# taz.de -- Scholz stellt Vertrauensfrage: Traut mir nicht | |
> Der Bundeskanzler bittet am Montag um das Vertrauen des Bundestags, hofft | |
> aber, es zu verlieren. So wären Neuwahlen möglich. Dafür muss allerdings | |
> auch die AfD mitspielen. | |
Bild: Ja klar, äh nein, ich mein jein. Im Zweifel für den Zweifel: Olaf Schol… | |
BERLIN taz | Nur nichts dem Zufall überlassen. Olaf Scholz hat seinen | |
Auftritt präzise vorbereitet. „Soeben habe ich eine Abstimmung nach Artikel | |
68 des Grundgesetzes bei der Bundestagspräsidentin beantragt“, liest er vom | |
Teleprompter vor, am Mittwoch, im ersten Stock des Kanzleramts. | |
Hier hatte Scholz [1][am 6. November das Aus der von ihm angeführten | |
Ampelkoalition verkündet], und hier spricht er nun davon, dass er am Montag | |
im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und damit den Weg frei machen wird | |
für vorgezogene Neuwahlen. „Das ist mein Ziel.“ | |
Scholz möchte, dass die Abgeordneten ihm mehrheitlich misstrauen, er will | |
verlieren, um gewinnen zu können. Den schwierigen Weg der „unechten“ | |
Vertrauensfrage beschritten bislang drei der vier Bundeskanzler, die sie | |
stellten: die beiden Sozialdemokraten Willy Brandt und Gerhard Schröder und | |
der Christdemokrat Helmut Kohl. | |
Bei Brandt, der am 22. September 1972 die Vertrauensfrage stellte, nachdem | |
die sozialliberale Koalition im Streit über die Ostpolitik die absolute | |
Mehrheit verlor, ging der Plan auf. Die SPD-FDP-Koalition ging gestärkt aus | |
der Bundestagswahl im November. Auch bei Kohl klappte es. Der ließ am 17. | |
Dezember 1982 per Vertrauensfrage über sich als Kanzler abstimmen, nachdem | |
Union und FDP zwei Monate zuvor den Sozialdemokraten Helmut Schmidt | |
per Misstrauensvotum gestürzt hatten. Die Bundestagswahl am 6. März gewann | |
die Union klar. Gerhard Schröder wiederum stellte die Vertrauensfrage sogar | |
zweimal – im November 2001, um die rot-grüne Koalition hinter dem | |
Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu versammeln, [2][und am 27. Juni 2005]. | |
Beim zweiten Mal verlor er wie geplant, aber die SPD verlor dann auch die | |
Bundestagswahl am 18. September 2005. Und für 16 Jahre das Kanzleramt. | |
## Scholz' Ultima Ratio und die AfD | |
Scholz, der insgesamt vierte SPD-Kanzler, greift wie schon Brandt, Schmidt | |
(ja, auch der warb im Februar 1982 um Vertrauen) und Schröder zu diesem | |
Mittel. Anders als seine Vorgänger hat er kaum eine Wahl. Denn Scholz | |
regiert nur noch mit einer Minderheitsregierung. SPD und Grüne verfügen | |
zusammen über 324 Sitze im Bundestag – 43 weniger als die erforderliche | |
absolute Mehrheit. | |
Das sollte immerhin reichen, damit Scholz die Vertrauensfrage verliert. | |
Trotzdem steht die Gefahr im Raum, dass er ungewollten Vertrauensvorschuss | |
erhält – nämlich von der AfD-Fraktion. Die stellt 76 Abgeordnete, von denen | |
sich einer bereits offen zu Scholz bekannt hat: der Björn-Höcke-Freund | |
Jürgen Pohl aus Thüringen, der den Kanzler wegen seiner Haltung im | |
Ukrainekrieg gegenüber einem möglichen CDU-Kanzler Friedrich Merz für das | |
„kleinere Übel“ hält. Aber es soll noch mehr Wackelkandidaten geben. Unter | |
Verdacht stehen vor allem diejenigen, die trotz des Angriffskriegs weiter | |
nach Russland reisten oder dort sogar eine Honorarprofessur annahmen. In | |
der Fraktion geht man von einer deutlichen Minderheit aus – von nicht mehr | |
