| # taz.de -- SciFi-Parodie „Das Imperium“ im Kino: Aliens im Fischerdorf | |
| > Bruno Dumont lässt in seiner Science-Fiction-Parodie „Das Imperium“ das | |
| > Gute gegen das Böse kämpfen. Gedreht wurde in der französischen Provinz. | |
| Bild: Sie ist eine von den Guten: Prinzessin Jane (Anamaria Vartolomei) in „D… | |
| Im Nichts einer Dorfstraße in Audresselles, einem Fischerdorf ganz im | |
| Norden Frankreichs am Ärmelkanal – links ein paar Bäume, rechts Sträucher | |
| und eine Brache, auf der Jony, ein Fischer, Boote repariert – verharrt Line | |
| (Lyna Khoudri). Ihr flacher Atem wird schneller, das Geräusch beim Ausatmen | |
| röchelnder. Dann kniet Line, weißes Sommerkleid und Wedges, einen Korb in | |
| der Hand, am Beginn der Auffahrt zu Jonys Haus nieder. | |
| Etwas verwundert unterbricht Jony (Brandon Vlieghe) das Werkeln an seinem | |
| Fischerboot und fragt, was sie da macht. Es folgt ein wenig Smalltalk. Dann | |
| senkt Line erneut den Kopf, kniet wieder nieder und fragt: „Ist der Wain | |
| geboren?“ Auch Jonys Atmen beschleunigt sich, er hebt den Kopf und mit | |
| plötzlich verzerrter Stimme bestätigt er: „Der Wain ist geboren.“ Die Hand | |
| an seinem halb erhobenen Arm zittert verkrampft, Line erhebt sich und beide | |
| sind wieder zurück im Nichts einer Dorfstraße in Audresselles. | |
| Spätestens als kurz darauf Rudy, der neue Partner von Lou, der Mutter von | |
| Jonys Sohn, die Frau nach einem Autounfall mit einem Laserschwert umbringt, | |
| ist klar: Bruno Dumonts „L’Empire“ („Das Imperium“) ist nicht einfach… | |
| Film über die etwas maulfaulen Bewohner_innen des Fischerdorfs. Vielmehr | |
| ist das Dorf Schauplatz eines intergalaktischen Ringens zwischen Einsen und | |
| Nullen. Premiere feierte der Film im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale. | |
| Die Nullen, das ist eine außerirdische Kraft unter der Führung des | |
| Beelzebubs; das Empire der Eins hingegen strebt nach der Erde, um dort das | |
| Gute zu verbreiten. Jony ist ein Kämpfer des Bösen und wie sein Sohn Freddy | |
| wurde er von einem Dämon kolonisiert. | |
| ## Zwischen Alltäglichkeit und Welten Umspannendem | |
| Dumont und Kameramann David Chambille erzählen dieses Ringen mit | |
| zahlreichen Totalen, die die Weite der Landschaft betonen. Diese Landschaft | |
| wiederum wirkt gleichermaßen zeitlos wie offen, bereit, die Kulisse für | |
| jedwede Handlung zu bilden, doch nicht, ohne zugleich eine Reibungsfläche | |
| für die Erzählung zu bilden. Ob Jony und seine Mitstreiter zu Pferde die | |
| Schlacht mit dem Reich des Guten planen oder die Polizisten einen | |
| Autounfall untersuchen: die aufgeräumten Bilder Chambilles sind nur | |
| scheinbar Bühnenräume des Absurden, mit Zitaten von „Star Wars“ bis „Ga… | |
| of Thrones“. Gerahmt von der unspektakulären Schönheit der Landschaft | |
| bewahrt der Film in seinen Szenen die Spannung zwischen Alltäglichkeit und | |
| Welten Umspannendem, zwischen Absurdem und Erhabenem. | |
| Schon bald gesellen sich die Anführer_innen der beiden Fraktionen zu ihren | |
| Streiter_innen auf der Erde. Jane (Anamaria Vartolomei) ist eine Prinzessin | |
| des Empires des Guten und weiht Rudy (Julien Manier) in den Plan ein: | |
| Freddy soll heranwachsen und das Böse der Welt in sich aufnehmen. Dann soll | |
| er und mit ihm alles Böse umgebracht werden. | |
| In „L’Empire“ fließen die Bildwelten früherer Filme Dumonts zusammen und | |
| formen ein Hybrid zwischen Science-Fiction-Epos und jenen Kleinstadtwelten, | |
| die Dumonts Filme ebenso durchziehen. Die scheinbar endlosen Glasfenster | |
| der gotischen Sainte-Chapelle, die sich im Mutterschiff der Guten findet, | |
| lässt seine beiden Historienmusicals über Jeanne d’Arc („Jeannette – Die | |
| Kindheit der Jean d’Arc“, 2017, und [1][„Jeanne d’Arc“, 2019]) anklin… | |
| Audresselles wiederum war schon Schauplatz von Dumonts Mehrteilern „P’tit | |
| Quinquin“ („Kindkind“, 2014) und „Coincoin et les z’inhumains“ („… | |
| und die Nichtmenschen“, 2018). | |
| ## Die Überreste des Atlantikwalls spielen auch mit | |
| Im Presseheft bezeichnet Dumont den Film als „Fortsetzung meines ersten | |
| Films, ‚Das Leben Jesu‘“, der das Leben seines Helden Freddy fortsetzt. | |
