# taz.de -- Lektorat: Hinter der Arbeit am Text verschwinden | |
> Ein Porträt der Lektorin Ulrike Schieder, die für den Rowohlt Verlag | |
> neben anderen Jonathan Franzen, Martin Walser und Daniel Kehlmann betreut | |
Bild: Dank sanfter Beharrlichkeit der Lektorin schafft es manches Werk bis in d… | |
Walser ist am Telefon. Ein bisschen gehetzt winkt Ulrike Schieder zu | |
unserem Tisch hinüber. Die Zeit für unser Gespräch ist knapp. Schieder | |
nickt in ihr Handy, winkt immer noch. Vermutlich ist der Luftzug ganz | |
angenehm in der Kreuzberger Mittagshitze. "Entschuldigung." Sie setzt sich. | |
"Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich gerade ein Interview gebe." | |
Ein typischer Schieder-Satz. Wenn man mit der Rowohlt-Lektorin spricht, ist | |
diese Mischung aus Bescheidenheit und leichtem Befremden darüber, dass man | |
sich für ihre Arbeit interessiert, immer anwesend. Ein Lektor arbeitet nach | |
ihrer Überzeugung im Hintergrund. "Es geht ganz einfach niemanden etwas an, | |
was ich an einem Text gemacht habe", wird sie später sagen. "Das ist | |
vollkommen irrelevant." | |
Mit dieser Devise ist sie bisher gut gefahren. Vier Jahre war die studierte | |
Germanistin, Historikerin und Kunsthistorikerin Lektorin beim Fischer | |
Verlag, bevor sie nach anderthalb freiberuflichen Jahren zum Alexander Fest | |
Verlag wechselte. Als Fest dann 2002 Verleger des Rowohlt Verlags wurde, | |
ging sie mit. Seither hat sie nicht nur die Bücher von Martin Walser und | |
Georg Klein betreut, sondern auch die Übersetzungen amerikanischer | |
Erfolgsromane wie Jonathan Franzens "Die Korrekturen" oder Jeffrey | |
Eugenides "Middlesex". Nicht zu vergessen: Kehlmanns Bestseller "Die | |
Vermessung der Welt". Hört man sich heute unter - auch verlagsfremden - | |
Autoren um, gilt Ulrike Schieder als das Beste, was dem eigenen Text | |
passieren kann. Sie selbst würde so etwas nie erzählen. | |
Trotz gewisser Vorbehalte also hat sie sich für eine Stunde von ihrem | |
Schreibtisch losgerissen. Der stand bisher im Haus von Rowohlt Berlin. | |
Einen Außenposten nennt Schieder ihr kleines Büro in einer Kreuzberger | |
Fabriketage. Jetzt ist sie mitten in den Aufbruchsvorbereitungen, weil sie | |
in den kommenden Monaten im Stammhaus bei Rowohlt Reinbek arbeiten wird. | |
Denken die Leute eigentlich immer noch, dass ein Lektor nur liest, fragt | |
Schieder, nachdem sie ihr Handy ausgeschaltet hat. "Eigentlich muss man ja | |
in erster Linie sprechen." Manchmal mehr, als ihr lieb ist. "Das | |
Lektorendasein ist eine endlose Überzeugungsarbeit", sagt sie. Die Kollegen | |
vom Marketing, vom Vertrieb, die anderen Lektoren im Haus und der Verleger | |
natürlich - alle haben eine bestimmte Vorstellung davon, was für ein Buch | |
das Beste ist. Wie das Cover aussehen soll, wie man einen Titel bewerben | |
könnte. Darüber gehen die Meinungen oft weit auseinander. "Als Lektorin | |
stehst du immer dazwischen und vermittelst zwischen den Positionen." Das | |
ist im Grunde eine absurde Situation: Man ist zwar als Lektor am dichtesten | |
dran an einem Buchprojekt und tritt als eine Art Anwalt des Autors | |
innerhalb des Verlags auf. Anordnen kann man aber nichts. Also muss man die | |
anderen von seinen Vorschlägen überzeugen, man muss sie begeistern. Das | |
geht manchmal in der Kaffeeküche oder im Treppenhaus besser als auf einer | |
Sitzung, wo die Fronten meistens von vornherein etwas starr sind. Man muss | |
mit den Leuten ins Gespräch kommen. Deshalb also der Umzug nach Reinbek. | |
Jetzt sitzt Ulrike Schieder wieder mal dazwischen. Zwischen dem, was gern | |
die Dunkelzone eines Verlags genannt wird - dem Büro des Lektors - und der | |
Bitte, ihre Arbeit auf möglichst griffige Formeln zu bringen. Sie spricht | |
