# taz.de -- Berlin als Vorreiter gegen Hitze: „Ohne Verbote geht es nicht“ | |
> Der Zukunftsforscher Stephan Rammler hat eine Studie über Berlin als | |
> „Reallabor“ der Klimaanpassung vorgelegt. Wie realistisch ist dieser | |
> Optimismus? | |
Bild: Berlin könnte das Klima einer südeuropäischen Stadt bekommen | |
taz: Herr Rammler, Sie haben soeben Ihre [1][Studie über Berlin als | |
„Reallabor der Klimaanpassung“] vorgestellt. Das scheint ihnen richtig Spaß | |
gemacht zu haben. | |
Stephan Rammler: Vor allem der letzte Teil hat mir Spaß gemacht. | |
taz: Da kommt eine amerikanische Journalistin im Jahr 2050 nach Berlin und | |
berichtet, was die Stadt seit 2025 alles auf den Weg gebracht hat. Das ist | |
ja sehr ungewöhnlich für ein wissenschaftliches Gutachten. Welche | |
Reaktionen gab es darauf? | |
Rammler: Sehr gute. Als wir das Gutachten vorgestellt haben, war es bei | |
diesem narrativen Teil mucksmäuschenstill. Ich forsche seit über zwanzig | |
Jahren zum Thema Transformation und baue da immer diese Elemente von Story | |
Telling ein. Man kann den Menschen nicht immer mit Angst und Druck | |
begegnen, man kann sie auch neugierig machen und motivieren, etwas zu | |
ändern. | |
taz: Nun war Berlin schon einmal Vorreiter mit dem [2][bundesweit] | |
[3][ersten Mobilitätsgesetz]. Seitdem die CDU im Roten Rathaus sitzt, ist | |
von Mobilitäswende keine Rede mehr. Wo nehmen sie den Optimismus her, dass | |
es bei der Klimaanpassung besser wird? | |
Rammler: Es gibt einen Unterschied zwischen Klimaanpassung und Mobilität. | |
Als jemand, der sich mit der [4][Soziologie des Automobils] beschäftigt | |
hat, weiß ich, dass Mobilität einen sehr stark symbolisch-expressiven, | |
alterspraktischen, psychologischen Charakter für die einzelnen Nutzerinnen | |
und Nutzer hat. | |
taz: Das heißt, das Klimabrett ist einfacher zu bohren als das | |
Verkehrsbrett? | |
Rammler: Das wollte ich damit sagen. Mobilität ist ein extrem politisiertes | |
Thema. Zwar kann beim Thema Klimaanpassung auch der private Haushalt was | |
tun. In erster Linie aber geht es darum, dass die Kommune und die | |
Verwaltungen anfangen, sich intensiver mit Themen wie Bevölkerungsschutz | |
und Katastrophenvorsorge zu beschäftigen. Ich weiß zwar nicht, ob es 2025 | |
einen solchen Hitzesommer geben wird, wie wir ihn im Szenario beschrieben | |
haben. Aber klar ist, dass über die Jahre Berlin immer heißer geworden ist. | |
taz: Ist der Fokus auf Klimaanpassung nicht auch das Eingeständnis einer | |
Niederlage? Also, das 1,5-Grad-Ziel nicht zu erreichen und nur noch zu | |
versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen? | |
Rammler: Total. Aber es gibt diesen diskursiven Umschwung. Die Leute | |
verstehen, dass jetzt Anpassung an der Zeit ist. Da hat sich vor unseren | |
Augen oder wegen mir auch hinter unserem Rücken etwas verändert, und jetzt | |
ist es mit aller Wucht da. Resilienz wird in den nächsten Jahren eines der | |
zentralen Paradigmen der Gesellschaft sein. | |
taz: Was kommt da auf Berlin zu? | |
Rammler: Es gibt drei Dinge. Einmal die Hitze, dann die Wasserknappheit und | |
schließlich Starkwetterereignisse wie Starkregen und Stürme. | |
taz: In einigen Jahren wird Berlin das Klima einer südeuropäischen Stadt | |
haben, schreiben Sie. Anders als eine Stadt in Andalusien, Sizilien oder | |
Griechenland ist aber eine Stadt im Norden nicht darauf vorbereitet. | |
Rammler: Die Städte im Süden sind über Jahrhunderte kulturell und organisch | |
mit den dort lange Zeit stabilen Klimabedingungen gewachsen. Man hat dort | |
gelernt, dass man die Häuser weiß anstreicht, kleine Fenster hat, gut | |
belüftet ist, Fensterläden und Markisen hat, die Schatten bringen. Es gibt | |
eine Kultur der Pause, in der Mittagshitze wird Siesta gemacht, es wird | |
länger in den Abend gearbeitet, entsprechend isst man später. Die Kulturen | |
