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# taz.de -- Journalist über Kriegsgefangenschaft: „Gewalt habe ich falsch ve…
> Maksym Butkevych verstand sich als Kriegsgegner, bis Russland die Ukraine
> überfiel. Er geriet in russische Gefangenschaft und kam kürzlich frei.
Bild: Maksym Butkevych vor seiner Gefangennahme
Der 47-jährige Menschenrechtler und Journalist Maksym Butkevych zählt zu
den bekanntesten Persönlichkeiten der ukrainischen Zivilgesellschaft. Er
studierte Philosophie und Anthropologie in Kyjiw und Sussex und arbeitete
als Journalist, unter anderem für den BBC World Service. Er gründete den
unabhängigen ukrainischen Radiosender Hromadske sowie die
Menschenrechts-NGOs ZMINA und das No Borders Project mit und setzt sich für
die Rechte von Geflüchteten in der Ukraine ein. Kurz nach Beginn der
russischen Großinvasion schloss er sich als Freiwilliger den ukrainischen
Streitkräften an und war an der Verteidigung Kyjiws beteiligt. Im Juni 2022
geriet er in russische Kriegsgefangenschaft und wurde im März 2023 in einem
Scheinprozess in Luhansk zu 13 Jahren Haft verurteilt. Im Oktober dieses
Jahres kam Butkevych im Rahmen eines Gefangenenaustauschs frei. Das Buch
„Maksym Butkevych: Am richtigen Platz“ mit Texten von und über ihn erschien
vor Kurzem im Anthea Verlag auf Deutsch. Der taz gab er das erste
Interview für die deutsche Presse seit seiner Freilassung.
taz: Maksym Butkevych, am 18. Oktober sind Sie freigekommen. Was ist
seitdem passiert?
Maksym Butkevych: Es ist meine zweite Woche in Kyjiw und meine sechste auf
freiem Fuß. Die ersten vier habe ich im Rehabilitationszentrum verbracht.
Danach stehen einem ehemaligen Kriegsgefangenen 30 Tage Urlaub zu, also in
meinem Fall noch fast bis Mitte Dezember. Weil ich ein beurlaubter Offizier
bin, muss ich dann entweder wieder in den aktiven Dienst zurückkehren oder
den Demobilisierungsprozess einleiten.
taz: Möchten Sie denn in der Armee bleiben?
Butkevych: Ich möchte unbedingt zur Befreiung unserer Kriegsgefangenen
hinter russischen Gittern beitragen. Und es gibt auch zivile Gefangene, von
denen einige in einer noch schwierigeren Lage sind. Manche sind auch
einfach verschwunden – wir wissen nicht einmal, ob sie noch am Leben sind.
Wir müssen sie da rausholen. Das ist es, was ich versuchen werde zu tun.
Aktuell versuche ich herauszufinden, was die effizientesten Wege dafür
sind.
Wenn ich dabei nützlicher in der Armee sein werde, werde ich eine Uniform
tragen und stolz dienen. Wenn es für mich effizienter ist, wieder Zivilist
zu werden und in einer staatlichen Einrichtung oder wie früher in einer NGO
zu arbeiten, werde ich das ohne zu zögern tun. Ich möchte auch dazu
beitragen, ein landesweites System zur Rehabilitation ehemaliger Gefangener
und Soldaten zu etablieren und mich an der internationalen Lobbyarbeit für
die Ukraine beteiligen, denn wir brauchen wirklich Unterstützung. Und dann
gibt es natürlich die Migrationsfragen, mit denen ich mich schon früher
beschäftigt habe und die mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens
begleiten werden.
taz: Zur Lobbyarbeit: Es gibt viele Deutsche, die für mehr Verständnis für
die russische Seite eintreten, für einen vermeintlichen Frieden und gegen
militärische Unterstützung für die Ukraine. Haben Sie Ihnen etwas zu sagen?
Butkevych: Ja, das habe ich. Ich bin dort gewesen, ich habe die russische
Föderation von innen gesehen. Ich wurde gezwungen, diese russische Welt
durchzustehen, die Russland jetzt in die Ukraine bringen möchte. Es ist zur
patentierten Methode der Russen geworden, Städte zu „befreien“, indem sie
sie einfach ausradieren. Wenn ihr Frieden mit Russland schließen wollt,
dann ist mein Vorschlag, dass ihr eure Koffer packt und nach Russland geht.
