| # taz.de -- Sci-Fi-Serie „Nachts im Paradies“: Ein deutsches „Sin City“ | |
| > Mit „Nachts im Paradies“ startet die beeindruckende Sci-Fi-Serie mit | |
| > Jürgen Vogel als Taxifahrer. Sie ist düster, ohne sich allzu ernst zu | |
| > nehmen. | |
| Bild: Grimmig, aber cool: Jürgen Vogel im „Blade Runner“-Style | |
| Berlin in der [1][Silvesternacht]? So sieht es aus, der verwahrloste, | |
| enthemmte und gesetzlose Großstadtmoloch, der einem da zu Beginn der | |
| sechsteiligen Miniserie mit dem sarkastischen Titel „Nachts im Paradies“ | |
| vorgeführt wird. | |
| Auf die Idee, dass der [2][Handlungsort München] sein soll, käme man kaum, | |
| wäre da nicht vom Oktoberfest die Rede und hätten die Biergläser nicht | |
| Maßkrugformat. Der einzige Darsteller mit der örtlichen Sprachfärbung | |
| bleibt Eisi Gulp als Chef eines Taxibetriebs im Niedergang. | |
| „Du bist aber auch ’ne arme Sau! [3][Erst Uber], dann die selbstfahrenden | |
| Autos und jetzt auch noch die Air Cabs!“, bekommt sein bester Fahrer gleich | |
| zu Beginn zu hören. | |
| Uber kennen wir, die selbstfahrenden Autos sind noch nicht zugelassen und | |
| von „Air Cabs“ haben wir noch nie gehört. Wir müssen uns also in einer | |
| dystopischen Science-Fiction-Erzählung befinden. | |
| Komisch nur, dass besagter Fahrer in einem BMW E34 unterwegs ist – der | |
| wurde zwischen 1988 und 1996 gebaut. Und Jürgen Vogel, der Fahrer, sieht in | |
| seinem Outfit aus Bikerjacke und Augenklappe aus wie das Abziehbild Snake | |
| Plisskens, Protagonist des 1981er Genreklassikers „Die Klapperschlange“. | |
| Nur dass dessen Darsteller Kurt Russell in der Haarmode damals noch andere | |
| Wege ging. | |
| Die Fahrgäste sind jedenfalls das Allerletzte, sie prellen Vincent (Vogel) | |
| um seinen Lohn, kotzen ihm ins Auto und hacken ihm das Auge aus. Man glaubt | |
| sofort, dass der Urheber der Vorlage selbst Taxi gefahren ist und aus | |
| eigenen Erfahrungen schöpft. | |
| Man begreift auch, dass die Ästhetik die Bildwelten einer Graphic Novel | |
| nachstellt, um die es sich bei der 2019 von Frank Schmolke veröffentlichten | |
| Vorlage nämlich handelt. | |
| Ein deutsches „Sin City“, das ist doch mal was! Und zwar etwas, das ARD und | |
| ZDF, die in diesen Tagen lieber rührige Auswanderergeschichten von | |
| deutschstämmigen Jeans-Erfindern oder einlullende | |
| Friedrichstadtpalast-Schmonzetten erzählen, kaum wagen würden. | |
| ## Die letzte Hure und der letzte Taxifahrer | |
| Gewagt hat es der Streaming-Anbieter Starzplay: „Nachts im Paradies“ sollte | |
| dessen erste deutsche Serie werden – deren Premiere er dann allerdings | |
| nicht mehr erleben durfte, auch der Nachfolger Lionsgate+ hat sich längst | |
| aus dem hiesigen Markt zurückgezogen. | |
| So startet die Serie nach Umwegen nun also bei MagentaTV, während Vincent | |
| schon selber nicht mehr daran glaubt, was er einem Fahrgast da erzählt: | |
| „Ich mach das sowieso nur noch so lange, bis meine Künstlerkarriere | |
| durchstartet.“ | |
| Das tut sie seit 28 Jahren nicht, er nimmt also den Auftrag an, Budur | |
| (Birgit Minichmayr) zu chauffieren. Die beiden bilden ein odd couple der | |
| düsteren Art: die letzte Hure, die „die letzten Wünsche derer, die schon | |
| alles haben“, erfüllt – und der letzte Taxifahrer. | |
| Nach ihnen kommt nichts mehr. „Creator“ Matthias Glasner („Sterben“) ist | |
| ein Fachmann fürs Düstere. Seinen Buddy Jürgen Vogel hat er schon als | |
| Vergewaltiger („Der freie Wille“) und in einem Fahrerfluchtdrama („Gnade�… | |
| eingesetzt, in dem besagte Birgit Minichmayr wiederum dessen Frau spielte. | |
| Was den Zuschauer in dieser aktuellen Serie erwartet: ein wildes, | |
| groteskes, brutales und rasend schnell erzähltes Potpourri der Motive | |
| sowie jede Menge (Film-)Zitate. | |
| Wenn zum Beispiel einmal zwei Männer in offiziellem Auftrag in Vincents | |
| Wohnung eindringen, um mit einem XXL-Bohrer nach Holzwürmern zu bohren | |
| („wegen der Statik“), dann lässt Terry Gilliams legendäre | |
| Science-Fiction-Komödie „Brazil“ von 1985 schwarzhumorig grüßen. | |
| Man könnte die Szene zudem auch als einen Fingerzeig Glasners lesen, das | |
| Geschehen, bei aller Düsternis, auch nicht zu ernst zu nehmen. Denn sonst | |
| wird die Serie nämlich schnell das, was ARD und ZDF in ihren Programmen um | |
| jeden Preis vermeiden wollen: ziemlich fordernd. | |
| 7 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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