# taz.de -- Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ: Der Staat, die Kirchen und… | |
> Bremens SPD-Innensenator versuchte mehrmals, Menschen aus dem Kirchenasyl | |
> abzuschieben. Jetzt gibt es eine Einigung mit den evangelischen Kirchen. | |
Bild: Über den Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, dräut es sich zusammen | |
Worin besteht die Einigung zwischen Bremens Innensenator Ulrich Mäurer | |
(SPD) und den evangelischen Kirchen zum Kirchenasyl? | |
Bremen schiebt bis Ende Januar niemanden ab, der oder die Schutz in einer | |
Kirchengemeinde gesucht hat. Das hat der Innensenator am Donnerstagabend | |
mitgeteilt. Anfang Dezember hatte dies die Polizei versucht, in zwei | |
folgenden Fällen war es angekündigt. Bisher hatte Mäurer behauptet, er | |
könne nicht anders – weil es das Bundesamt für Migration (Bamf) neuerdings | |
anordne. So hatte auch [1][Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata | |
Touré] vor einem Jahr die versuchte Abschiebung von zwei Afghanen aus dem | |
Kirchenasyl begründet. [2][In Niedersachsen gibt es eine ähnliche | |
Vereinbarung zwischen Innenministerin und Kirche]. Ohne Befristung. | |
Und was bieten die Kirchen? | |
Die nehmen keine Menschen mehr aus anderen Bundesländern auf. Das tun sie | |
aber seit dem Sommer schon nicht mehr, sagt Lars Ackermann vom Verein | |
Zuflucht, der die Kirchenasyle in der Stadt Bremen koordiniert. „Seitdem | |
Bremen so viel abschiebt, melden sich viel mehr Menschen bei uns, die | |
bereits hier leben.“ [3][In Bremerhaven kamen fast alle Geflüchteten bisher | |
aus anderen Bundesländern.] Der Grund: Es gibt dort kein | |
Erstaufnahmezentrum wie in Bremen, die dort ansässigen evangelischen | |
Kirchengemeinden gehören überwiegend zur Landeskirche Hannover. | |
Wie entscheiden die Gemeinden? | |
In der gemeinsamen Pressemitteilung vom Donnerstagabend steht auch: „Bevor | |
eine Kirchengemeinde künftig Kirchenasyl gewährt, soll sie sich unbedingt | |
mit der jeweiligen Landeskirche oder der Geschäftsstelle der Konföderation | |
niedersächsischer Kirchen beraten und abstimmen.“ Nichts Neues, sagt Lars | |
Ackermann vom Verein Zuflucht. „Hier gucken immer sechs Augenpaare drauf.“ | |
Manchmal würden Gemeinden einen Fall anders beurteilen als er und ein | |
Kirchenasyl ablehnen. Auch die niedersächsischen Gemeinden in der | |
Konföderation wendeten dieses Verfahren bereits an, sagt deren | |
Pressesprecher. Es sei möglich, dass vereinzelt Gemeinden alleine | |
entschieden hätten. | |
Wer steht vor den Türen der Gemeinden und sucht Schutz? | |
„Bei 95 Prozent der Menschen, die sich bei uns melden, handelt es sich um | |
Härtefälle“, sagt Lars Ackermann. Sven Quittkat vom Ländernetzwerk | |
Kirchenasyl in Niedersachsen nennt andere Zahlen. Er habe 30 bis 40 | |
Anfragen pro Woche, ein Drittel mehr als Anfang des Jahres. Von diesen | |
seien zehn bis 20 Härtefälle, Leben oder Gesundheit wären bei einer | |
Abschiebung in ein anderes Land bedroht. „Nur einem oder einer kann ich | |
einen Platz anbieten.“ Familien sind schwerer unterzubringen, deshalb | |
handelt es sich in der Mehrzahl der gezählten Fälle um Einzelpersonen. | |
Aber sollten die nicht bloß in Länder wie Spanien, Schweden und Finnland | |
abgeschoben werden? | |
