Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pflegehelfer sollen abgeschoben werden: Wichtig aber nicht gewollt
> Ein Heim für Demenzkranke bei Bremen fürchtet, schließen zu müssen. Ein
> Drittel der Pflegekräfte kommt aus Kolumbien und soll abgeschoben werden.
Bild: Ohne Pflegehelfer kaum denkbar: Oktoberfest im Heim für schwerst demente…
Hamburg taz | Weil zehn Pflegehelfer aus Kolumbien abgeschoben werden
sollen, droht einem Pflegeheim in Wilstedt bei Bremen die Schließung. Auf
diese Gefahr haben die Angehörigen und die Belegschaft jetzt in einen
offenen Brief an eine Reihe von Politikern hingewiesen – vom Bürgermeister
bis zum Bundesminister.
Die Pflegehelfer seien bestens integriert und würden dringend gebraucht,
heißt es in dem Brief. „Wir fordern mit allem Nachdruck, dass die
Abschiebung ausgesetzt wird.“
In dem Pflegeheim werden nach Angaben der Heimleitung „48 schwerst
demenzkranke Menschen“ betreut. Würde das Heim geschlossen, verlören die
Kranken ihr letztes Zuhause, schreiben die Angehörigen und die
Belegschaft. Weil Heime für schwerst Demenzkranke rar seien, würden sie
weit verteilt und die Angehörigen müssten weite Wege zurücklegen.
Ganz abgesehen davon sei jede gravierende Änderung im Leben eines
Demenzkranken problematisch. Möglicherweise müssten sie in die geschlossene
Psychiatrie eingewiesen werden, um Verhaltensauffälligkeiten medikamentös
zu regulieren. „Da gehören sie nicht nur nicht hin“, heißt es in dem Brie…
„Sie nehmen auch Menschen Plätze weg, die diese in der Psychiatrie
benötigen.“
Heimleiter Tino Wohlmacher weist darauf hin, dass er größte Schwierigkeiten
habe, Pflegehelfer zu finden. „Ich habe meine Stellengesuche seit Jahren
überall stehen“, sagt er. „Die übers Mittelmeer kommen, bewerben sich
nicht.“ Seine zehn Pflegekräfte hätten Wohnungen, sie engagierten sich in
ihrem Job und in Vereinen, ihre Kinder gingen zur Schule. „Es ist absolut
unverständlich, warum Menschen, die so gut integriert sind, die Steuern
zahlen und das Sozialsystem stützen, abgeschoben werden sollen“, sagt
Wohlmacher.
Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gibt es allerdings ein großes
Missverhältnis zwischen Stellenangebot und -nachfrage bei Pflegefachkräften
und Pflegehelfern. 2023 suchten 38.000 Menschen eine Stelle als
Pflegehelfer. Dem standen aber nur 10.000 offene Stellen gegenüber. Bei den
Pflegefachkräften war es genau andersherum: 25.000 offenen Stellen standen
nur 11.000 Bewerber gegenüber.
„Niedersachsen ist grundsätzlich sehr daran interessiert, ausländische
[1][Fachkräfte aufzunehmen, wenn sie auf legalem Wege nach Deutschland
kommen]“, teilte ein Sprecher des Innenministeriums mit. Ministerin Daniela
Behrens (SPD) habe sich auf Bundesebene dafür stark gemacht, einen
Spurwechsel zu ermöglichen: Fachkräfte, deren Asylgesuch abgelehnt wurde,
sollten in ein anderes Einwanderungsverfahren wechseln können. Leider habe
das der Bundesgesetzgeber „nicht vollumfänglich aufgegriffen“. Wer davon
profitieren will, muss seinen Asylantrag vor dem 29. März gestellt haben.
Wohlmachers Leute sind aber keine Fachkräfte. Die Anerkennungsquote für
Asylsuchende aus Kolumbien liegt bei unter einem Prozent. Sie können
allenfalls beantragen, als Härtefall eingestuft zu werden, oder, worauf der
niedersächsische Flüchtlingsrat hinweist, versuchen, eine Ausbildung
aufzunehmen, mit der sie möglicherweise ebenfalls bleiben könnten.