haben sich lange Zeit arrangiert und haben es tief in sich eingeschrieben, | |
wie man mit Hitze umgeht. Nur sind wir das in Nordeuropa nicht gewöhnt. Wir | |
glauben immer noch, dass die Schule morgens um acht beginnen muss. | |
taz: Welche Anpassungen wären am dringendsten nötig? | |
Rammler: Konzeptionell ist Berlin gut aufgestellt. [5][Es gibt seit 2016 | |
die AFOK-Studie], in der alles drinsteht, was auf Berlin zukommen wird. | |
taz: Sie meinen das „Anpassungskonzept an die Folgen des Klimawandels“ der | |
damaligen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. | |
Rammler: Genau. Auch die Handlungsempfehlungen sind da genau beschrieben. | |
Da fragt man sich schon, warum da seitdem so wenig passiert ist. Auch wenn | |
ich natürlich weiß, das Berlin seitdem mit anderen Herausforderungen zu tun | |
hatte, der Integration der Flüchtlinge, der Pandemie, dem Krieg in der | |
Ukraine. Unterm Strich muss man aber festhalten: Berlin hat ein paar Sachen | |
gemacht, aber nicht genug. Deshalb muss Klimaanpassung jetzt ins Zentrum | |
aller Stadtentwicklungsmaßnahmen gestellt werden. | |
taz: Was heißt das konkret? | |
Rammler: Es heißt nicht, Klimaanlagen in alle Gebäude einzubauen, sondern | |
von den Kulturen des Südens zu lernen, wie man mit passiven Maßnahmen, mit | |
Verschattung, mit Luftzugsystemen, mit Bäumen und Grün und einer | |
aufgelockerten Architektur die Stadt so gestaltet, dass viel Schatten und | |
möglichst viel Verdunstung da ist. | |
taz: Das mit den Bäumen ist in Berlin ja schon ein Plus. Ihre fiktive | |
Journalistin hat im Landeanflug auf Berlin, im Luftschiff übrigens, | |
festgestellt, wie grün die Stadt ist. Sind das nicht jetzt schon ganz gute | |
Startvoraussetzungen? | |
Rammler: Es sähe noch viel schlimmer aus in Berlin, wenn es nicht so grün | |
wäre. Seien Sie mal in Köln. | |
taz: Oder in Paris. | |
Rammler: Da haben sie im Sommer nicht nur die Hitze, sondern auch die | |
Gewitter, und das Wasser kann nicht gesammelt werden. Berlin dagegen hat | |
nicht nur viel Grün, sondern auch Freiflächen wie das Tempelhofer Feld. Man | |
sollte in Berlin darauf achten, das zu erhalten, also keine Straßenbäume | |
fällen oder [6][wie in Pankow nachverdichten und Grünflächen zu opfern]. | |
taz: Aber auch hier gilt: Der Senat macht eher das Gegenteil. Auf Drängen | |
der SPD hat der Vorgängersenat sogar die [7][Charta für das Stadtgrün] | |
gestoppt, die einen Erhalt aller Grünflächen gefordert hat. | |
Rammler: Deswegen schreiben wir solche Studien und versuchen, gemeinsam mit | |
Bewegungen wie dem [8][Baumvolksentscheid] eine gesellschaftliche Dynamik | |
in Gang zu bringen. | |
taz: Sie haben bereits einige Handlungsfelder identifiziert, wie | |
Gesundheit, Stadtentwicklung, Wasser, Boden, Mobilität. Was wären denn | |
sinnvolle ad hoc-Maßnahmen? Weiße Tücher, die über Straßen gespannt werden, | |
wie im spanischen Sevilla? | |
Rammler: Katastrophen- und Bevölkerungsschutz stehen an erster Stelle. Die | |
Alten dürfen in den Altenheimen nicht unbetreut sein, sie müssen viel | |
trinken. Alle Einsatzkräfte, Feuerwehr, Polizei, müssen an das Thema | |
herangeführt werden. Das ist das Thema Protektion, also Vorausschau. Dafür | |
braucht es Verwundbarkeitsanalysen, die sich anschauen, wo die vulnerablen | |
Bevölkerungsgruppen und Infrastrukturen sind. Die in Dahlem oder Zehlendorf | |
leben, leben in einer kühleren Stadt als in der Innenstadt. Das ist das | |
Unmittelbare. | |
taz: Und danach? | |
Rammler: Würde man anfangen mit Verordnungen, dass alles, was Neubau ist, | |
noch stärker auf das Thema Klimaanpassung geprüft wird. Grün-blaue | |
Infrastrukturen, Schwammstadt und so weiter. Dann das Thema Entsiegelung. | |
Radwege bauen, die wasserdurchlässig sind. Das braucht aber Zeit und Geld. | |
Grün pflanzen und pflegen, das können wir aber sofort anfangen. Es muss | |
