# taz.de -- Neue Kolumne „Eastsplaining“: Dem Spuk ein Ende bereiten | |
> Nach über zehn Jahren russischer Aggression in der Ukraine hält sich ein | |
> harter Kern von „Westsplainern“. Unsere Kolumnistin setzt dem etwas | |
> entgegen. | |
Bild: Symbolbild: Reaktion von Westplainern wenn sie korrigiert werden | |
„Ich selber kenne beruflich und persönlich die Ukraine und Russland besser | |
wie (sic!) vielleicht ein Ukrainer oder Russe,“ schrieb mir kürzlich ein | |
Herr, der sich an meiner Analyse eines russischen Propagandafilms störte. | |
Er wollte mich mittels eines Gregor-Gysi-Videos darüber aufklären, dass der | |
Krieg in der Ukraine nicht von Putins Desinformations- und Kriegsmaschine, | |
sondern von der vermeintlichen „ukrainischen faschistischen Regierung“ | |
verursacht sei. | |
Seit dieser tobt, hat sich in Anlehnung an Mansplaining der Begriff | |
Westsplaining immer mehr für die Russlandversteher-Haltung von | |
Westeuropäern durchgesetzt, die Osteuropäern deren Geschichte und Gegenwart | |
erklären – in der Regel aus einer gleichermaßen selbstsicheren wie | |
ahnungslosen Position heraus. | |
[1][Alexander Kluge] etwa verglich in einem Interview, das er dem | |
Philosophie Magazin wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs | |
gab, diesen mit einem „Ehekrieg“. Er kenne eine berühmte Schauspielerin, | |
deren Mann sie mit einer jüngeren Frau betrogen habe. Statt sich | |
aufzuregen, habe sie einfach gelassen abgewartet – und voilà, bald hatte | |
sie ihn zurück. „Sie sind heute noch verheiratet und die zwei Kinder kommen | |
nicht aus einer geschiedenen Ehe. So lässt sich ein Friedensschluss | |
beschreiben.“ | |
Eine paternalistische, aber auch schlichtweg falsche Metapher. Putin schlug | |
bei einer Pressekonferenz in Moskau kurz vor Beginn der Invasion eine | |
passendere vor – die einer Vergewaltigung: „Ob’s dir gefällt oder nicht, | |
halt’s aus, meine Schöne!“ Gemeint war die Ukraine. | |
## Lasst euch erobern, vergewaltigen, ermorden | |
Ein Paradebeispiel für Westsplaining war das Gespräch von Jakob Augstein | |
mit der in Wien lebenden [2][ukrainischen Schriftstellerin Tanja | |
Maljartschuk] im Herbst 2022. Wie wichtig es sei, eine Eskalation des | |
Krieges durch angebliche Provokationen in Richtung Russland zu vermeiden, | |
versuchte Augstein mit seiner persönlichen Sprecherposition zu untermauern, | |
als Nachfahre von Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hatten. | |
Am absurdesten waren jedoch seine Ausführungen zu Paris: Wie gut, dass man | |
es nicht militärisch verteidigt habe, denn sonst würde diese Stadt nicht | |
mehr existieren. Explizit ausgedrückt: Wehrt euch nicht, lasst euch | |
erobern, vergewaltigen, ermorden, damit Kyjiw hübsch anzusehen bleibt. | |
Dass sein Gegenüber in diesem Augenblick erleben musste, wie die Heimat von | |
all den genannten Schrecken heimgesucht wird, schien er vor lauter | |
Selbstbezogenheit vergessen zu haben. Und auch, dass es die Deutschen | |
waren, die im Zweiten Weltkrieg weite Teile der heutigen Ukraine in Schutt | |
und Asche gelegt hatten. | |
Obwohl es glücklicherweise empathischere Stimmen gibt, hält sich nach über | |
zehn Jahren russischer Aggression in der Ukraine ein harter Kern von | |
Westsplainern – mit Galionsfiguren wie Richard David Precht. Desinteresse | |
an den Perspektiven von Menschen aus den östlichen Nachbarländern, die | |
maximal als Ziele von Sauftourismus oder Quelle von billigen Arbeitskräften | |
taugen. | |
## Antislawische Vorurteile und fehlende Solidarität | |
Diese Haltung lässt sich durch jahrhundertealte antislawische Vorurteile | |
erklären. Eine Ausnahme bildet dabei allein Russland – mit der imperialen | |
Macht kann man sich wegen der deutschen Vergangenheit wohl besser | |
identifizieren als mit Tschechien, Polen oder der Ukraine. Russland wird im | |
Gegensatz zu jenen gemeinhin als selbstbestimmt und als Kulturnation | |
anerkannt. | |
Und es führt zu realem Leid: Dazu, dass die Ukraine aktuell nicht die | |
Solidarität erfährt, die sie benötigt, und dazu, dass Diktaturen beschönigt | |
werden. Im November reiste Til Schweiger nach Belarus, um – Achtung – einen | |
Car-Drifting-Werbeclip zu drehen. Er trat bei der Gelegenheit auch im | |
dortigen Propagandafernsehen auf und sagte, er habe „das Beste“ über das | |
Land gehört, es sei so sauber und sicher, das Essen und das Hotel | |
großartig. | |
Bei der belarussischen Exilcommunity sorgte das freilich für Spott, | |
schließlich gibt es über 1.200 politische Gefangene zu beklagen. Sie | |
schweben wegen bewusster Unterversorgung in Lebensgefahr. | |
Um dem Westsplaining-Spuk ein Ende zu bereiten, werde ich künftig in meiner | |
Kolumne „eastsplainen“ – als Slawistin, Journalistin und Osteuropäerin �… | |
Kultur und Politik aus Mittel- und Osteuropa schreiben. Und über die vielen | |
Menschen aus der Ukraine, aus Belarus und Russland, die nun im Berliner | |
Exil leben. | |
8 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Yelizaveta Landenberger | |
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