# taz.de -- Kriegsdienstverweigerer im Ukraine-Krieg: „Sie haben sich entschi… | |
> Kriegsdienstverweigerer brauchen mehr Schutz, sagt Rudi Friedrich vom | |
> Verein Connection. Es gibt sie auf beiden Seiten des Ukraine-Kriegs. | |
Bild: „Das Beste ist natürlich immer, einen Krieg zu beenden“, sagt Rudi F… | |
taz: Herr Friedrich, Ihr Verein Connection e. V. unterstützt | |
Kriegsdienstverweigerer. Was heißt das genau? | |
Rudi Friedrich: Wir arbeiten auf internationaler Ebene für das | |
Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Das heißt konkret, dass wir zum | |
einen Gruppen und Personen unterstützen, die sich in anderen Ländern für | |
Kriegsdienstverweigerung einsetzen oder selber Kriegsdienst verweigern und | |
Repressionen erleben. Zudem setzen wir uns für diejenigen ein, die als | |
Kriegsdienstverweigerer nach Deutschland fliehen und hier Asyl suchen. | |
taz: Der Ukrainekrieg geht ins vierte Jahr. Wie viele Ukrainer und Russen | |
haben sich seit Kriegsbeginn an Sie gewandt? | |
Friedrich: Es sind sicher einige Tausend von beiden Seiten, die sich in den | |
letzten drei Jahren bei uns gemeldet haben. Wir sind aber nicht die einzige | |
Organisation, die dazu arbeitet, Pro Asyl etwa hat auch viele Anfragen | |
bekommen. Und es gibt bestimmt ein Dutzend russische Gruppen, die in | |
europäischen Ländern, zum Teil auch in Russland, mit | |
Kriegsdienstverweigerern arbeiten. Viele Russen sind zum Beispiel nach | |
Georgien, Armenien oder Kasachstan geflohen und werden dort von Gruppen | |
unterstützt, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Das Gleiche gilt für die | |
ukrainischen Kriegsdienstverweigerer: Einige sind in andere Länder | |
gegangen, andere befinden sich noch in der Ukraine und werden dort | |
verfolgt. | |
taz: Gibt es Zahlen, wie viele Kriegsdienstverweigerer es aus beiden | |
Ländern gibt? | |
Friedrich: Nach unseren Schätzungen sind aus Russland mehr als 250.000 | |
Männer geflohen, weil sie nicht in den Krieg einberufen werden wollten, und | |
aus der Ukraine mehr als 300.000. In Deutschland haben nach Angaben des | |
Bundesamts für Migration etwa 3.500 Russen wegen Kriegsdienstverweigerung | |
Asyl beantragt, in der ganzen EU sind es um die 10.000. Aber EU-weit werden | |
die allermeisten leider in ihren Asylverfahren abgelehnt. Wie viele | |
Verweigerer aus der Ukraine in Deutschland sind, wissen wir nicht wirklich. | |
Rechtlich sind sie hier bislang auf der sicheren Seite: Sie haben wie alle | |
ukrainischen Staatsbürger derzeit noch den humanitären befristeten | |
Aufenthalt, der erst mal weiter gilt bis März 2026. | |
taz: Warum bekommen die russischen Verweigerer kein Asyl? | |
Friedrich: Die Bundesregierung – jetzt muss man ja sagen: die alte | |
Bundesregierung – hat ebenso wie das oberste Asylgericht in Frankreich | |
erklärt, dass Deserteure aus Russland einen Flüchtlingsschutz erhalten | |
sollen. Zumindest insofern sie nachweisen können, dass sie desertiert sind | |
und nicht in Kriegsverbrechen involviert sind. Das sind aber nur relativ | |
wenige. Denn Desertion heißt, dass jemand im Militär war, von dort | |
abgehauen ist und es geschafft hat, nach Deutschland oder Frankreich zu | |
kommen. Die meisten Russen, die in den Westen geflohen sind, sind | |
allerdings Militärdienstentziehende – also Leute, die frühzeitig sagen, ich | |
würde auf keinen Fall zum Militär gehen, denn dann droht mir ja, dass ich | |
in der Ukraine eingesetzt werde. Ihre Asylanträge werden in aller Regel | |
