| # taz.de -- Berliner Behindertenparlament: Inklusion in kleinen Schritten | |
| > Der Senat nimmt die Institution mittlerweile ernst. Doch die Politik tut | |
| > sich immer noch schwer damit, Forderungen auch umzusetzen. | |
| Bild: Schon im vergangenen Jahr wurde im Behinderteparlament heftig diskutiert | |
| Berlin taz | Wenn Menschen mit Behinderungen ständig von der Politik | |
| vergessen werden, warum sollten sie nicht einfach selber Politik machen? So | |
| in etwa lässt sich die Grundidee des Berliner Behindertenparlaments | |
| zusammenfassen, das am Samstag zum 3. Mal im Plenarsaal des | |
| Abgeordnetenhauses tagte. Rund 100 Berliner:innen mit Beinträchtigungen | |
| und chronischen Krankheiten verabschiedeten Anträge, die konkrete | |
| Forderungen an den Senat für mehr Inklusion und Barrierefreiheit enthalten. | |
| „15 Jahre nach dem Inkrafttreten der [1][UN-Behindertenrechtskonvention] | |
| klafft noch immer ein große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit in | |
| Berlin“, gibt der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhof zu, der eines der | |
| Grußworte zur Eröffnung spricht. Düsterhof, der in seiner Funktion als | |
| Mitglied des Abgeordnetenhaus-Präsidiums hier ist, ist nicht die einzige | |
| anwesende Parteiprominenz. Mit Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), | |
| Finanzsenator Stefan Ewers (CDU), Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD), | |
| Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe und Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) ist | |
| der halbe Senat vertreten, um Rede und Antwort zu stehen. | |
| „Man nimmt uns mittlerweile sehr viel ernster“, sagt Dominik Peter, | |
| Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und | |
| Sitzungsleiter, der taz. Das zeige die beeindruckende Gästeliste. | |
| Da die Zeit begrenzt ist und das Parlament nur einmal im Jahr tagt, geht es | |
| auch gleich zur Sache. „Bei meiner Frage geht es – wieder einmal – um | |
| Inklusionstaxis oder warum uns keine zur Verfügung stehen“, eröffnet | |
| Thorsten Gutt, Vorstand der Landesvereinigung Selbsthilfe. „Aus meiner | |
| Praxis kann ich sagen, ich habe noch nicht ein einziges Mal ein solches | |
| Taxi bekommen.“ Gutt schlägt vor, in Berlin nur noch rollstuhlgerechte | |
| Taxis zuzulassen, eine Regelung, die es bereits in London gibt. | |
| ## Inklusive Taxis nur am Flughafen | |
| Die Antwort der Wirtschaftsenatorin ist ausführlich und detailliert, die | |
| Fragen wurden den Senatsverwaltungen vorab übermittelt. Franziska Giffey | |
| stellt verschiedene Förderprogramme vor, mit denen man die Zahl der derzeit | |
| 140 registrierten inklusiven Taxis in Berlin erhöhen will, mittelfristig | |
| peile man 250 Fahrzeuge an. | |
| Schnell wird in der Antwort klar, warum es so schwierig ist, ein | |
| rollstuhlgerechtes Taxi zu buchen. Über zwei Drittel der barrierearmen | |
| Fahrzeuge haben eine geförderte Lizenz für den BER. „Die Flughafentaxis | |
| stehen nur am Flughafen herum, weil das lukrativer ist“, kritisiert Gutt. | |
| Eine richtige Lösung präsentiert die Senatorin heute noch nicht. Gutts | |
| Vorschlag für die Inklusionspflicht lehnt Giffey ab. „Das halte ich für ein | |
| bisschen schwierig, für die Taxifahrer geht das ja nicht von heute auf | |