Denn was ihr eigentlich vorschlagt, ist, dass Russland zu euch kommt.
Vielleicht solltet ihr diesen Prozess beschleunigen, und dann werdet ihr
sehen, was ihr Frieden nennt. Ihr schlagt dem größten Land Europas vor,
seine Niederlage zu akzeptieren, seine eigene Identität aufzugeben –
jemandem zu erlauben, seine Freiheit zu nehmen, es auszulöschen, und für
euch ist das Frieden.
taz: Es gibt auch viele Linke in Deutschland, die gegen Waffenlieferungen
an die Ukraine sind.
Butkevych: Ich selbst habe einen antiautoritären, anarchistischen
Hintergrund und habe an Protesten gegen den Irakkrieg teilgenommen. Doch
irgendwann hat sich der Antiimperialismus vieler Linker, mit denen ich auch
damals gemeinsam protestierte, wohl in Antiamerikanismus und
Prorusslandismus verwandelt. Und wenn ich dann das russische Fernsehen
schaue, sehe ich, wie unsere Slogans über den Globalen Norden und den
Globalen Süden, über internationale Gerechtigkeit, von der russischen
Propaganda ausgenutzt werden. Bei den Linken, die gegen eine Unterstützung
der Ukraine sind, denke ich mir: Ihr wart für globale Gerechtigkeit.
Dieser Krieg ist doch die ungerechteste Sache, die in diesem Teil der Welt
passiert. Wenn ihr antiimperialistisch seid, seid ihr gegen Imperien – im
Plural. Mit eurer Haltung unterstützt ihr aber gerade ein Imperium im
Entstehen dabei, Millionen von Leben zu zerstören, und ich übertreibe
nicht. Das ist eine Schande. Ihr wollt euren Komfort gegen Millionen von
Menschenleben eintauschen, anstatt sie zu unterstützen. Es wird aber ein
Scheinkomfort sein, denn die Russische Föderation besetzt und verwüstet
nicht nur ukrainisches Territorium, sondern demontiert auch absichtlich
alles, was vom internationalen Sicherheitssystem übrig geblieben ist. Das
humanitäre Völkerrecht wird vor unseren Augen zerrissen, es ist zu einem
Witz verkommen. Alle Abkommen kosten jetzt weniger als das Stück Papier,
auf dem sie geschrieben sind. Entschuldigen Sie, dass ich mich hier etwas
aufrege.
taz: Das deutsche Buch über Sie und mit Ihren Texten, das kürzlich im
Anthea Verlag erschien, nennt Sie im Nebentitel einen
[1][Friedensaktivisten im Krieg]. Würden Sie sich als Friedensaktivist
bezeichnen?
Butkevych: Ich denke schon, aber das ist natürlich eine Frage der
Definition. Ich war Teil von Antikriegsbewegungen – sowohl als Journalist
als auch als Aktivist und privat als Christ. Wo immer ich konnte, habe ich
den Frieden unterstützt. Krieg ist Beseitigung von Leben, er ist Tod, der
in weiten Gebieten herrscht. Wir sollten den Tod aufhalten, wo immer es
möglich ist. Und wir sollten versuchen, das Leben zu fördern. Das ist
sowohl meine persönliche menschliche Haltung als auch meine soziale,
politische und religiöse Überzeugung. Also, ja, ich war ein
Friedensaktivist und bin es immer noch, so überraschend es vielleicht
klingen mag. Der Krieg wurde nicht von uns und nicht von mir begonnen. Und
dann ging es darum, ob ich es wirklich zulasse, dass er voranschreitet,
oder ob ich versuche, ihn zu stoppen.
Es ist paradox, aber es gibt Antimilitaristen wie mich, die der Armee
beigetreten sind. Und wir haben Pazifisten, die sie versorgen, mit
Schutzausrüstung und Waffen. Wir machen das nicht, weil wir es mögen,
sondern weil uns keine andere Möglichkeit bleibt. Ob ich auch ein Pazifist
bin, ist wirklich eine reine Definitionsfrage. Zu oft habe ich gehört, dass
ein Pazifist eine Person ist, die Gewalt als Option unter allen Umständen
ablehnt. Ein einfaches Beispiel: Du wirst Zeuge eines schrecklichen
Gewaltverbrechens. Du bist in der Lage, es abzuwenden, musst aber Gewalt
anwenden. Wirst du es tun? Nun, ich tue es. Dabei bin ich ein absolut
nichtaggressiver Mensch. Denn wenn ich nicht eingreife, bin ich
verantwortlich dafür, dass ich das Verbrechen geschehen lasse.
taz: Wie haben Sie die Zeit in russischer Gefangenschaft durchgestanden?
