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# taz.de -- Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg: Zu viele Vaterlandshelden
> So erfreulich die russische Mitniederlage in Syrien auch ist: An der
> verheerenden Situation an der ukrainischen Front wird sie kaum etwas
> ändern.
Bild: Russische Soldaten mit einem erbeuteten Schützenpanzer, am 4.11.2024
Syriens Schreckensherrscher Baschar al-Assad wurde gestürzt und ein Grund
dafür ist, dass Russland in der Ukraine feststeckt. Allerdings dürfte der
Sieg der [1][Revolution in Damaskus] für die Ukrainer die Verteidigung des
Donbass nicht einfacher machen. Ja, mehr noch: Der Kreml wird
wahrscheinlich einen Teil seiner Truppen in die Ukraine umleiten. Der Abzug
wichtiger Kräfte hat in diesen Tagen bereits begonnen.
Zum Zeitpunkt des Angriffs der Rebellen [2][dienten in Syrien nicht mehr
als 10.000 russische Soldaten]. Das ist um ein Vielfaches geringer als die
Verluste des Aggressors in der Ukraine allein im November. Es ist paradox:
In der Ukraine sterben mehr Russen als je zuvor, gleichzeitig ist die
Bereitschaft, in die Armee zu gehen, größer denn je.
Anfang August dieses Jahres sagte der Chef des Hauptnachrichtendienstes der
Ukraine, Kirill Budanow, dass die russische Offensive in eineinhalb bis
zwei Monaten verpuffen werde. Im Oktober und November erzielte die
russische Seite jedoch bedeutende taktische Erfolge. Währenddessen
enthüllte der Chef des Nato-Militärausschusses, Rob Bauer: „Die
Bodentruppen in der Russischen Föderation sind zahlenmäßig noch stärker als
zu Beginn der groß angelegten Invasion im Februar 2022.“
Das Rinnsal Williger reißt nicht ab. Gleichzeitig gaben russische Regionen
laut der Online-Zeitung Werstka 2024 bis Mitte November einen Rekordbetrag
für die Identifizierung von Leichen mittels DNA-Analyse aus: umgerechnet
1,7 Millionen Euro. 2023 waren das 952.000 Euro, für 2022 werden 621.000
Euro ausgewiesen.
Dennoch begeben sich immer mehr Männer in die Mahlsteine der „militärischen
Spezialoperation“ (SWO). Stirbt ein Soldat, erhält dessen Familie
umgerechnet 47.000 Euro, Verwundete haben sofort Anspruch auf 28.000 Euro.
In den vergangenen Monaten wurde die Hauptarbeit auf dem Schlachtfeld von
Soldaten aus der „Krypto-Mobilisierung“ geleistet, die für den Eintritt in
die Armee eine einmalige Zahlung von umgerechnet 9.400 Euro und zusätzlich
ein monatliches Gehalt von 1.880 Euro erhalten.
Es geht jedoch nicht nur um Geld. Der Fortschritt an der Front, der seit
dem Frühjahr 2024 zu verzeichnen ist, gibt einigen Männern im tiefen
Russland, wo Armut und Langeweile an der Tagesordnung sind, die Illusion,
das Leben habe einen Sinn und könne aufs Spiel gesetzt werden, um damit zum
Sieg des „Vaterlands“ beizutragen. Nicht wenige Russen, jahrzehntelanger
Propaganda ausgesetzt, betrachten eine Kalaschnikow auch als Werkzeug der
Selbstermächtigung. Die Aussicht auf Sieg wird so zu etwas wie einem
Perpetuum mobile des Krieges.
Darüber hinaus ist Stabilität wichtig. Das Regime hat sich standhaft
gezeigt. Und diejenigen einfachen Leute, die zunächst gleichgültig
abgewartet haben, glauben nun auch, dass die Staatsmacht es ernst meint und
noch lange bleiben wird.
Angesichts des Anstiegs der Verluste in diesem Herbst ist eine populäre
Hypothese infrage zu stellen: dass Putin bestrebt sei, vor der
Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump am 20. Januar so viel Land wie
möglich zu erobern. Dieser Version zufolge plant der Kreml, diese Gebiete
zu annektieren und einem Waffenstillstand nach dem Vorbild der beiden
Koreas zuzustimmen.
Aber die derzeitigen Machthaber der Russischen Föderation sind, [3][wie
seinerzeit die Bolschewiki], sehr angetan von einem „Maximal-“ und einem
„Minimalprogramm“. Und wenn Putin wirklich einen Waffenstillstand als
mittelfristige Option zur Beendigung des Blutbads in Betracht zieht, dann
handelt es sich eher um einen Plan B. Die Existenz eines freien
ostslawischen Landes bleibt eine Bedrohung für die benachbarten Diktaturen
Russland und Belarus. Die Behörden in Moskau wollen keinesfalls, dass Kyjiw
und die russische Opposition sagen können: „Seht, der demokratische David
hat dem autoritären Goliath die Stirn geboten!“
War die „SWO“ zu Beginn als Spaziergang zum Maidan konzipiert, besteht die
Strategie des Kremls nun darin, die Streitkräfte der Ukraine im Blut
russischer Soldaten zu ertränken. Und man kann nicht sagen, dass Putin die
psychologische Konfrontation verliert.
Laut einer russischen Umfrage von Russian Field vom November 2024 waren 53
Prozent der Russen für Friedensverhandlungen und 36 Prozent für eine
Fortsetzung der Militäraktionen. Aber für die Machthaber ist die
chauvinistische Minderheit von entscheidender Bedeutung. Erstens kann diese
nicht selten auch die Mehrheit nachdrücklich dazu auffordern, zu schweigen.
Zweitens ist diese Minderheit bereit, eine Handvoll Kryptohelden in den
Krieg zu schicken. Eine Diktatur kann eine unpopuläre Politik länger
verfolgen als Institutionen, die von der Meinung der Wähler abhängig sind.
Um die Perspektiven dieses Konfliktes einzuschätzen, sollte man vor allem
auf die interne Dynamik in den kriegführenden Ländern blicken. Eine fast
mystische Übereinstimmung mit der russischen Einstellung zum aktuellen
Todeskampf zeigt eine Gallup-Umfrage in der Ukraine ebenfalls vom November:
52 Prozent sind für die Aufnahme von Verhandlungen, 38 Prozent für einen
Kampf bis zum Sieg.
Der Anteil derjenigen, die [4][in der Ukraine] des Blutvergießens und der
Zerstörung müde sind, wächst. Unter diesen Umständen scheint es, dass Putin
um jeden Preis ein Vorrücken an der Front anstrebt. Erstens versucht er,
den Widerstandswillen der Ukrainer endgültig zu brechen. Zweitens plant er,
diejenigen, die auf die Endphase des Krieges warten, aus dem russischen
Hinterland in die Armee zu locken. Wer würde nicht bereit sein, anstatt im
Zinksarg oder auf Krücken auf eigenen Beinen und sogar als Sieger mit einer
Medaille nach Hause zurückzukehren?
Aus dem Russischen von Barbara Oertel
12 Dec 2024
## LINKS
[1] /Syrischer-Ex-Diktator-im-Exil/!6051642
[2] /Syrisch-russische-Beziehungen/!6051577
[3] http://www.arbeitermacht.de/buecher/trotzki/kapitel9.htm
[4] /Die-ideenreiche-Kunst-der-Ukraine/!6055079
## AUTOREN
Alexander Gogun
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