| [2][Sein Monumentalfilm „L’Empire“, der bei der Berlinale auf ein | |
| gemischtes Echo stieß, zugleich aber von der Jury mit dem Silbernen Bären | |
| geehrt wurde], zieht seine Kraft daraus, dass Dumont und Chambille einen | |
| sehr spielerischen Film realisiert haben, dieses Spielerische jedoch | |
| weitgehend in die Konzeption verlagert wurde, während die Inszenierung das | |
| wechselseitige Durchdringen von menschlicher und kosmischer Realität in dem | |
| Fischerdorf vor allem anfangs in höchstem Maße ernst nimmt. In den | |
| Landschaften Nordfrankreichs, die Dumonts Filme prägten, öffnen sich | |
| Portale zwischen den Welten. | |
| Stilistisch ist letztlich das Reich des Bösen konsistenter dargestellt. Das | |
| Gegenbild zur Sainte-Chapelle ist die Reggia di Caserta, ein bourbonischer | |
| Klotz und Inbegriff der Unterwerfung der Umgebung unter den Wunsch nach | |
| klaren Sichtachsen. Errichtet als Ausgangspunkt einer Musterstadt nördlich | |
| von Neapel ist die Reggia historisch am Ende des Zweiten Weltkriegs der Ort | |
| der Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Italien nach zwei Jahren | |
| mörderischer Exzesse in dem Land. | |
| Wie schon in den Jeanne-d’Arc-Filmen ist die Geschichte des Zweiten | |
| Weltkriegs, die sich in die Landschaft Nordfrankreichs eingeschrieben hat, | |
| einer der Subtexte des Films. Die Überreste des megalomanen Atlantikwalls, | |
| mit dem sich die Deutschen gegen eine alliierte Landung wehren wollten, | |
| sind als Betonklötze allgegenwärtig. | |
| ## Stellenweise ganz amüsant | |
| Zu den Schwächen des Films gehört, dass er diese Ernsthaftigkeit letztlich | |
| nicht durchhält und im Verlauf immer mehr Possen einbaut. So fragt Rudys | |
| Mutter, als er mit Jane das Kämpfen mit Laserschwert übt: „Was ist das für | |
| ein Unsinn? Feuerwerk am helllichten Tag?“ Das ist stellenweise ganz | |
| amüsant, schwächt den Film insgesamt aber eher, zumal das menschliche | |
| Kleinklein von den Vertreterinnen des Reichs des Guten auf ihren Rundgängen | |
| durchs Dorf ohnehin schmunzelnd zur Kenntnis genommen wird. | |
| Noch schwerer wiegt, dass der Film dazu neigt, den Kampf des Guten gegen | |
| das Böse zu konkret aufzuladen, das gilt vor allem für die Gender-Dynamiken | |
| des Kampfes. Während das Gute vor allem von Frauen erkämpft wird, ist das | |
| Böse überwiegend männlich. So weit, so realistisch. Aber wenn der Film die | |
| Anziehung, die sich zwischen Jane und Jony entwickelt, in den Machtkampf | |
| einbezieht, wirkt das eher altbacken. Trotz oder wegen Jonys | |
| breitbeinig-toxischem Verhalten fühlt sich Jane zu ihm hingezogen, ohne | |
| dass das je allzu plausibel wirkt. | |
| Jene Verfremdung der Form, die Dumont nun schon einige Filme hindurch | |
| benutzt hat, um Filmstoffen eine aufregende Doppelbödigkeit zu verleihen, | |
| verliert sich in „L’Empire“ im Laufe der Zeit. Dabei hätte der Film, hä… | |
| er die Ernsthaftigkeit des Anfangs und dessen Kontrast zwischen | |
| menschlichem Alltag und übermenschlichem Konflikt beibehalten, durchaus das | |
| Material zu einem Film gehabt, der den Manichäismus der Vorlagen von „Star | |
| Wars“ bis „Game of Thrones“ zu einem komplexen Ringen fortentwickelt. | |
| Oder wie Jane, Prinzessin des Reichs des Guten, formuliert: „Es gibt keine | |
| schlechten Menschen. Jeder hier ist eine Balance von Gutem und Bösem. | |
| Unsere Schlacht findet in ihren Herzen statt.“ So nah am Klischee dieser | |
| Satz sein mag, so sehr wäre er ein guter Ausgangspunkt gewesen für einen | |
| Film, der übermenschlichen Manichäismus am Alltag in einem | |
| nordfranzösischen Fischerdorf bricht. | |
| Dass „L’Empire“ trotz seiner diversen Schwächen sehenswert bleibt, hat er | |
| seinen Bildern zu verdanken. Der Film wäre wohl selbst als abstrakter | |
| Bilderreigen sehenswert und bis etwa zur Hälfte unterlegt Dumont diese | |
| Bilder mit ausreichend Deutungsschichten, dass sie allein schon den Film | |
| bis zum Ende tragen. Das Potenzial, mehr Begeisterung auszulösen, hat | |
| Dumont leider etwas leichtfertig verschenkt. | |
| 19 Nov 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
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