| # taz.de -- Relotius-Bericht veröffentlicht: Der „Spiegel“ tut Buße | |
| > Das Magazin übt gnadenlos Selbstkritik. Und verspricht besseren | |
| > Journalismus. Fantasie und Übertreibung solle man den sozialen Medien | |
| > überlassen. | |
| Bild: Chefredakteur Steffen Klusmann (M.), Geschäftsführer Thomas Hass (l.) u… | |
| In der Monatsbeilage der Neuen Zürcher Zeitung erschien 2014 ein Artikel | |
| über einen finnischen Friseursalon, in dem maßgebliche Fakten nicht | |
| stimmten. Also beendete die Redaktion die Zusammenarbeit mit dem Autor. | |
| Sein Name: Claas Relotius. | |
| „Hätte die Redaktion des Spiegels über Relotius Informationen eingeholt, | |
| bevor er zunächst als freier Mitarbeiter und später fest angestellt | |
| beschäftigt wurde“, wäre sie auf [1][den im Netz auffindbaren Vorfall] | |
| gestoßen – so lautet eine der vernichtenden Einschätzungen im | |
| Abschlussbericht einer Untersuchungskommission, den der Spiegel am | |
| Freitagnachmittag zum Fall Relotius vorstellte. | |
| Neben Spiegel-Nachrichtenchef Stefan Weigel gehörten zu den Ermittler*innen | |
| die freie Journalistin Brigitte Fehrle und – die meiste Zeit – auch Clemens | |
| Höges, der im April in die Spiegel-Chefredaktion aufstieg. 17 Druckseiten | |
| hat der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe für den Bericht freigeräumt, | |
| [2][er ist auch frei online verfügbar]. Die interne Version für die | |
| Spiegel-Mitarbeiter enthält zudem 233 Fußnoten und 106 Anlagen. | |
| Dass Relotius Personen sowie komplette Geschichten erfunden hat, [3][hatte | |
| der Spiegel kurz vor Weihnachten publik gemacht]. Den ersten Hinweis – das | |
| rekonstruiert nun der Untersuchungsbericht – hatte der freie Autor Juan | |
| Moreno, bereits am 16. November gegeben. Die Schuld an der Verschleppung | |
| des Falls gibt der Bericht den leitenden Redakteuren [4][Ullrich Fichtner | |
| und Matthias Geyer.] | |
| ## Das Ende des „unbelasteten Reporters“ | |
| Ebenso erhellend wie die Ermittlungsarbeit in Sachen Relotius ist der | |
| Beifang der Recherchen, der Aufschluss über das Arbeiten beim Spiegel | |
| generell gibt. Ein Mitarbeiter der Dokumentation schilderte den | |
| Rechercheuren, „dass ‚nicht selten‘ kurz vor Druck Fakten vom Dokumentar … | |
| hingebogen werden sollen, dass ein Text ‚gerade eben nicht mehr falsch | |
| ist‘, um eine These zu retten, die in einer Konferenz vorgestellt wurde“. | |
| Für die von Relotius gefälschte US-Grenzreportage „Jaegers Gesetz“ gab es | |
| nicht nur eine sogenannte These, sondern sogar eine Art Drehbuch. | |
| Der Abschlussbericht ist auch ein fast verzweifeltes Plädoyer für einen | |
| anderen Journalismus: Die „sozialen Medien“ seien „voll von Emotion, von | |
| Hass, Überschwang, Blödsinn, Vorurteilen, Behauptungen, | |
| Verschwörungstheorien. Wir können das nicht toppen. Wir müssen es | |
| unterbieten.“ | |
| Es wirkt zwar altväterlich, die sozialen Medien als Hauptschuldige für | |
| Probleme der eigenen Branche zu benennen. Aber der Ratschlag, nicht in | |
| einem Spiel mitzuspielen, in dem man nur verlieren kann, ist plausibel. | |
| Insbesondere im Spiegel, „von dem die Leser Aufklärung und Aufdeckung | |
| erwarten“, sei „die Art erzählte Geschichte überholt, die in erster Linie | |
| auf Emotion und dem sogenannten frischen Blick basiert“, schreibt die | |
| Kommission des Weiteren. Das gelte vor allem fürs Ausland: „Der unbelastete | |
| Reporter“, der Land und Leute nicht kenne und „in jeglicher Hinsicht auf | |
| Übersetzer angewiesen ist, wird wahrscheinlich nichts sehen, was er sich | |
| nicht schon vorgestellt hat“. | |
| ## Klassische Desaster-PR | |
| Hier greift die Kommission Kritik auf, die freie Auslandsberichterstatter | |
| kurz nach dem Bekanntwerden des Falls Relotius formuliert hatten. Viele | |
| Redaktionen verlangten nicht nach komplexen Darstellungen, sondern nach | |
| „Klischeethemen“, die „die Vorurteile der Leser bedienen“, [5][schrieb … | |
| Balkanexperte Krsto Lazarević]. Ähnlich äußerte sich die Dokumentarfilmerin | |
| [6][Ronja von Wurmb-Seibel]. | |
| Die „Betrügereien von Claas Relotius“ könnten sich „rückblickend betra… | |
| vielleicht als heilsamer Schock herausstellen“, schreibt der Spiegel in der | |
| Einleitung des Abschlussberichts. | |
| Das ist klassische Post-Desaster-PR. Aber dass der Verlag, einem Vorschlag | |
| der Kommission folgend, für „etwaige Hinweise auf Ungereimtheiten“ | |
| dauerhaft eine Ombudsstelle einrichtet, ist allemal eine gute Nachricht. | |
| Jedenfalls, wenn die Ombudsstelle ähnlich ausführlich Bericht erstattet wie | |
| die Relotius-Ermittler. | |
| 27 May 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://folio.nzz.ch/2014/februar/blondinen-faerben-ihr-haar-dunkel | |
| [2] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fall-claas-relotius-abschlussber… | |
| [3] /Faelschungsskandal-beim-Spiegel/!5560301 | |
| [4] /Spiegel-nach-Relotius-Affaere/!5581335 | |
| [5] https://twitter.com/Krstorevic/status/1076915971389091843 | |
| [6] https://twitter.com/vonWurmbSeibel/status/1075630325198348288 | |
| ## AUTOREN | |
| René Martens | |
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