Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rowohlt-Verlag wird 100: Gosse und Geist vereinigt
> Mit Tradition, Taschenbuch und Popkultur: Der Rowohlt Verlag feiert 100.
> Geburtstag. Kaum ein Verlag spiegelt die Wechselfälle der Historie wie
> das Haus in Reinbek.
Bild: Seit 100 Jahren Programm von Tucholsky bis Borchert, von Ildikó von Kür…
An der Decke des Festsaals prangten Harfe und Pegasus, links und rechts
wachten zwei altägyptische Löwen. Im Schloss zu Weimar präsentierte Martin
Walser im Februar seinen Goethe-Roman "Ein liebender Mann" dem Publikum.
Der Abend war zugleich ein festlich zelebrierter Auftakt für das Jubiläum
seines Verlages. Rowohlt feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Aber
Weimarer Weihestimmung will nicht so recht passen zu diesem Verlagshaus.
Schon eher gehört die rauch- und alkoholgeschwängerte nächtliche Aftershow
in der Bar des Hotels "Elephant" dazu, bei der Verleger Alexander Fest den
Liebesbrief des Kolumnisten Franz-Josef Wagner an Walser ironisch
deklamierte.
So war es oft im Hause Rowohlt: Gosse und Geist vereinigten sich für
Momente - und Glamour war prompt gezeugt. Legendär sind die rauschenden
Geburtstagsfeiern des trinkfesten Gründers Ernst Rowohlt (1887-1960) in den
Zwanzigerjahren, heute sind die erhitzten Rowohlt-Partys fester Bestandteil
jeder Buchmesse.
Natürlich sieht der Alltag prosaischer aus; natürlich ging es früher
versoffener und verkokster zu. Doch das Image des Verlags profitiert immer
noch von exzessiven Storys, seien sie auch historisch. So schrieb
Suhrkamp-Autor Walser am 8. April 1963 in seinem Tagebuch über eine teure
Hamburger Nacht mit Verlegersohn Heinrich Maria Ledig-Rowohlt (1908-1992):
"Abends Graham Greene bei Bucerius. Ledig-Rowohlt groß in Englisch. Danach
fort nach St. Pauli. Ledig-Rowohlt bezahlt 1700. Die junge Schwarze. Aber
die Großmutter kettet uns an sich. Also wird die Mulattin nicht beachtet.
Man tut treu dieser Blödhure gegenüber und sieht gegen 7 Uhr ein, daß sich
das nicht rentiert." Schließlich half Walser dem Verleger nach Hause: "Habe
den ohnmächtigen Spender ins Taxi getragen." Trotz oder wegen solcher
intimen Vertrautheit wechselte Walser erst 2004 von Frankfurt nach Reinbek.
Berührungsängste gab es nie bei Rowohlt. Vielleicht liegt darin das
Betriebsgeheimnis des Verlags, der sich erstaunlich munter über die
diversen Abgründe des vergangenen Jahrhunderts hangelte. Hoch- und
Popkultur mischten sich ebenso wie links und rechts, Avantgarde und
Tradition. "Mein Verlag hat kein Gesicht, mein Verlag hat tausend Augen",
lautet das Diktum Ernst Rowohlts, mit dem er das spezifisch Unspezifische
seines Hauses umschrieb. Diese instinktive Profillosigkeit ist stilprägend
für jene Rowohlt Culture, die vielleicht mehr über die deutsche
Kulturgeschichte aussagt als die Historie anderer Buchproduzenten. Zwar
gibt es traditionsreichere Verlage: Hoffmann und Campe existieren seit
1781, C.H. Beck seit 1763. Und es gibt die Hochkulturfestung Suhrkamp.
Rowohlt aber verkörperte stets eine flexibel-populäre Modernität: statt
Diskursgemeinschaft lieber eine Partynacht mit möglichst vielen
gegensätzlichen Gestalten. Deutschlands langer Weg nach Westen konnte am
Ende auch gelingen, weil es solche lernfähigen, zwar chaotischen, aber
allmählich Traditionen transferierenden Institutionen wie Rowohlt hatte.
Der aus Bremen stammende Kaufmannssohn Ernst Rowohlt hatte 1908 seinen
ersten verlegerischen Versuch gestartet: In einer Auflage von 270
Exemplaren erschienen Gedichte eines Schulfreundes. Er lernte in Leipzig
bei dem Verleger Alfred Kippenberg, tat sich kurzzeitig mit dem
gleichaltrigen Kurt Wolff zusammen und verlegte die jungen Dichter des
Expressionismus. Seine gleichfalls jungen Lektoren trugen klangvolle Namen:
Franz Werfel, Kurt Pinthus, Walter Hasenclever.
Nach vier Jahren an der Front startete Rowohlt im Januar 1919 neu. Seine
Verlagsprogramme in den Zwanzigerjahren waren "pyrotechnische Mischungen",
wie Ernst Jünger sie genannt hat: Eine 44-bändige Balzac-Ausgabe stand
neben Walter Benjamins "Ursprung des deutschen Trauerspiels" (1928), Kurt
Tucholskys "Schloß Gripsholm", Hans Falladas "Kleiner Mann - was nun?" und
Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften", dessen erster Teil 1931/32
erschien. Trotz ökonomischer Krisen begann der Verlag damals jene Mission,
die seine bedeutendste Leistung werden sollte: Rowohlt machte das
literarische Amerika in Deutschland heimisch.