mehr Grün in die Stadt. Jede Ecke in der Stadt muss vollgepflanzt werden. | |
taz: Haben Sie einmal durchgerechnet, was das alles kosten würde? | |
Rammler: Der Baumentscheid hat das gemacht. Das sind etliche Milliarden, | |
aber über viele Jahre gestreckt. Es würde finanzierbar sein. | |
taz: Berlin hat ein Haushaltsloch von drei Milliarden und muss sogar | |
Klassenfahrten streichen. | |
Rammler: Meine Aufgabe war es nicht, eine Studie zu machen und | |
reinzuschreiben, was alles nicht geht. Ich habe formuliert, was passieren | |
müsste. Zum Beispiel die Dächer weiß zu streichen, auch wenn das nicht | |
zulässig ist. Weiße Farbe reflektiert das Sonnenlicht und schützt vor | |
Erwärmung. | |
taz: Im Grunde geben Sie der Politik Hausaufgaben an die Hand. Der | |
Auftraggeber der Studie war die [9][Friedrich Ebert-Stiftung Berlin]. Ist | |
das eine politische Studie? | |
Rammler: Ja. Die Studie versucht, all das, was wir bereits erarbeitet | |
haben, in ein Policy Design zu gießen. | |
taz: Sie sind ein großer Fan des Baumentscheids. Das Volksbegehren ist nach | |
dem Stopp der Charta initiiert worden und hat zum Ziel, dass Berlin ein | |
Klimaanpassungsgesetz bekommt. | |
Rammler: Das brauchen wir auch. Brandenburg hat bereits eine | |
Klimaanpassungsstrategie, Berlin hat das nicht. Das Szenario des | |
Klimabauhauses ist eines, hinter dem sich alle versammeln können, hoffe | |
ich. | |
taz: Auch die, die in einem Hitzesommer plötzlich ihren Pool nicht mehr | |
wässern dürfen? | |
Rammler: Die werden sicher dagegen aufbegehren. Aber wir müssen anfangen, | |
einzelne Dinge grundsätzlich zu verändern, und da gilt es dann auch, den | |
Interessen bestimmter Eliten entgegenzutreten. | |
taz: Wir alle wissen, welche Gegenreaktionen Verbotsdiskussionen | |
hervorrufen. | |
Rammler: Natürlich weiß ich das. Aber es geht nicht ohne Verbot. Politik | |
ist dazu da, Ver- und Gebote auszusprechen. Sie ist auch dazu da, Menschen, | |
die der Allgemeinheit schaden, Grenzen zu setzen. Dieses ewige Mäntelchen | |
nach dem Wind hängen ist nicht der richtige Weg. Wenn es 40 Grad in der | |
Stadt hat, darf kein Auto mit Verbrennungsmotor mehr fahren. | |
taz: Ausgangspunkt Ihres Szenarios war eine Klimakatastrophe im Jahr 2025. | |
Ist es so, dass es ohne Katastrophe nicht geht? | |
Rammler: Ich glaube, es geht nicht ohne Katastrophe. Da gibt es dann die | |
einen, die den Kopf in den Sand stecken und in rückwärtsgewandte und | |
biedermeierische Tendenzen verfallen. Angst verstellt die Zukunft. Das | |
erleben wir gerade bei den jungen Männern, die AfD wählen. Es gibt aber | |
auch die, die durch die Probleme sensibilisiert werden. Und die vielleicht | |
genau den Impuls eines positiven Narrativs brauchen, um das Gefühl zu | |
entwickeln, dass doch nicht alles zu spät ist. | |
taz: Hoffnung statt Angst. | |
Rammler: Nicht die Kassandra, die vorauseilend warnt, sondern eine positive | |
Utopie, die Horizonte öffnet. Dieser Sog hat mehr Energie als die | |
Push-Funktion einer Kassandra. | |
27 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://dietz-verlag.de/isbn/9783801206956/Klimabauhaus-Berlin-Die-adaptive… | |
[2] https://www.berlin.de/sen/uvk/mobilitaet-und-verkehr/verkehrspolitik/mobili… | |
[3] https://www.berlin.de/sen/uvk/mobilitaet-und-verkehr/verkehrspolitik/mobili… | |
[4] https://www.fischerverlage.de/buch/stephan-rammler-volk-ohne-wagen-97835962… | |
[5] https://www.google.de/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&am… | |
[6] https://xn--grner-kiez-pankow-32b.de/ | |
[7] https://www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/charta-stadtgruen/ | |
[8] https://www.baumentscheid.de/ | |
[9] https://www.fes.de/landesbuero-berlin/artikelseite-landesbuero-berlin/vorst… | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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