
| taz: Sie sind für das Sachbuch zuständig. Werden Ihnen da andere Sachen | |
| angeboten, als den Kollegen, sagen wir: bei Suhrkamp? | |
| Naumann: Bei einigen anderen Verlagen finden Sie eine stärkere akademische | |
| Ausrichtung. Wir sagen immer: Wir sind ein populärer Verlag. Die Bücher | |
| müssen für viele lesbar sein. Und so versuchen wir das auch zu machen. | |
| taz: Zumal eine kollektive Entscheidung für oder gegen ein Buch braucht den | |
| Austausch. Der geschieht offenbar in Schriftform. Hat das einen tieferen | |
| Grund? | |
| Naumann: Es geht natürlich auch mündlich, über den Flur sozusagen – das ist | |
| dann nicht dokumentiert. Es gibt aber, das ist ein Rowohlt-Wort, das | |
| „Votum“: dass also ein Gutachten geschrieben wird, das kann fünf Zeilen | |
| lang sein, aber auch fünf Seiten. Das wird dann [2][der | |
| Verleger-Persönlichkeit] vorgelegt und eventuell auch diskutiert. Wenn es | |
| da Uneinigkeit gibt, wird meist ein zweites Votum angefordert, um | |
| sicherzugehen, liegen wir da jetzt richtig oder nicht? Irrtümer sind | |
| natürlich vorbehalten … | |
| taz: Solcher Schriftverkehr landet bei einem ordentlichen Unternehmen dann | |
| auch im Archiv. Einen Abend lang lassen Sie Außenstehende daran teilhaben, | |
| unter dem Motto: „Ein Text, den man gerne aus der Hand legt“. | |
| Naumann: Das stand in einem Votum über den Schriftsteller Hans Sahl, | |
| Verfasser war Kurt Kusenberg, einer der wichtigen Lektoren des Hauses | |
| Rowohlt. Der hatte so eine Saftigkeit. Das Buch ist dann beim | |
| Fischer-Verlag erschienen. Die Idee ist ja: Da liegt ein Manuskript oder | |
| auch ein fertiges Buch, manchmal geht es ja um Lizenzausgaben. Und die | |
| Frage ist: Will man das drucken oder nicht? Da muss man auch zu einer | |
| Meinung kommen. Man kann da nicht sagen: Ich weiß auch nicht recht. | |
| Überhaupt: Meinungsstark müssen [3][Lektoren] sein. | |
| taz: Und die Zeit drängt vermutlich immer? | |
| Naumann: Ich bin ja schon eine Weile dabei, da traut man sich auch zu, nach | |
| wenigen Seiten ein Urteil zu fällen. | |
| taz: Haben Sie auch schon danebengelegen? | |
| Naumann: Doch, schon. Ein Beispiel, das mir immer noch nachhängt: | |
| [4][Michael Moore], „Bowling for Columbine“, so ein Amerika-Verriss aus der | |
| Ära George W. Bush. Damals war Moore hier noch nicht bekannt. „Bowling for | |
| Columbine“ wurde sein erstes Buch in Deutschland. Wir saßen zusammen, der | |
| Verleger Alexander Fest, ich und noch jemand und sagten: Na ja, dass | |
| Amerika Mist ist, wissen wir doch alle. Diesen Autor kennt aber keiner. Und | |
| dann sah er auch noch aus, wie er halt aussieht. Wir haben das abgelehnt – | |
| es wurde ein veritabler Bestseller. | |
| taz: Interessante Größe, die Vorzeigbarkeit eines Autors, einer Autorin. | |
| Naumann: Es ist schon so, dass man darauf auch achtet. Niemand muss einen | |
| Schönheitswettbewerb gewinnen, aber präsentabel sein im weitesten Sinne, | |
| auch eloquent im Auftreten. Man muss ein Interview geben können, eine | |
| Lesung durchführen – und das muss Spaß machen für die Zuhörer. | |
| taz: Gilt das auch fürs Sachbuch? | |
| Naumann: Doch, das ist genauso ausgeprägt. Wenn jemand nur so akademisch | |
| daher formuliert, in hochkomplexen Satzstrukturen, dann ist er für ein | |
| Rowohlt-Buch eigentlich nicht geeignet. | |
| taz: In anderer Hinsicht müssten sich aber bei Sachbüchern noch mal andere | |
| Fragen stellen als bei einem Roman. Einfach weil, was darin steht, auch | |
| stimmen muss. Bloß: Sie als Lektor können sich gar nicht in allen Bereichen | |
| gleich gut auskennen, oder? | |
| Naumann: Klar, doch, das tue ich. Nein, man ist als Lektor ein Allrounder | |
| und muss ganz vieles können und kennen. Aber ich habe auch das Recht und | |
| sogar den Auftrag, wenn ich unsicher bin, Gutachter heranzuziehen. Entweder | |
| schon bei der Entscheidungsfindung, ob wir ein Buch machen wollen, oder | |
| wenn das Manuskript dann fertig ist. Das kostet ein kleines extra Honorar, | |
| ist es aber wert: Die Fachgutachter finden dann doch noch kleine Pünktchen, | |
| die korrigiert werden sollten. | |
| taz: Zusammen mit Ihrem Kollegen Michael Töteberg entreißen Sie nun einige | |
| Beispiele für solche internen Aushandlungen dem Archiv. Verraten Sie uns | |
| einen großen Namen, um den es heute gehen wird? | |
| Naumann: Zum Beispiel [5][Rosamunde Pilcher], die ja den Rowohlt Verlag | |
| genährt hat über viele Jahre. Da gibt es interessante Dokumente aus der | |
| Frühzeit, als sie noch nicht durchgesetzt war, wo alle skeptisch waren, ob | |
| sich rechnet, was wir dafür ausgeben. Es kommt aber auch einer der ersten | |
| Rowohlt-Autoren überhaupt vor: [6][Franz Kafka]. Dessen allererstes Buch | |
| ist bei Rowohlt erschienen: „Betrachtung“, das ist auch Teil der | |
| Ausstellung. Oh, und ein Name, der wichtig für Hamburg ist: [7][Peter | |
| Rühmkorf]. Der war beides: Er war das Opfer eines wütenden Gutachtens, als | |
| er noch nicht durchgesetzt war; nach dem Motto: Das ist ja nur ein | |
| Halbdichter, der taugt nichts. Dann wurde er aber sogar selbst Lektor und | |
| hat dann von seiner Seite aus scharf geurteilt. Das ist amüsant und | |
| gleichzeitig auch lehrreich: Dass man vielleicht manchmal behutsam sein | |
| soll in seinem Urteil. | |
| 5 Feb 2025 | |
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