# taz.de -- Doku über NS-Regisseurin: „Riefenstahl ist aktueller, als uns li… | |
> Der Dokumentarfilmer Andres Veiel zeichnet in „Riefenstahl“ ein großes | |
> Porträt der NS-Regisseurin. Diese sieht er als geschickte Manipulatorin. | |
Bild: Einträchtige Dreierrunde: Adolf Hitler und Joseph Goebbels zu Besuch bei… | |
taz: Herr Veiel, hat Leni Riefenstahl nach 1945 über ihre Rolle im | |
Nationalsozialismus systematisch gelogen? | |
Andres Veiel: Ja. Das ist ja bekannt. | |
taz: Warum dann 2024 einen Film über sie? | |
Veiel: Es gibt erst mal unterschiedliche Schichtungen der Lüge. Im Mai 1945 | |
hat sie sehr viele Dokumente verbrannt und angefangen, eine Legende zu | |
bauen, die aber noch nicht perfekt war. Sie hat noch geübt und behauptet, | |
dass sie mit Politik nichts zu tun hatte. | |
taz: Hat sie nach 1945 ihre Lügen variiert? | |
Veiel: Ja. Ein Beispiel: Sie war im September 1939 kurz nach dem deutschen | |
Überall im polnischen Końskie, um die Siege der Wehrmacht zu dokumentieren. | |
Dort wird sie Zeugin eines der ersten größeren Massaker an Juden. Das | |
bestreitet sie bis 1950 nicht. Nach 1950 behauptet sie, von dem Massaker | |
nichts unmittelbar mitbekommen zu haben, weil sie verstanden hatte, dass | |
diese Zeugenschaft widerlegt, dass sie von dem Mord an den Juden nichts | |
wusste. Es gibt innerhalb dieser Lügen Verschiebungen, um die Kontrolle zu | |
behalten. | |
taz: Was ist in Końskie passiert? | |
Veiel: Die Juden wurden gezwungen, ein Grab für vier getötete deutsche | |
Soldaten auszuheben. Riefenstahl soll, so beschreibt es ein | |
Wehrmachtsangehöriger, angeordnet haben, dass die Juden aus dem Bild | |
verschwinden müssen. Sie wollte ein sauberes, judenfreies Bild. Darauf hin | |
sind die Juden noch mal misshandelt und geschlagen worden. Sie haben | |
versucht, zu entkommen, die Deutschen haben mit einem Maschinengewehr 22 | |
ermordet. Glaubt man dem Wehrmachtsangehörigen, dann hat Riefenstahl diese | |
Tat nicht verursacht, aber direkt katalysiert. | |
taz: In dem Film sieht man ein Foto, das sie im Augenblick dieses Mordes | |
zeigt – mit schreckgeweiteten Augen. Wusste Riefenstahl später, dass sie | |
lügt? | |
Veiel: Zu Beginn einer neuen Erzählung, ja. Sie ist eine geschickte | |
Lügnerin, sie schafft es, auch kritische Journalisten einzuschüchtern, um | |
im nächsten Moment zuckersüß zu fragen: Aber wollen Sie nicht noch eine | |
Tasse Kaffee? | |
taz: Glaubt sie ihre eigenen Lügen? | |
Veiel: So manipulativ zu sein gelingt nur, wenn man selbst daran glaubt. | |
Sie ist keine Strategin der Lüge, so wie [1][Albert Speer,] der durchdacht | |
daran arbeitete, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und sich als von | |
Hitler verführter Bürger zu inszenieren. Riefenstahl arbeitet intuitiv, wie | |
eine Schauspielerin. | |
taz: Wenn sie in Talkshows oder Gesprächen leugnet, verdreht, zeigt der | |
Film diese Momente oft in Zeitlupe. Ist das keine zu eindeutige Art, den | |
Fokus auf ihre Verdrängungskünste zu lenken? | |
Veiel: Nein. Wir wissen, dass sie eine Verdrängungskünstlerin war. Mich | |
interessiert ihr Repertoire, ihr Instinkt. Sie wusste, wann sie lächeln, | |
wann sie empört sein musste, wann sie feuchte Augen einsetzt. Die Zeitlupe | |
versucht nicht, sie der Lüge zu überführen, sondern die Strategien sichtbar | |
zu machen, mit denen sie die Stimmung dreht. | |
taz: Es gibt reichhaltige Forschungen zu ihrer Biografie. Was ist neu an | |
Ihrem Film? | |
Veiel: Wir haben [2][ihren umfangreichen Nachlass] ausgewertet, 700 Kisten | |
mit vielen unbekannten Dokumenten. Mich hat interessiert: Wofür steht ihre | |
Lüge? Muss sie lügen, weil die Schuld zu groß ist? Oder weil sie immer noch | |
der NS-Ideologie verhaftet ist und die Schuld verkleinern muss, um diese | |
Ideologie zu verteidigen? | |
taz: Und? | |
Veiel: Letzteres. In ihrem Nachlass finden sich von ihr aufgezeichnete | |
Telefongespräche, oft mit Anrufern, die mit ihr sympathisierten. Im Film | |
hört man ein Gespräch, in dem jemand behauptet, es werde noch ein, zwei | |
Generationen dauern, bis Deutschland wieder zu Anstand und Moral | |
zurückkehrt. Gemeint ist die Zeit vor 1945. Riefenstahl antwortet: „Ja, die | |
