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# taz.de -- Komödie über Relotius-Skandal im Kino: Er liefert, was sie drucke…
> Der Relotius-Skandal des „Spiegel“ wird Film. Michael Bully Herbig
> versucht sich in „Tausend Zeilen“ an einer Mediensatire über „dichtend…
> Reporter.
Bild: Mann der Geschichten: Lars Bogenius (Jonas Nay) in „Tausend Zeilen“
Nicht erst seit Donald Trumps Fake-News-Vorwürfen oder den
Querdenker-Demonstrationen während der Coronapandemie wird in den
Redaktionsstuben der Republik über den Vertrauensverlust in die Medien
diskutiert. Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt kam da die
[1][Relotius-Affäre], die Ende 2018 öffentlich wurde und für oft kaum
verhohlene Schadenfreude sorgte. Traf der Fälschungsskandal um nie geführte
Interviews und zum Teil frei erfundene Reportagen doch in erster Linie den
Spiegel, das selbsternannte „Sturmgeschütz der Demokratie“.
Wie konnte es ausgerechnet in dieser Redaktion, die sich so viel auf ihre
Faktencheckabteilung eingebildet hatte, zu so einem Skandal kommen?
Die Fehlersuche im eigenen Haus war anfangs larmoyant, später zwar
ansatzweise kritisch, aber fast zwangsläufig unvollständig. Einer der
Hauptbeteiligten des Falls, der [2][Spiegel-Journalist Juan Moreno], der
als erster Verdacht geschöpft hatte, schrieb bald das aufklärerische Buch
„Tausend Zeilen Lüge“, das zwar kritisch war, aber nicht zu sehr,
schließlich wollte Moreno weiterhin beim Spiegel arbeiten und tut das auch
bis heute.
Dieses Buch bildet nun die Vorlage zu einem weiteren Versuch von Michael –
dem ewigen Bully – Herbig, sich als ernstzunehmender Regisseur zu
etablieren, zumindest ein bisschen. „Vieles ist so passiert, das meiste
haben wir uns allerdings ausgedacht. Ganz ehrlich!“, heißt es zu Beginn,
man könnte also annehmen, dass eine angebracht bissige Satire folgt, doch
von satirischen Elementen ist im Folgenden kaum etwas zu spüren.
Stattdessen erweist sich „Tausend Zeilen“ als über weite Strecken überaus
trockenes Doku-Drama, dass die erzählerischen Möglichkeiten und vor allem
die Abgründe des Falls weitestgehend verschenkt.
## Zum Betrug gehören stets zwei
In der Hauptrolle ist Elyas M’Barek zu sehen, seine Figur heißt nicht
Moreno, sondern Romero, während aus Claas Relotius Lars Bogenius (Jonas
Nay) wurde, beide arbeiten nicht für den Spiegel, sondern für die Chronik.
Abgesehen von diesen kleinen Änderungen folgt die Handlung penibel der
Realität: Während der Arbeit an einer Reportage über die Zustände an der
mexikanisch-amerikanischen Grenze entdeckt Romero Unstimmigkeiten in den
Texten des Starjournalisten Bogenius.
Seine Redakteure wollen von den Vorwürfen jedoch nichts hören, stellen sich
vor den Star, der ihnen das liefert, was sie wollen. Genau hier hätte es
interessant werden können, denn zur erfolgreichen Fälschung, zum gelungenen
Betrug gehören immer zwei: einer der betrügt, einer der betrogen werden
will.
So ist es immer, egal ob bei der angeblichen Millionärserbin Anna Sorokin,
dem angeblich neu entdeckten Leonardo-Gemälde, den Liebesbetrügern beim
Online-Dating oder eben den spektakulären Reportagen eines talentierten
Schreibers, der genau das schreibt, was eine Redaktion ihren Lesern
vorlegen möchte.
## Aufschreiben, was sein soll
Der Vorwurf, das oft nicht aufgeschrieben wird, was ist (um ein
Spiegel-Motto zu gebrauchen), sondern das, was sein soll, wird dem
Journalismus immer häufiger gemacht, oft zu Unrecht, aber immer wieder und
nicht nur im Fall Relotius auch zu Recht. Doch um diese Strukturen
anzuklagen, bedürfte es eines mutigeren Ansatzes, als es Michael Herbig und
sein Drehbuchautor Hermann Florin wagen.
Warum ließen sich so viele herausragende Journalisten – vor allem beim
Spiegel, aber auch bei der FAZ, der NZZ und diversen anderen Zeitungen und
Magazinen – Artikel unterjubeln, die zu schön waren, um wahr zu sein?
„Tausend Zeilen“ verortet das Problem bei zwei leitenden Redakteuren, die
wie arrogante, großkotzige Knallchargen daherkommen und (hoffentlich) nicht
repräsentativ für die Elite des deutschen Journalismus sind.
Bleibt am Ende nur zu hoffen, dass sich nicht allzu viele jugendliche Fans
von Hauptdarsteller Elyas M’Barek in diesen Film verirren. Denn wie eine
vor wenigen Wochen veröffentlichte, viel zitierte Studie zeigte, misstrauen
gerade Jugendliche in erschreckend hoher Zahl den klassischen Medien. Und
in dieser Haltung dürften sie sich durch einen misslungenen Film wie
„Tausend Zeilen“ nur bestätigt fühlen.
29 Sep 2022
## LINKS
[1] /Ex-Spiegel-Reporter-Relotius/!5772345
[2] /Relotius-Bericht-veroeffentlicht/!5597887
## AUTOREN
Michael Meyns
## TAGS
Spielfilm
Komödie
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