leise, manchmal zögerlich. Dass immer wieder Lastwagen am Café | |
vorbeidonnern und sie unterbrechen, scheint ihr ganz lieb zu sein. | |
Vielleicht, das beginnt man zu ahnen, wenn man ihr länger zuhört, liegt das | |
Können eines Lektors gerade darin, nicht auf feste Formeln zurückgreifen zu | |
müssen. | |
Das gilt nicht nur für die Arbeit innerhalb des Verlags, sondern viel mehr | |
natürlich noch für den Bereich, der für sie das Herzstück des | |
Lektorenberufs ist: die Arbeit mit dem Autor an seinem Text. Darüber zu | |
sprechen, scheint noch vertrackter zu sein. Ganz einfach deshalb, sagt sie, | |
weil jeder Text anders ist und einen speziellen Umgang fordert, und weil | |
man sich auf jeden Autor neu einstellen und eine Zusammenarbeit austarieren | |
muss. Wie intensiv und ab welchem Zeitpunkt beispielsweise ein Lektor in | |
den Text eingreifen kann, entscheidet jeder Autor für sich. | |
Manche kommen schon mit den ersten Ideen zu ihr. Man spricht dann über den | |
möglichen Aufbau einer Geschichte, über die Entwicklung einzelner Figuren. | |
Es kann aber auch ganz anders funktionieren. Als Daniel Kehlmann "Die | |
Vermessung der Welt" auf ihren Schreibtisch gelegt hat, war das Manuskript | |
eigentlich schon fertig. Es sei ein Geschenk, mit einem Autor wie ihm | |
zusammenarbeiten zu dürfen, schwärmt sie und klingt nun doch ein wenig wie | |
die Pressesprecherin von VW. Klar: Jeder Lektor ist auch | |
Öffentlichkeitsarbeiter. | |
Natürlich gibt es nicht nur Erfolgsmeldungen. Die meisten Autoren nehmen | |
ihre Vorschläge zwar konstruktiv, ja sogar dankbar auf. "Ein Autor fällt | |
mir allerdings auch ein, mit dem ging es gar nicht. Da haben wir nach ein | |
paar Monaten die gemeinsame Arbeit aufgegeben. Hoffnungslos." Den Namen | |
verrät sie nicht. Sie lacht. Berufsgeheimnis. Genauso wenig gibt sie preis, | |
welcher Autor ihr von vornherein gesagt hat, dass für ihn Lektoren | |
allerhöchstens als Korrektoren in seinen Text eingreifen dürfen. So etwas | |
wie eine Zusammenarbeit kann da natürlich nicht entstehen. Damit findet sie | |
sich ab. Ein dickes Fell sollte offenbar in der Grundausstattung eines | |
Lektors nicht fehlen. Das sieht man der zierlichen blonden Frau auf den | |
ersten Blick gar nicht an. | |
Unempfindlichkeit einerseits, anderseits eine spezifische Empfindlichkeit | |
für die Bedürfnisse eines Autors und die Anforderungen eines Textes. Das | |
kann man vermutlich nur erreichen, wenn man wie Ulrike Schieder eine | |
geradezu emphatische Achtung vor der Leistung seiner Autoren hat. Aus | |
Kritikerperspektive kann man das altmodisch finden: Wer glaubt denn noch an | |
die Idee vom genialischen Autor? Vielleicht reizt es gerade deshalb, einmal | |
aus einem Lektor herauszukitzeln, wie er laut auf seinen Anteil an einem | |
Buch pocht. Bei ihr kann man damit nicht landen. Warum sollte ich das tun, | |
fragt sie. "Es sind doch immer nur Vorschläge, die ich mache. Ich stricke | |
denen doch nicht die Texte zusammen." Da scheint es für einen Moment dann | |
doch ein wenig herausfordernd in ihren Augen aufzublitzen. Immerhin kam das | |
mit dem Zusammenstricken jetzt von ihr. "Sagen wir mal so." Sie lacht: "Es | |
gibt Texte, bei denen man mit sehr, sehr vielen Vorschlägen anrücken muss." | |
Gerade die Bescheidenheit, die Ulrike Schieder als Person verkörpert, | |
könnte auch einen Teil des Einflusses ausmachen, den ein Lektor auf die | |
Entstehung eines Textes hat. Vielleicht funktioniert es so: Dadurch, dass | |
ein Lektor dem Autor das Gefühl gibt, dass ein kleiner Geniekult um ihn | |
herum inszeniert wird, gibt er ihm die Sicherheit, seine Texte schreiben zu | |
können. | |
Zeit ist das Stichwort, das sie in diesem Zusammenhang am häufigsten | |
verwendet. Manchmal muss man als Lektor lange darauf warten, bis ein Autor | |
