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# taz.de -- UN-Artenschutzkonferenz in Kolumbien: Der Möchtegern-Öko
> Die umweltfreundlichste Regierung in der Geschichte Kolumbiens wollte
> Gustavo Petro anführen. Geblieben ist vor allem: Ernüchterung.
Bild: Gustavo Petro wollte die umweltfreundlichste Regierung in der Geschichte …
Bogotá taz | Kolumbiens Präsident Gustavo Petro hat mit seinen Reden zu
Klima und Umweltschutz international für Aufsehen gesorgt. Egal ob auf der
Generalversammlung der Vereinten Nationen, beim Weltwirtschaftsforum in
Davos, bei den Klimakonferenzen in Ägypten und den Vereinigten Emiraten –
Umweltgerechtigkeit und Energiewende sind immer dabei.
Die [1][am Montag gestartete UN-Artenschutzkonferenz im kolumbianischen
Cali] ist wohl die Krönung für Petro, den Möchtegern-Ökopräsidenten. Der
erste linke Präsident Kolumbiens hatte schon im Wahlprogramm tiefe
Transformationen versprochen, um die Klimakrise und den Verlust der
Artenvielfalt anzugehen. Petro forderte im Wahlkampf, dass Kolumbien das
extraktivistische – also auf der Ausbeutung von Rohstoffen und deren
Verkauf ins Ausland beruhende – Wirtschaftsmodell hinter sich lässt und die
Nutzung sauberer Energien demokratisiert.
Dekarbonisierung plus Umweltschutz – alles, um aus Kolumbien eine
„Weltmacht des Lebens“ zu machen. Dazu passte Francia Márquez als erste
Schwarze Vizepräsidentin, eine Umweltschützerin, die für ihren Kampf gegen
den Bergbau den Goldman-Preis erhalten hatte, sozusagen den
Umwelt-Nobelpreis. Petros Regierung galt als die umweltfreundlichste, die
Kolumbien je hatte – zu Anfang.
Bald kam die Ernüchterung. Ins Bergbau- und Energieministerium berief er
die Aktivistin Irene Velez, die sich zwar mit den sozialen Folgen des
Bergbaus auskannte, aber wenig mit der technischen Seite. Von ihrem
Auftreten traute man ihr eher einen Sitzstreik zu, als mit internationalen
Bergbaumultis und ihren Anwaltsheeren die Energiewende zu verhandeln. Bis
zu ihrem Rücktritt schlitterte sie von einem Fehltritt zum nächsten.
Umweltministerin Susana Muhamad ist eine der wenigen Minister:innen, die
von Anfang an dabei ist.
## Fortschritt hat Petro kaum gemacht
Ständig baut Petro sein Kabinett um. Die Regierungskoalition im Kongress
ist zerbröselt. Dazu kommt sein Hang zu Narzissmus, der ihn in
Konfrontation statt Kompromiss drängt. Von den zwei Dutzend Umwelt-Punkten
aus dem Wahlprogramm haben gerade einmal acht konkrete Fortschritte gemacht
– und zwar vor allem die weniger wichtigen. [2][So analysierte es das
Investigativportal Vorágine] im April dieses Jahres.
Während Petro im Ausland die Industriestaaten auffordert, ihre
Energie-Hausaufgaben zu machen, hat er daheim wenig geliefert. Ein
sofortiger Ausstieg aus den fossilen Energien würde Kolumbien einen
Großteil seiner Devisen kosten und die Energie-Souveränität gefährden,
warnten Expert:innen. Ein Umbau Richtung Erneuerbare ist allerdings auch
für Kolumbien wichtig, dazu die Wirtschaft diversifizieren, damit sie nicht
mehr so stark vom Rohstoff-Export abhängt.
Im Dezember 2023 verkündete Petro, Kolumbien unterzeichne keine neuen
Verträge mehr, um nach Vorkommen von Kohle, Erdöl und Gas zu suchen. Alte
laufen aber weiter. Und daheim tut er das, was er den Industriestaaten
ankreidet: anderswo einkaufen, [3][wo dubiose Bedingungen herrschen]. So
schloss Kolumbien im April eine [4][Übereinkunft mit Venezuela], damit der
staatlich kontrollierte kolumbianische Konzern Ecopetrol Öl und Gas in
Venezuela ausbeuten darf und im Gegenzug Energie nach Venezuela exportiert.
## Um Boden wird in Kolumbien seit Jahrzehnten gekämpft
Der Ausbau erneuerbarer Energien verläuft schleppend. Solar und Wind hätten
an der Karibikküste gute Voraussetzungen. Doch Windparks laufen
beispielsweise den Überzeugungen der indigenen Wayúu zuwider. In Sachen
Zertifikatshandel hat Umweltministerin Muhamad erste Absichtserklärungen
vorgelegt – während Kolumbien längst im internationalen Handel mit
Emissionszertifikaten steckt, zum Leid der oft über den Tisch gezogenen
indigenen Gemeinschaften.
Mit Petros großen Reden kann die Realität nicht mithalten. Das liegt auch
daran, dass mit Umwelt eng verknüpft die Frage nach der Kontrolle über Land
ist – die in Kolumbien seit bald sechzig Jahren den bewaffneten Konflikt
nährt.
Denn anders als Petro im Ausland gern verlauten lässt, ist nicht der
Energiehunger der westlichen Welt Kolumbiens größtes Problem. Die meisten
Treibhausgasemissionen gehen auf Abholzung, Rinderzucht, und Landwirtschaft
zurück. Die sind in der Amazonasregion am größten.