abgelehnt, mit der Begründung, es sei nicht „beachtlich“ wahrscheinlich, | |
dass sie für den Krieg rekrutiert werden. | |
taz: Aber das ist doch absurd. | |
Friedrich: Ja, das ist absurd. Das Verwaltungsgericht Berlin hat deswegen | |
im Januar ein wichtiges Urteil gefällt. Und zwar auf Grundlage von | |
Informationen der erwähnten russischen Gruppen über die Verfolgung von | |
Männern, die sich dem Militärdienst entziehen, sowie über das Risiko, als | |
Einberufener in den Krieg geschickt zu werden. Deswegen hat das | |
Verwaltungsgericht in zwei Fällen gesagt: Es gibt sehr wohl eine | |
Wahrscheinlichkeit, dass diese Leute im Krieg eingesetzt werden, und sie | |
müssen deswegen Flüchtlingsschutz erhalten. | |
taz: Was passiert mit russischen Kriegsdienstverweigerern, wenn ihr | |
Asylantrag abgelehnt wird? | |
Friedrich: Es gab eine kleine Zahl von Abschiebungen über Serbien und wohl | |
auch über die Türkei. Aber die meisten Asylverfahren laufen noch. Es gab | |
zwar eine Menge von Ablehnungen durch das Bundesamt für Migration, aber | |
gegen die wurde zumeist geklagt. Damit gehen die Fälle vor die | |
Verwaltungsgerichte, und hier gibt es bislang relativ wenige Entscheidungen | |
– umso wichtiger war das Urteil kürzlich in Berlin. Allerdings gab es im | |
November auch von der höheren Instanz – dem Oberverwaltungsgericht | |
Berlin-Brandenburg – eine Ablehnung in einem anderen Fall. Die betreffende | |
Person ist damit wirklich in Gefahr, abgeschoben zu werden. | |
taz: Wir haben also folgende Situation: Russische Kriegsdienstverweigerer, | |
die sich nicht an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligen | |
wollen, werden nicht anerkannt und abgeschoben, während Ukrainer, die nicht | |
kämpfen wollen, eine Aufenthaltserlaubnis bekommen und geschützt sind? | |
Friedrich: So sieht es in der Tat aus. Wobei bei den Ukrainern nicht die | |
Frage relevant ist, ob sie sich dem Militärdienst entzogen haben oder nicht | |
– sie sind einfach ukrainische Staatsbürger. | |
taz: Aber eigentlich lässt ja die Ukraine Männer im wehrfähigen Alter gar | |
nicht ausreisen. Wie kamen die Männer hierher? | |
Friedrich: Viele sind schon zu Anfang des Krieges oder vorher ausgereist. | |
Und es gab immer Ausnahmegenehmigungen, die zum Teil noch Bestand haben, | |
etwa wenn jemand die einzig mögliche Pflegeperson für einen | |
Familienangehörigen ist. Oder wenn jemand Hilfstransporte fährt. | |
taz: Wie geht die Ukraine mit Kriegsdienstverweigerern um? | |
Friedrich: Mit Beginn des Krieges hat sie das Recht auf | |
Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt. Das bedeutet, dass | |
Kriegsdienstverweigerer strafrechtlich verfolgt und zum Teil zu mehreren | |
Jahren Haft verurteilt werden. Es gibt einige, die im Gefängnis sitzen, | |
andere sind an die Front gebracht worden. Forum 18, eine Organisation aus | |
Norwegen, hat dokumentiert, dass es insgesamt 600 Verfahren gegen | |
Kriegsdienstverweigerer in der Ukraine gibt. Und es gibt noch viel mehr | |
Verfahren gegen Deserteure. Ihnen drohen jahrelange Haft oder der erneute | |
Einsatz an der Front. | |
taz: Was hören Sie von ukrainischen Kriegsdienstverweigerern über deren | |
Motive? Es gibt ja vermutlich für Ukrainer einen relativ hohen moralischen | |
Druck, an der Landesverteidigung mitzuwirken. | |
Friedrich: Natürlich ist der Druck sehr hoch, und es gibt relativ wenige | |
Ukrainer, die mit ihrer Verweigerung an die Öffentlichkeit gehen. In den | |
Fällen, in denen wir Genaueres wissen, sind die Kriegsdienstverweigerer zum | |