so viel Sicherheit hat, dass er das Geschriebene auch aus der Hand gibt. | |
Erst dann fängt der Teil von ihrer Arbeit an, der nichts mit Reden oder | |
Herumtelefonieren zu tun hat. "Wirklich an einem Text arbeiten kann ich | |
eigentlich nur zu Hause", sagt sie: "Tür zu, Telefon aus." Wenn man dann | |
mit dem Bleistift an dem Manuskript sitzt, verändert sich der Blick auf | |
einen Text noch einmal ganz grundlegend. Man liest viel genauer. Da kann | |
sich in den Abläufen im Verlag noch so viel umstrukturiert haben in den | |
letzten Jahren. Die Zeit und die Ruhe für die Arbeit am Text muss man sich | |
als Lektor nehmen, sagt sie, und dass sie Glück habe. Alexander Fest sei | |
einer der Verleger, der seinen Lektoren diesen Freiraum zugesteht. | |
Dass die Betreuung der Bücher bei Rowohlt so hochgehalten wird, mag nicht | |
zuletzt an der Krise liegen, in die der Verlag geraten war, bevor Fest ihn | |
übernahm. Als Rowohlt vor einigen Jahren seine desaströse Finanzlage | |
offenlegen musste, hat der Verlag viele wichtige Autoren verloren. Man | |
fühle sich nicht ausreichend betreut, war durchgängig die Begründung. Das | |
hat sich geändert, unter anderem dank Ulrike Schieder. Es war und ist | |
eigentlich immer noch eine behutsame und langwierige Aufbauarbeit nötig, | |
erzählt sie. Behutsamkeit in der Arbeit mit jedem einzelnen Autor und | |
Behutsamkeit mit Blick auf das Verlagsprogramm insgesamt. | |
Blickt man in das Rowohlt-Programm, findet man traditionell viele | |
Übersetzungen. Im kommenden Herbst sind es allein in der Belletristik sechs | |
von insgesamt neun Neuerscheinungen. Ist man bei Übersetzungen, bei denen | |
man ja auf den Entstehungsprozess des Buches gar keinen Einfluss mehr hat, | |
als Lektor nicht völlig überflüssig? Im Gegenteil, sagt Ulrike Schieder. | |
Übersetzungen sind oft arbeitsaufwändig, weil immer die Gefahr besteht, | |
dass etwas vom Original verloren geht. Dann sitzt man mit dem Übersetzer | |
oder manchmal auch dem Autor zusammen und knobelt, wie man sprachliche | |
Eigenwilligkeit oder etwa eine besondere Form des Humors ins Deutsche | |
übertragen kann. | |
Schwierig sind auch die Fälle, wo es nicht darum geht, dass etwas verloren | |
gehen könnte, sondern wo die Originalausgabe unbefriedigend ist. In Spanien | |
beispielsweise werden Bücher oft gar nicht lektoriert. Da muss man bei der | |
deutschen Ausgabe schon mal ein bisschen nachhelfen. Schieder lächelt | |
spitzbübisch: "Vielleicht kann man an den Übersetzungen sogar am besten | |
sehen, was die Arbeit eines Lektors ausmacht." Beim Übersetzen hat man | |
Spielräume. Ein Lektor macht dann Vorschläge, wie man diese Spielräume | |
auslegen könnte. Manchmal muss man mit dieser Freiheit eben etwas | |
großzügiger umgehen. So macht man einen Text Stück für Stück besser, ohne | |
dass man tatsächlich den Rotstift ansetzen müsste. | |
Was wohl ihr wichtigstes Mittel bei dieser Arbeit ist? "Charme", antwortet | |
sie so schnell, als hätte sie längst auf diese Frage gewartet. Und dann | |
genauso schnell: "Nein. Charme streichen wir. Das streichen wir auf alle | |
Fälle. Schreiben Sie lieber: sanfte Beharrlichkeit." Diese Beharrlichkeit | |
von Ulrike Schieder ist von einem solchen Charme, dass man - als sie nach | |
einer knappen Stunde durch die staubige Berliner Hitze an ihren | |
Schreibtisch zurückeilt - zwar keine grellen Spotts in die Dunkelzone des | |
Verlags hat setzen können. Dass man sich aber mit aller Sanftheit zu der | |
Überzeugung geschaukelt fühlt, dass es für den Leser letzten Endes | |
vollkommen irrelevant ist, was ein Lektor an einem Text gemacht hat. | |
Hauptsache, es war gute Arbeit. | |
21 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Wiebke Porombka | |
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