als fünf Abgeordneten. | |
Wobei Fraktionschef Tino Chrupalla noch wackelt: Auf taz-Anfrage wollte | |
er sich nicht festlegen, ob er für oder gegen Scholz stimmen wird. | |
Chrupalla ist für seine Russlandnähe berüchtigt und hält auch seit Putins | |
Überfall auf die Ukraine den Kontakt zur russischen Botschaft. Seine | |
Co-Vorsitzende Alice Weidel und die parlamentarischen Geschäftsführer Bernd | |
Baumann und Stephan Brandner waren da klarer: Sie alle kündigten der taz | |
gegenüber an, gegen Scholz stimmen zu wollen – wie auch weitere | |
AfD-Abgeordnete. Ob der AfD zu trauen ist, bleibt aber fraglich, | |
schließlich operiert man in der extrem rechten Partei gern mit Tricks: 2020 | |
etwa, in Thüringen, hatten ihre Landtagsabgeordneten beim dritten Wahlgang | |
zum Ministerpräsidenten einen eigens aufgestellten AfD-Kandidaten leer | |
ausgehen lassen und überraschend den [3][FDP-Mann Thomas Kemmerich] | |
gewählt. Damit löste die AfD eine Regierungskrise aus. | |
## Die Risiken | |
Der Unterschied zu Thüringen: Am Montag wird über die Vertrauensfrage | |
namentlich abgestimmt – das bringt AfD-Abgeordnete, die für Scholz stimmen, | |
in Erklärungszwang. | |
Doch auch die SPD-Abgeordneten stehen unter Bekenntniszwang. Die Partei hat | |
sich schwergetan, Scholz erneut zum Kanzlerkandidaten zu nominieren. Auch | |
Bundestagsabgeordnete hatten ihre Bedenken öffentlich gemacht. Nachdem | |
Scholz nun gesetzt ist, will man Geschlossenheit demonstrieren. Die | |
Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, Katja Mast, gibt die | |
Parole aus: „Die SPD-Bundestagsfraktion steht fest an der Seite des | |
Bundeskanzlers.“ | |
Es ist nun an den Grünen, die Minderheit zu sichern und möglichen | |
AfD-Spielchen zuvorzukommen. Die Grünen hatten ursprünglich dazu tendiert, | |
Scholz das Vertrauen auszusprechen. Sie wollten die Ampel ja nicht platzen | |
lassen – und das sollte sich auch in der Abstimmung widerspiegeln. Am | |
vergangenen Mittwoch schrieben die Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und | |
Katharina Dröge aber: „Wir schlagen der Fraktion vor, sich bei der | |
Abstimmung zur Vertrauensfrage zu enthalten.“ Ein Nein komme dagegen nicht | |
infrage, da man in den letzten drei Jahren „viel miteinander geschafft | |
habe“ und die grünen Minister*innen bis zur Bildung einer neuen | |
Regierung bleiben. | |
Wenn alles nach Scholz’ Plan läuft, wird er am Montag nicht die | |
erforderlichen 367 Ja-Stimmen erhalten und den Bundespräsidenten deshalb | |
noch am Nachmittag bitten, den Bundestag aufzulösen. Frank-Walter | |
Steinmeier hat dann 21 Tage Bedenkzeit, hat aber bereits angedeutet, der | |
Bitte nachkommen zu wollen. Sobald der Bundestag aufgelöst ist, muss binnen | |
60 Tagen neu gewählt werden. Bis der neue Bundestag zusammentritt, ist | |
Scholz weiter regulär als Kanzler im Amt, ab dann bis zur Bildung einer | |
neuen Regierung nur noch geschäftsführend. | |
Und dann? Vizekanzler will er jedenfalls nicht werden. | |
14 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Scheitern-der-Ampelkoalition/!6047493 | |
[2] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/32714943_misstrauensvotum07-2… | |
[3] /Die-FDP-im-Thueringer-Wahlkampf/!6030259 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Tobias Schulze | |
Gareth Joswig | |
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