| morgen“, sagt sie. Stattdessen hat die Verwaltung vorsorglich schon mal | |
| eine Liste mit den Kontaktdaten aller Unternehmen, die Inklusionstaxis | |
| anbieten, auf der Website des Landesamts für Bürger- und | |
| Ordnungsangelegenheiten zusammengetragen. | |
| Verständnis, Beschwichtigung und letztendlich Ablehnung, mit dem Verweis, | |
| dass Dinge nun mal nicht so schnell gingen oder nicht genug Geld vorhanden | |
| sei – diese Reaktion der Politiker:innen wird sich heute noch einige | |
| Male wiederholen. | |
| ## Erfolge sind klein, aber stetig | |
| „Sie glauben gar nicht, wie oft man beim Denkmalschutz an die Grenzen | |
| stößt, aber auch beim lieben Geld“, erklärt Finanzsenator Stefan Ewers, | |
| warum viele Berliner Immobilien noch nicht barrierefrei sind. | |
| Dieses Schicksal wird vermutlich auch die Mehrheit der sieben Anträge | |
| ereilen, die das Parlement am Samstag beschlossen und an die | |
| Senatsverwaltungen übergeben hat, das zeigt zumindest die Erfahrung der | |
| letzten Jahre. Oft stünde in den Antworten auf die Anträge, dass die | |
| Senatsverwaltung das Problem nicht verstehe oder dass eine andere Stelle | |
| dafür verantwortlich sähe, berichtet Dominik Peter. [2][Dass es überhaupt | |
| Antworten gibt, sieht Peter aber schon als Erfolg:] „Im ersten Jahr wurden | |
| die Anträge einfach ignoriert und beiseitegelegt.“ | |
| Aber der Kampf für Inklusion und Barrierefreiheit ist ein Marathon, dass | |
| weiß auch Behindertenparlaments-Mitglied Jörg von de Fenn. In der | |
| Fokusgruppe Freizeit- und Sport hat von de Fenn Vorschläge entwickelt, wie | |
| sich mehr Inklusion und Barrierefreiheit im Sport entwickeln ließe „Der | |
| Antrag, den wir heute einreichen, ist im Prinzip der vom letzten Jahr, da | |
| er nicht umgesetzt wurde“, sagt von de Fenn der taz. | |
| Der Spitzensportler ist seit 33 Jahren blind. Schwierigkeiten beim Ausüben | |
| vom Sport bereitet ihm weniger das Fehlen des Augenlicht als die mangelnde | |
| Inklusion im Sportbereich. Viele Vereine und Trainingsstätten würden ihm | |
| das Training von vornherein nicht erlauben. So wurde er von einer Bahn für | |
| Inlineskates abgelehnt, obwohl er sieben Mal den deutschen Meistertitel | |
| geholt hat. „Es wird oft nicht mal versucht“, kritisiert von de Fenn. | |
| ## (Un)sichere Zukunft | |
| Doch dass das Parlament heute zum vierten Jahr in Folge tagt, ist an sich | |
| schon eine Erfolgsgeschichte. Initiator ist Behindertenrechtsaktivist und | |
| taz-Kolumnist Christian Specht. Specht hat hartnäckig für die Etablierung | |
| des Gremiums in Berlin gekämpft. Ihn hatte 2018 ein Besuch im Bremer | |
| Behindertenparlament inspiriert. | |
| Unter Mitwirkung [3][eines Teams ehrenamtlicher Engagierter] konnte das | |
| Behindertenparlament 2021 das erste Mal tagen. Allerdings nur im Freien, da | |
| die Pandemie dem Team einen Strich durch die Rechnung machte. 2022 zog es | |
| dann in den Plenarsaal des Abgeordnetenhauses. | |
| Angesichts der umfassenden Kürzungen im Sozialbereich geht auch bei der | |
| heutigen Sitzung die Sorge um, dass es vielleicht das letzte Mal gewesen | |
| sein könnte. „Ich glaube, dass es auch in Zukunft Spielräume gibt, um | |
| dieses Format zu sichern“, beschwichtigt Finanzsenator Ewers. | |
| 8 Dec 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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