Ja. Kirchengemeinden nehmen fast nur Menschen auf, die nach der | |
Dublin-Verordnung in die europäischen Länder „überstellt“ werden sollen,… | |
denen sie nach ihrer Flucht zuerst registriert wurden. Nach sechs Monaten | |
hierzulande dürfen sie in Deutschland Asyl beantragen; in den Kirchen | |
harren sie in der Regel wenige Tage oder Wochen bis Fristablauf aus. Nur | |
weil sie in den oben genannten Ländern keine systematische Gewalt durch | |
Polizist:innen befürchten müssen, heißt das nicht, dass sie dort ein | |
faires Asylverfahren bekommen. „Wir konzentrieren uns in Bayern auf | |
Menschen, die nach Bulgarien und Rumänien abgeschoben werden“, sagt | |
[4][Stephan Reiche vom Verein Matteo,] über den nach eigenen Angaben etwa | |
80 Prozent der Kirchenasyl-Fälle in Bayern koordiniert werden. 232 sollen | |
es nach Angaben des Bremer Innensenators in diesem Jahr gewesen sein, eine | |
andere Vergleichszahl liegt nicht vor. Aber auch Stephan Reiche sagt: Den | |
Einfluss von rechtspopulistischen Parteien in Skandinavien, die teils | |
mitregieren oder wie in Schweden Minderheitenregierungen stützen, | |
[5][würden Geflüchtete deutlich spüren]. | |
Wie? Nix Bullerbü für alle? | |
Aus Schweden werden immer wieder Menschen nach Syrien und Afghanistan | |
abgeschoben. Dänemark hat die Unterstützungsleistungen für Asylsuchende auf | |
ein Minimum zurückgefahren, auch für Kinder. Finnland hat ein Gesetz | |
erlassen, das erlaubt, Geflüchtete über die Grenze nach Russland | |
zurückzuweisen. Offiziell ist es nicht zur Anwendung gekommen, aber | |
Menschen, die in Deutschland um Kirchenasyl bitten, berichten, ihnen sei | |
das passiert. Aus Spanien gibt es Berichte, dass Asylanträge nicht | |
bearbeitet werden und Geflüchtete auf der Straße leben. | |
Die müssen aber nicht alle in Bremen Kirchenasyl bekommen, oder? | |
Das findet Bremens Innensenator, [6][der Journalist:innen ein | |
Balkendiagramm zur Verfügung stellt], das die ungleiche Verteilung | |
anschaulich machen soll. Danach kamen zwischen Januar und Oktober in Bremen | |
29,2 Kirchenasyl-Fälle auf 100.000 Einwohner:innen, beim Zweitplatzierten | |
Hessen 5,28 und beim Schlusslicht Baden-Württemberg 0,2. Innensenator | |
Mäurer hat die Zahlen vom Bundesamt für Migration, das deren Herausgabe an | |
Medien verweigert. Besonders empört ihn, dass er von „63 Kirchenasylfällen | |
in Bremen“ ausgegangen sei, stattdessen seien es 202 gewesen, wie er in | |
einem [7][Interview] sagte. Dabei haben Bremer Kirchengemeinden immer schon | |
relativ viele Geflüchtete aufgenommen. Nach Angaben der Bremischen | |
Evangelischen Kirche waren es im vergangenen Jahr 92 Fälle – allein in der | |
Stadt Bremen. In diesem Jahr seien es dort bisher 125 gewesen. Die | |
Landeskirche Hannover gibt für Bremerhaven 100 Fälle bis Dezember an. Dort | |
kann eine Gemeinde zehn Plätze zur Verfügung stellen. Bundesweit ist die | |
Zahl der Kirchenasyl-Fälle seit 2022 gestiegen – parallel zu den steigenden | |
Abschiebungen. | |
Man kann auch fragen: Warum gibt es in anderen Bundesländern so wenige | |
Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren? | |
Stimmt, in der Bremischen Evangelischen Kirche gewähren fünf von 52 | |
Gemeinden Kirchenasyl, in Bremerhaven vier von elf in der Landeskirche | |
Hannover. Zum Vergleich: Nach Angaben der Nordkirche gewähren 26 von 920 | |