Deutschen haben die Anlage dafür.“ | |
In einem Brief behauptet sie, dass die Juden sie bis an ihr Lebensende | |
verfolgen werden. Es war für mich neu, wie konsistent sie der NS-Ideologie | |
nach dem Krieg treu bleibt. Der zweite neue Aspekt ist die Bedeutung der | |
erlittenen Gewalt in ihrem Leben. Sie wurde als kleines Mädchen von ihrem | |
Vater ins Wasser geworfen und behauptet, dass sie dabei fast ertrunken | |
wäre. Und berichtet stolz, dass sie eine gute Schwimmerin wurde. Gelobt, | |
was hart macht. Ihr Vater hat sie misshandelt, ihr Ehemann hat sie | |
geschlagen. | |
taz: War Riefenstahl ein Opfer? | |
Veiel: Ich finde die individualpsychologische Sicht oder gar eine | |
Entlastung weniger interessant als den preußischen Drill als | |
Generationsphänomen. Das Besondere ist: Sie macht als Frau diese Erfahrung. | |
Ihr wird systematisch in den Leib geprügelt, der bessere Mann zu sein. | |
Deshalb ist ihr die rechtsextreme Erzählung nach 1918 nah: Die Schwachen | |
sind am Krieg zerbrochen. Wir gehen gestärkt hervor und sammeln uns um den | |
Führer für den Kampf. | |
Sie kämpft nicht gegen die Franzosen, sondern bei den Bergfilmen mit | |
unglaublichen Entbehrungen, lässt sich ohne Helm in Gletscherspalten | |
filmen, hat Kopfverletzungen, Erfrierungen, lebenslang einen Nierenschaden. | |
Das muss alles ausgehalten werden. Die Identifikation mit dem Starken, | |
Schönen, Siegreichen und die Abwehr jeder Form von Schwäche ist ein | |
Knotenpunkt, der ihre Biografie und ihre Ästhetik verbindet. Diese | |
Verknotung zeigt „Riefenstahl“. Gleichzeitig ist diese Feier des Starken | |
und die Verachtung des Schwachen, Kranken das Ur-Gen des Faschismus. | |
taz: Sie haben 18 Monate an dem Film geschnitten. Warum so lange? | |
Veiel: Aus zwei Gründen. Riefenstahl ist eine dramaturgische | |
Herausforderung. Es gibt bei ihr keinen dritten Akt. Sie hat keine | |
Entwicklung, keine Katharsis. Ihr Leben hört bei der Exposition auf. Der | |
Moment, in dem die Heldin merkt, dass sie in der Sackgasse steckt und jetzt | |
das Haus in die Luft sprengen muss, fehlt. Wir mussten eine andere | |
Erzählform finden. Der zweite Grund: Wir haben viele Aktualisierungen | |
ausprobiert. Also Bilder von Putin, der als Imperator inszeniert wird. | |
Soldaten, die als Masse inszeniert werden. Wir haben auch Bilder der | |
Eröffnung der Olympiade in Peking montiert, die ästhetisch an Riefenstahls | |
Film über Olympia 1936 erinnern. | |
taz: Warum hat das nicht funktioniert? | |
Veiel: Es passte nicht. Das Material aus dem Nachlass haben wir sehr fein | |
akzentuiert. Man kann nicht dort mit der Pinzette arbeiten, dann mit | |
Aktualisierungen zu gröberem Werkzeug greifen. | |
taz: Ist Riefenstahl eine historische Figur, ohne gegenwärtige Bezüge? | |
Veiel: Nein, sie ist eine aktuelle Figur. | |
taz: Die Identifikation mit dem Aggressor – in der Szene mit dem Vater – | |
war typisch für den klassischen autoritären Charakter. Der | |
Rechtsextremismus heute speist sich aus einer individualisierten Form von | |
Wut. Die Unterordnung unter die Macht spielt eine geringe, das Ich eine | |
große Rolle. Wie aktuell ist die Figur Leni Riefenstahl? | |
Veiel: Ich sehe Parallelen. Es gibt wie in den 1920er Jahren eine | |
kollektive Erfahrung von Krise und Kontrollverlust. Deshalb wächst das | |
Bedürfnis nach einer ordnenden Hand. Die rechtsextremen Narrative sind | |
ähnlich: Hier der Volkswille, dort Eliten und Medien, die die Welt im Griff | |
haben. | |
taz: Die rechtsextremen Höckes sind aber bundesdeutsch liberal erzogen und | |
nicht von preußischen Vätern ins Wasser geworfen worden. | |
Veiel: Das kann sein. Aber Figuren wie Höcke und Krah fordern die Rückkehr | |
zum Maskulinen, Starken, Männlichen. Das Heroische soll den Feminismus | |
verdrängen. Der Mann soll als Verteidiger der Familie und der Familienehre | |
wieder ins Zentrum rücken. Das inthronisiert physische Kraft und Gewalt. Es | |
gibt fast 30 Prozent, die solche Ideen wählen. Ich fürchte, dass | |
Riefenstahl aktueller ist, als es uns lieb sein kann. | |
30 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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