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# taz.de -- Filmische Kritik an Klickjournalismus: Die fantastische Welt der Me…
> Der Regisseur Bruno Dumont erzählt aus dem Leben einer selbstsüchtigen
> Moderatorin. Die ist mehr auf Sensationen als auf Seriösität aus.
Bild: France (Léa Seydoux) im Einsatz
France de Meurs [1][(Léa Seydoux)] ist das, was man eine Starjournalistin
nennt. Eine Allrounderin ist sie noch dazu: Als Moderatorin ihrer eigenen
Polit-Talkshow debattiert sie mit ihren Gästen über die Themen, die
Frankreich unter den Nägeln brennen. Als Reporterin reist sie persönlich in
die Krisengebiete der Welt, beweist vollen Einsatz beim Dreh von Reportagen
in Gefechtszonen. Bei Presseterminen im Élysée-Palast fordert sie den
französischen Präsidenten höchstselbst mit ihren unbequemen Fragen heraus.
Das zumindest ist das Bild, das sich die Öffentlichkeit von France de Meurs
gemacht hat. Und die liebt sie dafür. Wie ein Popstar wird sie von der
Bevölkerung verehrt, muss ständig Autogramme geben und für Selfies
bereitstehen. Sie produziert nicht nur Nachrichten, sondern ist selbst
regelmäßig Gegenstand der (Klatsch-)Presse.
Etwas Vergleichbares zu dem, was der [2][Regisseur Bruno Dumont („Jeanne
d’Arc“)] in „France“ parodiert, gibt es in Deutschland zwar nicht, ein
ähnlicher öffentlicher Rummel um Sandra Maischberger oder Maybrit Illner
ist kaum vorstellbar.
Der Treffsicherheit der Kritik der Tragikomödie und ihrer Relevanz tut das
aber keinen Abbruch. Denn die bedenklichen Entwicklungen, die Dumont
anprangert, sind in der Medienlandschaft sehr wohl zu beobachten. In der
titelgebenden Protagonistin werden sie mit großer Freude an der
Übertreibung personifiziert.
## Gastauftritt Macron
Worauf es France bei ihrer Arbeit eigentlich ankommt, wird gleich zu Beginn
klargestellt, auf besagter Pressekonferenz mit Emmanuel Macron. Die
Aufnahmen des französischen Präsidenten sind echt, Journalistin und
Assistentin (Blanche Gardin) in Gegenschnitten allerdings nachträglich in
die Szenerie eingefügt.
France’ Frage danach, ob Macron lediglich taub oder doch vor allem machtlos
gegenüber den rebellischen Zuständen im eigenen Land sei, bringt das
Staatsoberhaupt ins Schlingern. Für einen rein rhetorischen Einwurf, eine
kalkulierte Provokation, über die man hoffentlich wie eine Sensation
berichten wird, anstatt für eine Frage, die eine echte inhaltliche Antwort
erfordert, hat sich France mithin entschieden.
Folgerichtig interessiert die Replik auch gar nicht: Anstatt zuzuhören,
feiert sich das duo infernal über den Saal hinweg mit obszönen Gesten. In
Momenten wie diesen zeigt Dumonts Film Anwandlungen einer
Screwball-Komödie.
Weil die Gags vor dem Hintergrund der auf Seriosität bedachten Politwelt so
absurd wirken, funktionieren sie so gut. Der Humor des Films verwässert
jedoch niemals die bissige Haltung des Films, sondern trägt sogar zu ihrer
Schärfe bei.
## Kritik an klickorientiertem Journalismus
Und die richtet sich vor allem gegen eine nicht ungefährliche
journalistische Tendenz, verstärkt quoten- beziehungsweise klickorientiert
zu berichten. Gegen eine auf Sensation statt auf Aufklärung fokussierte
Berichterstattung, die mitunter absichtlich verkürzt oder zuspitzt, um
möglichst heftige Reaktionen zu erzielen. Gegen eine Berichterstattung, die
sich auf Köpfe statt Inhalte fokussiert. Und ein Publikum, das sich genau
für diese Art der Berichterstattung begeistern lässt.
Die erste Hälfte seines Films nutzt Dumont, um eine facettenreiche
Karikatur einer solchen pervertierten Form des Journalismus zu zeichnen.
Mal steigt France mit Geflüchteten in ein Schlauchboot. Angeblich, um aus
nächster Nähe von den Risiken der Mittelmeerüberfahrt berichten zu können.
Dass Journalistin und Team auf ein Luxusboot umgestiegen sind, sobald das
Material gedreht wurde, bekommt – zumindest zunächst – niemand mit.
In der Sahelzone wiederum spricht sie in umkämpftem Gebiet mit lokalen
Anführern der Tuareg und degradiert die Kämpfer dabei zu Statisten, indem
sie sie dazu animiert, ihre Maschinengewehre zu schwenken oder grimmig in
die Kamera zu blicken.
Mit den Mitteln der Satire führt Dumont vor Augen, wie leicht sich Bilder
manipulieren und durch sie vermeintliche Wahrheiten schaffen lassen, wie
politische Überzeugungen geprägt und Machtverhältnisse beeinflusst werden
können.
## Keiner Verantwortung bewusst
France selbst ist sich ihrer eigenen Verantwortung bis zu einem
Verkehrsunfall allerdings nicht gewahr. Als sie den jungen Migranten
Baptiste (Jawad Zemmar) mit dem Auto touchiert, scheint ihr überhaupt erst
bewusst zu werden, dass ihr Handeln Konsequenzen hat.
Bald darauf kehrt sie nicht nur ihrem Beruf, sondern auch ihrer Zweckehe
mit einem egomanischen Schriftsteller (Benjamin Biolay) und ihrem
unausstehlichen Sohn (Gaëtan Amiel) den Rücken. Versucht sich an
ehrenamtlicher Arbeit, versucht in einem Sanatorium zu sich selbst zu
finden.
Doch je mehr sich „France“ in den privaten Angelegenheiten seiner
Protagonistin verwickelt, desto behäbiger wird der Film. Die fehlende Tiefe
seiner Protagonistin mag ein weiteres Statement Dumonts über die
pragmatische Abgeklärtheit des Medienbetriebs sein, Interesse an ihrem
Schicksal weckt ihre Austauschbarkeit nicht. Einzig Léa Seydouxs
nuanciertes Spiel, das mehr Hintergründigkeit vermuten lässt, als ihr das
Drehbuch zugestehen will, bindet weiterhin an France.
Als sich in der zweiten Hälfte plötzlich ein tragisches Ereignis an das
nächste zu reihen beginnt, wirkt es, als würde der Film gar eine zweite
Parodie, diesmal auf das Melodram, anstrengen. Damit wiederholt sich
Dumont, der als Filmemacher eigentlich für seine ständige Neuerfindung
bekannt ist, ausgerechnet in diesem Punkt: Statt das sorgsam aufgebaute
Szenario zu einem pointierten Ende zu führen, verliert er seinen Fokus.
Dennoch: Eine heutigere, lustvollere und treffendere Abrechnung mit einer
sich ausbreitenden Variante von Journalismus, die sich zuerst als Spektakel
versteht, gibt es nicht.
8 Jun 2022
## LINKS
[1] /Wes-Andersons-The-French-Dispatch/!5805981
[2] /Film-ueber-Jeanne-dArc-als-Erwachsene/!5649057
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Journalismus
Französischer Film
Soziale Medien
Science-Fiction
Spielfilm
Filmrezension
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Historienfilm
Familie
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