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# taz.de -- Buchbranche in der Krise: Der Wunsch nach Sinnstiftung bleibt
> Der Buchmarkt steht unter Druck. Aber dass sich idealistische Investoren
> wie bei Suhrkamp engagieren, ist ein ermutigendes Zeichen.
Bild: Temporärer Laden des Suhrkamp Verlages
Vor der Frankfurter Buchmesse, die am 15. Oktober eröffnet wird, flirrt die
unabhängige Verlagsszene vor Nervosität. Dem Suhrkamp Verlag eine
existenzielle Krise zu attestieren, wie es die Süddeutsche Zeitung getan
hat, ist zwar zu hoch gehängt. 270.000 Euro Verlust im Jahr 2022? Dirk
Möhrle hat schon abgewunken.
Diese Summe ist für den neuen Inhaber des Verlags nicht spielentscheidend,
und er hat längst auch glaubhaft Investitionen versprochen. Man sollte
dennoch genau hinschauen. Am Suhrkamp Verlag verdichten sich wieder einmal
die Probleme und eben auch die aktuelle Dünnhäutigkeit, die die
deutschsprachige Literatur- und Sachbuchszene insgesamt beschäftigen. Vor
allem drei Geschichten lassen sich hier erzählen.
Erstens: Die mittleren Auflagen schrumpfen. Die Papierpreise sind
gestiegen. Die Buchhändler schicken noch nicht verkaufte Bücher viel
schneller als früher üblich an die Verlage zurück. Diese Probleme
betreffen die Verlagsszene als Ganzes. Doch bei den Möglichkeiten, auf sie
zu reagieren, gibt es gewaltige Unterschiede. Die großen Konzernverlage
können sich mit ihrer schieren Marktmacht bei den Buchhandelsketten die
begehrten Plätze auf den Auslagetischen sichern. [1][Die unabhängigen
Verlage dagegen müssen auf anderes setzen], um ihre Bücher bekannt zu
machen: auf Empfehlungen des engagierten, inhabergeführten Buchhandels, auf
Buchbesprechungen und Buchpreise.
Das aber ist eine zunehmend schwere See. Literatursendungen im Fernsehen
werden abgeschafft. Der Buchhandel hat zu kämpfen. Und Buchpreise
übersetzen sich keineswegs automatisch in hohe Verkaufszahlen. 2022 ging
der Nobelpreis an Annie Ernaux, der Büchner-Preis an Emine Sevgi Özdamar,
der Friedenspreis an Serhij Zhadan. Alle Suhrkamp. Trotzdem schloss der
Verlag mit Verlusten ab.
Zweitens: Gerade an Suhrkamp kann man sehen, wie wenig Rezepte aus der
Vergangenheit für die Gegenwart noch taugen. Wenn selbst dieser Verlag es
nicht mehr schafft, von den Mythen und Backlisttiteln zu leben, mit denen
er so reich gesegnet ist, dann schafft es keiner.
In dieser Lage ruft die Kurt Wolff Stiftung, in der sich die unabhängigen
Verlage zusammengetan haben, nach dem Staat. Aus ihrer Sicht verständlich.
Aber auch problematisch, nicht nur weil einer staatlichen Verlagsförderung
hohe rechtliche Hürden entgegenstehen. Denn es mag ja stimmen, dass die
Kleinverlagsszene insgesamt „systemrelevant“ ist, wie die Stiftung
schreibt, doch das gilt eben nicht für jeden einzelnen Verlag. Und was,
wenn wir wirklich einmal eine sehr rechte Regierung bekommen sollten? Wenn
die Verlage erst einmal existenziell von der Politik abhängig sind, kann
die, wie derzeit in der Slowakei, kulturpolitisch stark durchgreifen.
Es gibt aber auch noch ein Drittens. Es mag sich luftig anhören und ist
doch real: An Suhrkamp kann man nämlich auch wahrnehmen, wie mächtig in
unserer Gesellschaft der Wunsch ist, dass es so etwas gibt, Institutionen
und Orte, die aus rein inhaltlichem und literarischem Interesse Bücher
produzieren. Das aus diesem Wunsch resultierende kulturelle Kapital ist
hoch.
Unabhängige Verlagsszene bleibt wichtig
Es bringt einen Geschäftsmann wie Dirk Möhrle, der sein Geld mit Immobilien
gemacht hat, dazu, mit dem Kauf von Suhrkamp keine schnellen Gewinne zu
erwarten, sondern eine Steigerung des Sinns seines Lebens. So lassen sich
seine ersten Äußerungen als Suhrkamp-Inhaber jedenfalls verstehen. Und es
gibt weitere Beispiele. [2][Die Edition Nautilus] und auch der Hirnkost
Verlag wurden von Buchinteressierten gerettet, nachdem sie kurz vor der
Pleite gestanden hatten. Eine unabhängige, vielfältig inhaltlich
interessierte Verlagsszene ist vielen Menschen wichtig. Man würde unsere
Gesellschaft nicht richtig verstehen, wenn man den Wunsch nach Sinnstiftung
und Erweiterung des Horizonts durch Bücher gar nicht mehr berücksichtigen
würde.
Hier schließt sich der Kreis zur Buchmesse. Seitdem die Buchdeals im
Internet abgewickelt werden, müssen Agenten und Lektoren nicht mehr
Manuskripte unter den Zimmertüren von Frankfurter Luxushotels
durchschieben. Damit aber rücken die Themen in den Vordergrund. Denn der
Erfolg der Messe bemisst sich längst daran, ob sie genug Neugier erzeugt,
um die Besucher anzulocken. Kurz, auch die Messe muss auf den Wunsch des
Publikums spekulieren, dass es weiterhin eine quirlige Verlagsszene gibt.
Mögen unsere guten Wünsche den Verlagen ein Antrieb zu kaufmännischen
Lösungen sein! Um die Verlage zu unterstützen, hilft es übrigens schon mal,
seine Bücher nicht bei Amazon zu kaufen.
14 Oct 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Dirk Knipphals
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Literaturbetrieb
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
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Verlagswesen
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deutsche Literatur
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