Gemeinden Kirchenasyl. | |
Woran liegt das? | |
Bremen wird seit jeher von der SPD regiert, seit 2007 gemeinsam mit den | |
Grünen, seit 2019 auch mit den Linken. Der Fußballverein Werder Bremen | |
positioniert sich seit langem öffentlich gegen Rechtsextremismus, vor dem | |
Stadion weht die Flagge für alle Geschlechter. Wer wundert sich da über | |
linke Kirchengemeinden? Der Innensenator ist kein rechter Hardliner, | |
sondern stur. Das trifft an anderer Stelle Hooligans, Wettbüros oder die | |
Deutsche Fußballliga. | |
Ist das Kirchenasyl gefährdet? | |
Jein. Einerseits handelt es sich bei den versuchten und [8][vollzogenen | |
Abschiebungen wie in Hamburg] um Einzelfälle, die in Bremen am Widerstand | |
von Bürger:innen gescheitert sind. Andererseits übernehmen Medien die | |
Darstellung von Landesregierungen, es gebe eine Übereinkunft zwischen Bamf | |
und Kirchen, wonach das Kirchenasyl beendet werden muss, wenn das Bamf nach | |
erneuter Prüfung keinen Härtefall erkennt. Tatsächlich enthält die | |
[9][Einigung aus dem Jahr 2015] keinen solchen Passus. Dafür | |
veröffentlichte vor zwei Jahren das Bamf ein „Merkblatt“ mit Regeln für | |
Kirchenasyle. [10][Radio Bremen fragte eine Bremerhavener | |
Kirchenvertreterin], ob sie es „beim Kirchenasyl übertrieben habe“. | |
Dahinter steht die Annahme, es gebe eine Instanz, die beurteilen könne, wie | |
viel Kirchenasyl zulässig sei. Analog müsste man der Letzten Generation | |
gestatten, sich auf Straßen festzukleben, auf denen nur wenige Autos | |
fahren. | |
Kirchenasyl ist illegal? | |
Gemeinden handeln aus der Überzeugung, als Christ:innen Menschen in Not | |
helfen zu müssen. Viele verstehen ihr Handeln als gewaltlosen Widerstand, | |
was vom Grundgesetz gedeckt ist. Insofern stellen sie sich nicht „über das | |
Recht“, wie ihnen oft vorgeworfen wird. „Kirchenasyl ist nicht legal, aber | |
legitim“, sagt Benedikt Kern, der Koordinator der Kirchenasyle in | |
Nordrhein-Westfalen. Staatliche Vertreter:innen versuchten erfolgreich, | |
das Kirchenasyl durch formalisierte Verfahren „einzuhegen“. Dazu zähle die | |
juristisch nicht definierte Bezeichnung „Sonderpetitionsrecht“, auf die | |
sich Bremens Innensenator und die Kirchen [11][laut Pressemitteilung | |
geeinigt haben]. „Damit bekommt der Staat die Definitionsmacht über das | |
Kirchenasyl.“ | |
24 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ministerin-verteidigt-Abschiebung/!5982372 | |
[2] https://www.mi.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/ke… | |
[3] /Rekordhoch-beim-Kirchenasyl/!5989857 | |
[4] /Kirchenasyl-in-Bayern/!5911968 | |
[5] /Konservativ-rechte-Regierung/!5986794 | |
[6] https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/bremen-kirchen-asyl-innenressort-s… | |
[7] https://www.weser-kurier.de/bremen/politik/bremer-innensenator-maeurer-krit… | |
[8] /Kirchenasyl-gebrochen/!6036824 | |
[9] https://asyl-bc.de/application/files/7214/3714/1500/20150717_Kirchenasyl.pdf | |
[10] https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/kroemer-talk-susanne-wendorf-von-… | |
[11] https://www.senatspressestelle.bremen.de/pressemitteilungen/innensenator-m… | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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