## Das BAMF berücksichtigt Integrationsleistungen nicht
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [2][begrüßt es gegenüber der
taz, „wenn sich Menschen in Deutschland integrieren, die Sprache lernen und
sogar eine Tätigkeit aufnehmen]“. Im Asylverfahren prüfe es jedoch
ausschließlich, „ob und welche [3][Gefahr dem Asylsuchenden bei Rückkehr in
sein Herkunftsland droht]“. Integrationsleistungen könne und dürfe es nicht
berücksichtigen.
Wohlmacher sieht durchaus triftige Gründe, die einer Abschiebung seiner
Mitarbeiter entgegenstehen: Der 20-jährige Diego Arenas aus Ocaña und seine
Mutter seien geflohen, weil die Guerillaorganisation ELN versucht habe, ihn
zu rekrutieren. Eine Woche nach der Ausreise sei sein Vater erschossen
worden. Und die Familie der 25-jährigen Valentina Tascón werde in Kolumbien
durch Schutzgeldforderungen an Leib und Leben bedroht.
Auch dass einer seiner Mitarbeiter nächstes Jahr im August eine Ausbildung
beginnen wolle, habe ihn nicht vor einer Aufforderung zur freiwilligen
Ausreise bewahrt, die einer Abschiebung vorausgeht.
Alle zehn betroffenen Mitarbeiter Wohlmachers haben solche Aufforderungen
erhalten. Mit dem Fristende am Donnerstag drohe noch nicht direkt die
[4][Abschiebung], teilt das Innenministerium mit. Die Landesaufnahmebehörde
habe „in dieser Woche keine Abschiebungen nach Kolumbien geplant“. Dazu
kommt, dass die Mitarbeiter gegen ihre Bescheide geklagt haben. Eine
Familie habe ihren Fall der Härtefallkommission vorgelegt, sagt Wohlmacher.
13 Nov 2024
## LINKS
[1] /Migrationsabkommen-mit-Usbekistan/!6034058
[2] /Aufenthalt-in-Deutschland/!6020085
[3] /Urteile-zu-Rechten-von-Gefluechteten/!6040802
[4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/rueckfuehrungspaket-2229830
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Pflege
Fachkräfte
Abschiebung
Demenz
Flüchtlinge in Niedersachsen
Niedersachsen
Social-Auswahl
Abschiebung
Pflege
Asyl
Abschiebung
Frauenhaus
Geflüchtete Frauen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Abschiebung erstmal verhindert: Pflegeheim muss doch nicht schließen
Ein Drittel der Belegschaft des „Haus Wilstedt“ sollte nach Kolumbien
abgeschoben werden. Jetzt haben die Betreiber eine Lösung:
Ausbildungsplätze.
Privatisierte Pflegeheime in Hamburg: Senat sondiert Möglichkeiten eines Rück…
Hamburgs rot-grüner Senat erwägt, die 2007 privatisierten Pflegeheime des
Trägers „Pflegen und Wohnen“ zurückzukaufen. 2026 endet deren
Bestandsschutz.
Nach Abschiebung aus Frauenhaus: Irgendwo bei Salzburg
Wie es der jungen Frau geht, die vor zwei Wochen mit ihren beiden kleinen
Kindern aus Hamburg nach Österreich abgeschoben wurde, ist unklar.
Abschiebung von Pflegekräften: Grenzenlose Dummheit
Im kleinen niedersächsischen Wilstedt zeigt sich, was es wirklich heißt, im
großen Stil abzuschieben: Es beschädigt die soziale Infrastruktur.
Abschiebung aus dem Frauenhaus: Schutzraum nicht mehr sicher
Die Bewohnerin eines Hamburger Frauenhauses ist mit ihren beiden Kindern
abgeschoben worden. Autonome Frauenhäuser sprechen von „Zäsur“.
Deutsche Asylpolitik: Die Hölle der anderen
Deutschland erschafft sich seine eigenen Täter. Denn nicht der Migrant ist
pervers, sondern die Situation, in der er lebt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.