1928 erschien Ernest Hemingways "Fiesta". Rasch wurde der Whisky-Trinker
zum Lieblingsautor von Ernst Rowohlt; beide setzten ihre Zusammenarbeit
auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort: "Weiß Gott, ich bin froh, dass wir
beide uns nicht gegenseitig erledigt haben", schrieb Hemingway 1946. In den
Jahrzehnten danach kamen Henry Miller, Paul Auster und Jonathan Franzen zu
Rowohlt. Thomas Pynchons "Die Enden der Parabel" erschien 1981 nach
siebenjähriger Übersetzungsschufterei. Der alte Ledig-Rowohlt hielt es für
"eines der letzten wirklich echten Rowohlt-Bücher".
Pünktlich zum Jubiläum hat auch Rowohlt kürzlich aber auch seine Nazi-Story
bekommen: Unter der Überschrift "Hauptmann der Propaganda" berichtete der
Spiegel über Ernst Rowohlts Kriegseinsatz. Zwischen 1941 und 1943 war er in
einem Wehrmachts-Sonderstab tätig und dort könnte er auch an
antisemitischen Propagandaaktionen in Griechenland und im Kaukasus
beteiligt gewesen sein. "Unerhört" nannte Verleger Alexander Fest die
suggestive Quelleninterpretation des Spiegel. Tatsächlich bedarf es
genauerer Forschungen, wie sein hemdsärmeliges Naturell Ernst Rowohlt im
Nationalsozialismus agieren ließ. Er hatte nach 1933 versucht, sich mit
seinem Verlag durch die neuen Machtverhältnisse zu lavieren, und dabei vor
allem seine jüdischen Mitarbeiter geschützt. Wegen "Tarnung jüdischer
Autoren" wurde Rowohlt 1938 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen.
Nach dem Krieg war Rowohlt aber rasch wieder da, alsbald in Hamburg. Das
Kriegsheimkehrer-Werk Wolfgang Borcherts wurde zu einem großen Erfolg,
Sartre kam ins Programm. 1950 importierte Ledig-Rowohlt die Idee des
Taschenbuchs aus Amerika: Die billigen rororo-Bände wurden zu
Verkaufsschlagern im Wirtschaftswunderdeutschland.
Nach dem Tod von Ernst Rowohlt zog man 1960 ins benachbarte Reinbek. Fritz
J. Raddatz, von 1960 bis 1969 Cheflektor, hat jenen Moment beschrieben, in
dem er als neuer Mitarbeiter auf die alte Rowohlt-Garde traf: "Ich erinnere
mich an einen Nachmittag, als - schwitzend, rotgesichtig und lärmend - eine
solche Horde dröhnender Urviecher in mein Büro hineinstapfte,
offensichtlich nach einem opulenten Mittagessen: Ernst von Salomon, Marek
alias Ceram, Scheringer und Gregor von Rezzori; sie hielten Schnapsgläser
in der einen und dicke Zigarren in der anderen Hand, wollten nach dem
Bordeaux das fremde neue Tier betrachten. Da öffnete sich leise die Tür,
und drei blasse, dünne, unscheinbare Herren betraten den Zoo: Enzensberger,
Jürgen Becker und Hubert Fichte." Die neuen Tiere bewegten sich nach links.
Die rot-gelben "rororo-aktuell"-Taschenbücher zierten mit Mao und Daniel
Cohn-Bendit 1968ff. jedes studentisch bewegte Bücherboard. "Westwärts 1 &
2", der programmatische Gedichtband des rebellischen Rolf Dieter Brinkmann,
wurde 1975 ausgeliefert, wenige Tage nachdem der Dichter in London
überfahren worden war und starb.
Es gab wie immer die entgegengesetzten Akzente: 1969 erschien Walter
Kempowskis Erstling "Im Block", in dem er seine Haft in Bautzen
verarbeitete. Nachdem Raddatz im März 1962 in seinem dunkelgrünen Porsche
herbeigerauscht war und dem Volksschullehrer in Nartum die Publikation
angeboten hatte, notierte sich Kempowski auf einen Zettel: "Nun tuckert
mein Herz."
1982 verkaufte Ledig-Rowohlt den Verlag an den Holtzbrinck-Konzern. Die Ära
des umtriebigen Michael Naumann, heute Zeit-Herausgeber, währte bis 1995.
Irgendwann danach durchkämmte McKinsey die Büros und Bilanzen. Seit 2002
führt Alexander Fest den Verlag durch vergleichsweise ruhiges Fahrwasser,
bislang auf Erfolgskurs. Unterdessen sind die Programme der großen Verlage
vielfach austauschbar geworden. Lektoren müssen abends nicht mehr nur
Manuskripte lesen, sondern vor allem fernsehen, um TV-Gesichter als
"Autoren" für Stapelware zu finden. Agenten liefern Stoffe und Schreiber.
All das macht um Reinbek keinen Bogen. Doch trotz aller Normalität hat
Rowohlt auch heute etwas von den einstigen pyrotechnischen Mischungen in
seinen Genen. Noch kreuzen sich auf den Partys die Wege von Ildikó von
Kürthy, Daniel Kehlmann und Imre Kertész. Schön wäre es, wenn Pegasus und
die Löwen die Rowohlt Culture weitere hundert Jahre behüteten.
27 Jun 2008
## AUTOREN
Alexander Cammann
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.