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# taz.de -- Ausstellung über Belarus: Zermürben und zerstören
> Eine Ausstellung im Bundestag ist dem belarussischen Menschenrechtler
> Ales Bialiatski gewidmet. Sie erinnert an die 1.400 politischen
> Gefangenen dort.
Bild: Ales Bialiatski vor Gericht in Minsk im Januar 2023
Als Ales Bialiatski im Dezember 2022 der Friedensnobelpreis verliehen
wurde, konnte er persönlich nicht dabei sein. Seine Frau Natalja Pintschuk
nahm die Ehrung in Oslo entgegen, sie verlas ein Statement ihres Mannes,
das mit den Worten begann: „Es ist einfach so, dass Menschen, die die
Freiheit am meisten schätzen, oft ihrer Freiheit beraubt werden.“ Er selbst
saß bereits im Gefängnis Und dort ist er bis heute.
Wie es ihm geht, weiß man nicht genau, seine Frau erhielt zuletzt nur
spärliche Mitteilungen von ihm. Im März 2023 wurde er zu zehn Jahren Haft
verurteilt. Bialiatski ist Gründer und Leiter der belarussischen NGO
Viasna, die damals zusammen [1][mit der russischen NGO Memorial] und dem
ukrainischen Center for Civil Liberties die Ehrung erhielt.
Über Ales Bialiatski ist nun eine Ausstellung im Paul-Löbe-Haus des
Bundestags zu sehen, sie ist mit einem weiteren Zitat von ihm
überschrieben. „I am not afraid, let them be afraid“ („Ich habe keine
Angst, lass sie Angst haben“) – das sagte er noch kurz vor seiner
Verhaftung 2021 zu [2][der Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja].
Die belarussische Exilorganisation Razam hat die Schau gemeinsam mit den
Partnerinstitutionen Malanka Media, der Belarus Solidarity Foundation und
der Konrad-Adenauer-Stiftung konzipiert, die auf Stellwänden über die
Stationen seines Lebens informiert. Sie soll auch an alle etwa 1.400
politischen Gefangenen erinnern, die weiterhin in Belarus unter meist
grausamen Bedingungen inhaftiert sind.
## Psychoterror im Gefängnis
Zur Eröffnung in der vergangenen Woche war Bialiatskis Freund Leanid
Sudalenka, Viasna-Mitstreiter und Menschenrechtsanwalt, angereist.
Sudalenka war selbst zweieinhalb Jahre in Belarus in Haft, heute lebt er in
Vilnius im Exil. Er hielt eine Rede, in der er die Haftbedingungen –
Eingepferchtsein, mangelnde medizinische Versorgung, Psychoterror –
thematisierte:
„Ich spreche zu Ihnen als Überlebender. Es verfolgt mich jeden Tag, und das
lässt nicht nach“, sagte er. Das belarussische Haftsystem sei darauf
ausgelegt, Menschen physisch und psychisch zu zermürben und zerstören,
betonen mehrere Redner:innen. Mindestens sieben politische Gefangene sind
seit 2021 in Haft gestorben. [3][Sudalenka wirbt deshalb weiter um
Aufmerksamkeit]: „Ich möchte immer wieder in Erinnerung rufen, dass Europa
nicht irgendwo bei Warschau endet. Dahinter gibt es ein kleines, ganz
schönes Land, das wir irgendwann einmal in einem demokratischen Europa
sehen wollen.“
Die Ausstellung, im Erdgeschoss des Paul-Löbe-Hauses prominent platziert,
verfolgt die Biografie Bialiatskis von seinen Anfängen bis heute. In Bild
und Wort wird nachgezeichnet, wie er schon als Geschichts- und
Philologiestudent in Homiel in den frühen Achtzigern politisch interessiert
war und den Slogan der Freiheitsbewegung – „Es lebe Belarus“ – für sich
entdeckte.
Damals spielte er Bassgitarre in einer Rockband, die ihren Namen („Baski“,
„Баскі“, „Die Basken“) sicher nicht ohne Grund trug. 1986 ging Bia…
nach Minsk, er gründete dort einen Verband für junge Schriftsteller.
## Erste belarussische Menschenrechtsorganisation
Zwei Jahre darauf, zur Zeit der Perestroika, war er an der Gründung von
Martyrology Belarus, der ersten belarussischen Menschenrechtsorganisation,
beteiligt. Vor allem dank der ausgestellten Fotos, die ihn im Lauf der Zeit
zeigen – mit Rockband, auf Demos, auf dem Podium -, bekommt man einen
Eindruck davon, was Bialiatski für ein Typ ist. Václav Havel und den
belarussischen Autor Wassil Bykau nannte er „seine Mentoren“.
1994 kam Lukaschenko an die Macht, 1996 gründeten Bialiatski und einige
Mitstreiter die Menschenrechts-NGO Viasna96. Auf den Stellwänden ist ein
Zitat Bialiatskis zur Viasna-Gründung zu lesen: „Als die Organisation
gegründet wurde, dachte ich nicht, dass sie so lange gebraucht wird. Ich
dachte, in zwei bis drei Jahren (maximal fünf) wäre sie überflüssig und wir
würden zu unserer gewohnten Arbeit zurückkehren. Leider habe ich mich
geirrt.“
Bereits zwischen 2011 und 2014 saß er nach einem politisch motivierten
Verfahren in Haft. 2023 erging dann das neuerliche Urteil gegen ihn, zwei
weitere Viasna-Mitarbeiter (Valiantsin Stefanovich und Uladzimir Labkovich)
erhielten Haftstrafen von neun beziehungsweise sieben Jahren. Auch weitere
Viasna-Aktivist:innen wie Marfa Rabkova sind noch immer in Haft.
Als am Vorabend der Ausstellungseröffnung im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
des Bundestags aus dem Buch „Wenn du durch die Hölle gehst, dann geh
weiter“ (Edition fototapeta) gelesen wurde, las und sprach dort auch
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Der Band versammelt bewegende
Briefe und Aufzeichnungen von in Belarus inhaftierten Frauen, unter anderem
von Maria Kalesnikava und Marfa Rabkowa.
Einen Satz wiederholte Roth dabei mehrmals: „Vergesst sie nicht, vergessen
tötet.“ Unter diesem Motto könnte auch die Ausstellung im Paul-Löbe-Haus
stehen.
18 Jun 2024
## LINKS
[1] /Irina-Scherbakowa-ueber-Putin/!5835133
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## AUTOREN
Jens Uthoff
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