## Kolumbien bekommt die Erderhitzung schon zu spüren
Petros Regierung schlug einen für Kolumbien neuen Ansatz ein, der eng auf
die Zusammenarbeit mit Bauern und Indigenen setzt beim Waldschutz, mit
Programmen und Zahlungen, wenn sie nicht abholzen. Das historische Minus
bei der Abholzungsrate im Jahr 2023 war allerdings den Verhandlungen mit
bewaffneten Gruppen zu verdanken, die als Zeichen des guten Willens die
Abholzung in den von ihnen kontrollierten Gebieten verboten. Als sie den
Verhandlungstisch verließen, [5][schoss die Abholzungsrate wieder in die
Höhe].
Darüber hinaus ist Kolumbien laut der Nichtregierungsorganisation Global
Witness wieder [6][traurige Spitze bei den Morden an
Umweltschützer:innen]. Die meisten Opfer sind Indigene, in denselben
Gegenden wie unter der rechten Vorgänger-Regierung. Auch das wollte Petro
ändern. Doch die Drohungen und Morde gehen weiter, fast alle bleiben
straflos.
Auf internationalen Bühnen hat Petro verkündet, Kolumbien werde „200
Millionen Dollar Jahr für Jahr über 20 Jahre beisteuern, um den Amazonas zu
retten“. Allerdings stammt ein Großteil dieser Summe [7][aus Hilfen
internationaler Geberländer], [8][darunter Deutschland].
Kolumbien spürt die Klimakrise bereits heftig. Die Karibikküstenstadt Santa
Marta verzeichnete am 16. September eine Temperatur von 50 Grad. In der
Hauptstadt Bogotá wird seit einem halben Jahr das Trinkwasser rationiert.
Die Stauseen laufen leer, es regnet viel zu wenig. Weil Kolumbiens
Stromversorgung stark von Wasserkraftwerken abhängt, ist eine Energiekrise
samt Rationierung wohl nur eine Frage der Zeit. Eng verbunden mit der
Klimakrise ist die Artenkrise, wie Petro erkannt hat.
## Petro scheint nicht an die Konferenz zu glauben
In Kolumbien leben die meisten Arten im Landesteil Amazonien – wo die
krasseste Abholzung stattfindet. Zudem machen invasive Arten den
Ökosystemen zu schaffen. Das Paradebeispiel sind die sogenannten
Narco-Hippos – die illegal eingeführten Flusspferde aus dem Privat-Zoo von
Drogenboss Pablo Escobar, die sich [9][nach seinem Tod ungebremst vermehrt
haben] und die heimische Tier- und Pflanzenwelt zerstören. Doch
Umweltministerin Muhamad scheut sich, die wissenschaftlichen Empfehlungen
umzusetzen, die letztlich Abschuss als effizienteste und billigste Lösung
sehen.
Gleichzeitig sind unter Petros Regierung die Schutzgebiete auf 24 Prozent
der Landfläche gestiegen und das Abkommen von Escazú im Kongress
verabschiedet und vom Verfassungsgericht bestätigt worden. Das Abkommen
soll den Bürger:innen mehr Teilhabe, Information und Gerechtigkeit in
Umweltdingen garantieren. Demobilisierte Farc-Kämpfer:innen können ihre
Wiedergutmachung an den Opfern der Bürgerkriege auch in Form der
Wiederherstellung von Ökosysteme leisten.
Und vor wenigen Tagen unterzeichnete Petro ein Dekret, auf das die
Indigenen über 30 Jahre gewartet hatten. Es macht [10][Indigene zu
Umweltbehörden]. Damit sollen indigene Autoritäten gemeinsam mit anderen
Einrichtungen Mechanismen schaffen, um den Schutz der Ökosysteme zu
garantieren. Allerdings steht darin nicht, wie das passieren soll.
Auf der UN-Generalversammlung in New York hatte Petro geklagt: „Wir haben
keine Zeit mehr. Die Regierungen sind machtlos, das Aussterben des Lebens
aufzuhalten.“ Richten könnten es nur die Menschen – nicht die Regierungen.
Zuletzt warnte er, die Artenschutzkonferenz werde die Menschen zwar
zusammenbringen, doch einige Regierungen würden nur teilnehmen, um den
Diskurs zu verwässern.
Das klingt nach [11][wenig Glaube an die Verhandlungen]. Immerhin hat er
angekündigt, das Kabinett für die Zeit der Artenschutzkonferenz nach Cali
zu verlegen.
22 Oct 2024
## LINKS
[1] /Biodiversitaets-COP-in-Cali-startet/!6043673
[2] https://voragine.co/historias/analisis/gustavo-petro-entre-grandes-discurso…
[3] /Praesidentschaftswahl-in-Venezuela/!6027662
[4] https://www.eltiempo.com/politica/gobierno/petro-habla-de-posibilidad-de-qu…
[5] /Umsetzung-der-EU-Entwaldungsrichtlinie/!6023474
[6] /Gewalt-gegen-kolumbianische-Aktivisten/!6036125
[7] /Geld-fuer-aermere-Staaten/!6039340
[8] https://voragine.co/historias/analisis/gustavo-petro-entre-grandes-discurso…
[9] /Pablo-Escobars-Nilpferde/!5968263
[10] https://www.elcolombiano.com/colombia/gustavo-petro-firmo-acuerdo-con-indi…
[11] /Weltbiodiversitaetskonferenz/!6041077
## AUTOREN
Katharina Wojczenko
## TAGS
Naturschutz
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Kolumbien
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