Haben Sie Ihre Sicht auf die Welt geändert?
Butkevych: Ich habe viele Menschen aus ganz unterschiedlichen
Lebensbereichen kennengelernt, die ich in meinem normalen Leben nie treffen
würde. Die Armee ist ein Abbild der ukrainischen Gesellschaft. Ich hatte
viel Zeit. In den ersten Tagen der Gefangenschaft beschloss ich, dass ich
innehalten wollte, um über einige grundlegende Dinge nachzudenken, zu
verstehen, was in meinem Leben und in meiner Vision der Welt wirklich
wichtig ist. Vorher hatte ich nie Zeit dazu gehabt, ich war immer mit
irgendetwas beschäftigt. Ich habe mich in der Gefangenschaft keine eine
einzige Minute gelangweilt. Niemals. Ich habe in meinem Kopf Texte
verfasst. Ich dachte an all die wunderbaren, schönen, unglaublichen
Menschen, die mir in meinem Leben begegnet sind. Ich fing an, manche Dinge
mehr zu schätzen und zu sehen, wie oberflächlich manche andere Dinge sind.
taz: Brachte Ihnen die Gefangenschaft auch neue Erkenntnisse?
Butkevych: Mir wurde klar, dass ich Gewalt falsch verstanden hatte. Es gibt
ja alle möglichen Texte über Gewalt, von Benjamin, Fanon oder Sorel. Wir
alle denken bei Gewalt an Zerstörung – daran, etwas kaputt zu machen. Und
wenn es um Lebewesen und Menschen geht, um Verstümmelung und Töten. Aber so
ist es nicht. Nun, manchmal schon, aber das ist eine Folge der Gewalt.
Nachdem die Aufseher uns Kriegsgefangene einmal dazu zwangen, Sit-ups,
Push-ups zu machen, uns in Stresssituationen brachten, wurde mir plötzlich
durch diese Erfahrung klar, dass es bei Gewalt darum geht, einen Menschen
in ein Objekt zu verwandeln, das man wie ein Spielzeug manipulieren kann.
Du willst, dass er sitzt, er wird sitzen. Er soll singen, er wird singen.
Und wenn sich der Mensch nicht zum Objekt machen lässt, dann kommt Gewalt
zum Einsatz, unter der Drohung, das ungehorsame Spielzeug zu zerstören –
unter der Drohung, dir den Tod näher zu bringen. Gewalt ist eine
Manipulation mit dem Tod.
taz: Sehen Sie ein Ende des Krieges? Welche Szenarien stellen Sie sich vor?
Butkevych: Die Situation fühlt sich im Moment unbeständig und fast
unberechenbar an. Wir sind sehr abhängig. Es ist paradox: Indem wir für
unsere Freiheit kämpfen, sind wir letztlich von externen Akteuren abhängig
geworden. Aber wenn wir nicht kämpfen würden, gäbe es uns nicht. Nun, ich
habe nie an eine Niederlage gedacht und denke auch jetzt nicht daran. Die
Niederlage ist keine Option. Und es geht hier nicht um Pathos, wie in einem
Film.
Man muss verstehen, dass die russischen Invasoren Zugeständnisse als
Zeichen der Schwäche und als Einladung verstehen, weiterzumachen. Wenn es
keine dauerhafte Lösung gibt, die den Ukrainern Sicherheit garantiert, wenn
es wieder zu einem eingefrorenen Konflikt kommt, dann ist das nur eine
Pause im Massenmord. Ein langfristiger Waffenstillstand sollte in erster
Linie echte Sicherheitsgarantien beinhalten und sich nicht als weiteres
Budapester Memorandum entpuppen. Wir werden uns mit Zähnen und Klauen
wehren, aber wir brauchen Unterstützung.
7 Dec 2024
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## AUTOREN
Yelizaveta Landenberger
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