Beispiel Christen, die gewaltfreien Religionsgemeinschaften angehören – | |
also Adventisten, Zeugen Jehovas und andere. Was man auch oft hört, sowohl | |
auf der russischen wie auf der ukrainischen Seite: Ich habe Familie auf der | |
anderen Seite, ich kann doch nicht gegen meine eigene Familie in den Krieg | |
ziehen! Das spiegelt auch die Gesellschaften wider: Es gibt eben nicht eine | |
ukrainische Gesellschaft hier, eine russische Gesellschaft dort. Es ist | |
vielfältiger. | |
taz: Ich habe gehört, dass ukrainische Männer in Berlin manchmal doch | |
Schwierigkeiten bekommen, zum Beispiel wenn sie einen neuen Pass brauchen. | |
Friedrich: In der Tat werden die ukrainischen Männer, wenn sie einen Pass | |
beantragen wollen, noch mal gemustert. Das passiert in der Regel in der | |
Ukraine, und die Musterungskriterien wurden verschärft. Nun brauchen die | |
Männer hier allerdings keinen Pass, wenn sie den befristeten humanitären | |
Aufenthalt haben. Anders sieht es bei Ukrainern aus, die mit einem | |
Arbeitsvisum in Deutschland sind. Wenn deren Pass ausläuft, brauchen sie | |
einen neuen, sonst verlieren sie womöglich ihre Arbeitserlaubnis. Aber | |
dafür müssten auch sie zur Musterung in die Ukraine – und würden dann dort | |
festgehalten. Das kann also zu einem echten Problem werden, wenn die | |
Ausländerbehörde darauf besteht, dass ein Mann sich einen gültigen Pass | |
besorgen muss. | |
taz: Macht denn die ukrainische Regierung Druck auf die deutsche Regierung, | |
Männer an sie auszuliefern? | |
Friedrich: Tatsächlich hat die Ukraine einzelne Auslieferungen beantragt. | |
Laut europäischem Auslieferungsabkommen darf zwar nicht wegen | |
Militärstraftaten ausgeliefert werden, aber die Ukraine sagt in einigen | |
Fällen, es gehe um Widerstand gegen die Staatsgewalt oder Ähnliches. In | |
solchen Fällen darf sehr wohl ausgeliefert werden, hat kürzlich der | |
Bundesgerichtshof entschieden. Das heißt, diese ukrainischen Männer | |
unterliegen tatsächlich dem Risiko, in den Krieg geschickt zu werden. Das | |
sind nicht sehr viele, aber es gibt diese Fälle. | |
taz: Deutschland bekommt bald eine neue Regierung. Was sind Ihre | |
wichtigsten Forderungen? | |
Friedrich: Zum einen, dass russische Militärdienstentzieher und | |
-verweigerer hier endlich Schutz bekommen. Sie haben sich entschieden, | |
nicht an diesem Krieg teilzunehmen – das sollte doch unterstützt werden. | |
Für die Ukraine wünsche ich mir, dass Deutschland und die EU Druck machen, | |
dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung – ein grundlegendes | |
Menschenrecht – eingehalten wird. Schon vor dem Krieg hat die Ukraine das | |
sehr restriktiv gehandhabt, jetzt ist es ausgesetzt und es gibt | |
Strafverfahren gegen Verweigerer. Bei einem Beitrittskandidaten für die | |
Europäische Union wäre es doch das Mindeste, dass Menschenrechtsstandards | |
eingehalten werden. | |
taz: Ist es nicht viel verlangt von einem Staat, der sich gegen einen | |
Angriff verteidigt, auf potenzielle Soldaten zu verzichten? | |
Friedrich: Das Beste ist natürlich immer, einen Krieg zu beenden. Und die | |
Zahl derjenigen, die gesagt haben, ich will nicht kämpfen, ist auch ein | |
Hinweis darauf, dass nicht alle Menschen in der Ukraine diesen Krieg | |
wirklich unterstützen. Man muss also andere Lösungen finden. Das Recht auf | |
Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. Und Menschenrechte darf man | |
nicht einfach aussetzen. | |
26 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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